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Was war musikalisch los im Mai 2023? Wir haben wieder eine bunte Übersicht geschaffen. Mit dabei: Eliades Ochoa „Guajiro“ (Bild)

Monatsrückblick: die musikalischen Highlights aus dem Mai 2023

Unfollow The RulesDie LowBeats Rubrik „Album der Woche“ ist schön und tiefschürfend, aber leider nicht ausreichend. Jeden Monat erreichen uns sehr viel mehr spannende Neu-Veröffentlichungen, die es verdient hätten, vorgestellt zu werden. Das machen wir jetzt in einer Art Monatsrückblick: Unter der Rubrik „die musikalischen Highlights des Monats“ geben wir künftig eine Übersicht, was aus dem Vormonat musikalisch unbedingt zu beachten ist: Musik, die – über alle Stilrichtungen und Genres hinweg – fabelhaft, virtuos, meisterhaft ist oder einfach unschlagbar charmant klingt.

Dabei blicken wir dort, wo es interessant ist, über den Tellerrand des Albums hinaus und geben Einblicke und Tipps zu KünstlerInnen und Bands. Allen gemein gilt: Ein hoher Anspruch an Musik- und Tonqualität. Und: Die künstlerisch wertvolle Auswahl bewerten wir natürlich ebenso mit dem VU-Meter von LowBeats.de.

Die musikalischen Highlights aus dem Mai 2023:

Cowboy Junkies: „Such Ferocious Beauty“
Eliades Ochoa „Guajiro“
Roger Waters „The Lockdown Sessions“
Wendy McNeill „First There Were Feathers“
Rufus Wainwright: „Folkocracy“

Wir starten mit Cowboy Junkies: „Such Ferocious Beauty“

Nachdem die Familien-Band mit den Geschwistern Margo (Vocals), Michael (Gitarre, Komposition) und Peter Timmins (Schlagzeug) 2022 Songs anderer Musiker veritabel coverte, bringt der kanadische Blues-Folk-Dreier zusammen mit dem langjährigen Freund und Bandkollegen Alan Anton (Bass) neue Stücke auf die Bühne. Michael hat als Producer diesmal intensiver mit Schwester Margo Zeit damit verbracht, die Songs durchzukneten und zu formen. Verständlich, denn es geht um nicht ganz so schwerelose Themen wie Alter, Verlust und Sterblichkeit. „Dies ist eine andere Art von Aufnahme; sie hat eine größere Dichte“, so Michael. Und Margo ergänzt: „Die Songs sind Ausdruck von Mikes Seele.“

Wer nun glaubt, ein trauriges oder schwer melancholisches Album vor sich zu haben, täuscht sich. Die Vier folgen ihrem sehr eigenständigen Stil mit Folk- und Blues-DNA vehement, in der Art wie sie es bereits auf dem herausragenden Frühwerk „The Trinity Sessions“ Ende der 80er Jahre taten. Die Takes aus der „Church Of The Holy Trinity“ in Toronto spiegelten damals ihre fabelhafte Mischung aus Blues, Folk, Rock und Jazzelementen prächtig wider. Dank eines Ambisonic-Mikrofons beeindruckend räumlich eingefangen, glänzt das Album nach wie vor als Highlight für HiFi-Fans.

Cowboy Junkies „Such Ferocious Beauty“ Cover
Cowboy Junkies: „Such Ferocious Beauty“ erscheint bei Cooking Vinyl als CD oder LP sowie als Stream oder Download, z.B. auf qobuz.com

Und so legt gleich der Opener „What I Lost“ typisch reduziert auf Gitarre, Bass und Vocals minimalistisch los, energetisch, bluesy mit groovigen Drums und psychedelischem Timbre.

Danach driftet der Blues tiefer, trifft sich auf „Flood“ mit Industrial-Sounds, während „Circe And Penelope“ einen gemütlichen Country-Waltz anzetteln um sich vom markanten Folk-Noir von „Hell Is Real“ ablösen zu lassen. „Mike Tyson (Here It Comes)“ glänzt hell, mit spanischer Gitarre sphärisch und schönem Flow, während „Throw A Match“ harsch-rockig zulangt und „Blue Skies“ mit der wunderbar sonoren Stimme von Margo Timmins und akustischer Gitarre intim-beschaulich das Album himmlisch ausklingen lässt.

Bewertung

 

Eliades Ochoa: „Guajiro“ – bezaubernder Cuba Son mit DNA des Buena Vista Social Club

Der Buena Vista Social Club mit seinen kubanischen Musikern wie Compay Segundo und Ibrahim Ferrer plus Initiative von Produzent und Gitarrist Ry Cooder überzogen die Welt vor über 25 Jahren mit einer wonnigen Welle aus sommerlich wärmenden kubanischen Rhythmen – wie „Chan Chan“. Ein Meisterwerk, in dessen Tradition – aber nicht nur –Gründungsmitglied Eliades Ochoa seit Jahren musiziert.

Seither hat Ochoa neun Alben veröffentlicht, wurde mit vier Latin Grammys ausgezeichnet und erhielt eine Grammy-Nominierung für „Afrocubism“ von 2010. Zwei Jahre später heimste er den Grammy in der Kategorie „Best Tropical Latin Album“ für „Un Bolero Para Ti“ ein.

Die Musik hat den heute 77-jährigen Sänger von Kindesalter an auf dem kubanischen Land, wo er aufwuchs, begleitet. Bereits mit zwölf Jahren spielte der kleine Eliades die kubanische Gitarre „Tres“, verdingte sich und seinen Eltern Geld als Straßenmusiker – und wurde Mitglied der altehrwürdigen Band Cuarteto Patria.
Nun öffnete er seinen musikalischen Horizont stärker und arrangierte mit Produzent Demetrio Muñiz diverse Teamworks, wie mit dem 79-jährigen Charlie Musselwhite und seiner Südstaaten-Mundharmonika auf „West“. Ebenso dabei sind Rubén Blades und die Indie-Rockerin Joan As Police Woman mit „Creo En La Naturaleza“. Beherztes Hüftschwingen garantiert, dank sprühender mehrstimmiger Vocals („Anita Tun Tun Tun“) oder bestens gelaunter Bläser wie auf „Se Soltó Un León“. Ochoas sonore Stimme wiegt und wogt gediegen und entspannt in den Rhythmen, ähnlich wie Johnny Cash in seinem Alterswerk.

 

Eliades Ochoa: „Guajiro“ Cover
Eliades Ochoa: „Guajiro“ erscheint bei World Circuit als CD oder LP sowie als Stream oder Download, z.B. auf qobuz.com

Und der Klang? Raumambiente, Auflösung und Feindynamik passen prima zu dem sprühend atmosphärischen Werk.

„Es ist eine andere Phase in meinem Leben als zu der Zeit, als wir Buena Vista machten“, erzählt Ochoa. „Compay und Ibrahim kamen mit einem immensen Background daher und vielen Geschichten. Das Album mit ihnen zu machen, öffnete mit einem Mal Türen zur ganzen Welt. Und jetzt fühlt es sich für mich nach dem richtigen Zeitpunkt an, um meine eigenen Geschichten zu erzählen. Diese Lieder liegen mir wirklich sehr am Herzen. Man könnte sagen, es ist mein Manifest.“

Hier als kleiner Appetitanreger das Video „Se Soltó Un León“:

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Roger Waters: „The Lockdown Sessions“ – akustisch geprägtes Song-Bouquet des umstrittenen Ex-Pink-Floyd-Musikers

Kommen wir zu einem Großen des Psychedelic-Rock, der Kritikern als eine Art enfant terrible gilt. Nach Dauer-Trouble mit Ex-Bandmate David Gilmour bei Pink Floyd (sein klasse Live-Album hier in der Besprechung) sorgt der beinahe 80-jährige Haupt-Macher von Jahrhundertalben wie „Dark Side Of The Moon“ und glänzenden Soloalben wie „Amused To Death“ immer mal wieder für Schlagzeilen, in denen ihm Kritiker eine inakzeptable Beschuldigung Israels vorwerfen, zum Beispiel zum Thema möglicher Apartheid.

Das führte sogar jüngst in deutschen Städten zu eifrigen Diskussionen, ob man Waters opulente Live-Konzerte doch nicht lieber verbieten sollte, auch weil er live bereits ein Schwein mit Davidstern fliegen ließ – neben Symbolen wie Hammer und Sichel, Kruzifix, islamischer Halbmond und den Logos von Shell und Mercedes. Wohl zurecht ein zumindest kritischer Punkt in Sachen möglichem Antisemitismus.

Waters fühlt sich in seinem Reden und Tun offensichtlich teils missverstanden. Die Kritik an ihm ist nicht neu. Bereits 2017 wollte die ARD seine Konzerte nicht ausstrahlen. Doch ausgerechnet Marek Lieberberg, einer der großen deutschen Konzertveranstalter und laut Deutschlandfunk selbst Kind Holocaust-Überlebender, sprang dem Musiker bei: „Wenn die Öffentlich-Rechtlichen einen Beitrag leisten möchten, fände ich es beispielhaft, wenn vor allen Beiträgen über Luther oder Wagner-Aufführungen auf die teilweise blutrünstigen antisemitischen Theorien dieser Herrn hingewiesen würde. Da gäbe es wirklich Nachholbedarf.“ Demgegenüber sei das künstlerische Werk von Roger Waters weder antisemitisch oder anti-jüdisch. Und: „Der Kanon von Roger Waters und Pink Floyd ist und bleibt genial.“

Bleiben wir also bei der Musik. Waters gilt seit Jahrzehnten als Top-Musiker, der in seinen Songs schon sehr, sehr lange Krieg und Machtmissbrauch deutlich und teils sehr sarkastisch thematisierte, so im Song „The Fletcher Memorial Home“ vom (unterschätzten) Pink-Floyd-Album „The Final Cut“ von 1983. Im Schulunterricht hatte ich damals einen coolen Deal mit dem Englischlehrer und durfte regelmäßig einen englischsprachigen Song vorspielen, dessen Text wir dann in der Klasse besprachen. Da war zum Beispiel „If I Had A Rocket Launcher“ vom kanadischen Singer-Songwriter Bruce Cockburn dabei. Oder eben „The Fletcher Memorial Home“. Waters’ Idee darin: Baut doch den (aus seiner Sicht zweifelhaften) „Tyrannen und Königen“ ein Heim, wo sie endlich unter sich sind, sich selbst bespaßen oder bekriegen können. „Boom boom, bang bang.“ Drinnen sah Waters damals markante Bewohner wie Reagan, Begin, Thatcher oder den „Geist von McCarthy“.

Also alles Roger, oder was? Wir brechen hier weder Stab über noch Lanze für den kreativen Wortfechter. Ist auch nicht unser Job. Wer etwas tiefer schürfen möchte: 
Amnesty International stellt ihre Sichtweise zum eventuellen Thema Apartheid und Israel hier dar.

Und nun? Nun bleiben wir endgültig bei der Musik. Denn die ist klasse. Hier legt der Brite eine kleine Sammlung von Songs vor, die er während der Corona-Lockdowns eingespielt hat. Die gab’s bislang bereits online zu hören, die Tonträger folgen jetzt nach.

Roger Waters: „The Lockdown Sessions“ Cover
Roger Waters: „The Lockdown Sessions“ erscheint bei Sony Music als CD oder LP sowie als Stream oder Download, z.B. auf qobuz.com

Angesichts seines Alters immer noch sehr tiefgründig die Performance, seine Stimme hält das Timbre noch schön im Zaum. Wie gesagt: Der Mann beschallt ja noch in Folge ganze Arenen live.

Im „Lockdown“ locken intim Keyboard, Gitarre und wunderbare weibliche Background-Vocals, übrigens mit Beyerdynamic-Kopfhörern ausgestattet. Songs wie „The Gunner’s Dream“ gehen unter die Haut, Donner-Blitz-Drums-Hagel auf „Comfortably Numb 2022“ ebenso, verdonnerte Soundkaskaden, spoken words. Der Klang überzeugt prima aufgelöst und kraftvoll differenziert.

Video „Two Suns In The Sunset“:

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Wir sprechen unterm Strich eher über eine EP als ein Album, „Sessions“ eben. Darauf finden sich keine Interpretationen für die Ewigkeit, aber welche mit spannenden Facetten.

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Wendy McNeill: „First There Were Feathers“ – aufregende Singer-Songwriterin aus Kanada

Von der kubanischen Karibik und umstrittenen Waters-Konzerten fliegen wir wieder zurück nach Kanada, wo Wendy McNeill in Edmonton, in der Provinz Alberta, sehr naturverbunden aufwuchs. Mittlerweile lässt sie sich von ihrer neuen Wahlheimat in den Bergen von Valencia inspirieren – ein wichtiges Momentum für sie. Denn die Multiinstrumentalistin und Sängerin verbindet in ihrer Musik Mythen, die Kraft der Natur und Magie-Momente. Musikalisch vereint sie dafür ein illustres Sammelsurium an Instrumenten wie Akkordeon, Gitarre, Kalimba („Daumenpiano“), Mellotron, singende Säge, Waldhorn, Trompete, Violine, Pumporgel, Vibraphon oder Marimba plus Synthie-Support. Na, bitte schön.

Damit das alles wie auf ihrem neuen Album fabelhaft druckvoll, farbecht und fein aufgelöst klingt, holte sie sich neben Dan Berglund (Kontrabass) und Christopher Cantillo (Schlagzeug) den offenkundig hörbar begabten Tontechniker Ake Linton ins Boot.

Anders als ihre kanadische Kollegin Feist (siehe auch die Highlights des Monats April) kreiert Wendy teils recht abgedrehte Songs, spannend aufgeladen mit beatlesquen Elementen („Swift, As One Designed For Flying“), jazzigen Vibes („Language Of The Birds“), Spoken Words à la Laurie Anderson („Roam“), orientalischen Einsprengseln („Wind On Wings“) sowie spacigen Samples, sphärischen Sounds und satten Drum Parts wie auf „Prometheus, Please“, das durchaus in den „Strawberry Fields“ der Beatles gewachsen sein könnte.

Wendy McNeill: „First There Were Feathers“ Cover
Wendy McNeill: „First There Were Feathers“ erscheint bei Roots And Ramblers Music als CD sowie als Stream oder Download, z.B. auf qobuz.com

Wie der Albumtitel verheißt, spielt Wendy in ihren 17 (!) neuen Songs mit den verschiedensten Verbindungen zu unseren fliegenden, gefiederten Freunden, literarisch anspruchsvoll, wissenschaftlich adaptiert und mythisch beseelt. Und das verleiht durchaus Flügel.

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Rufus Wainwright: „Folkocracy“ – aufregend schönes Happening vom US-amerikanisch-kanadischen Top-Star

Rufus McGarrigle Wainwright war bereits Gast auf LowBeats.de mit seinem Album „Unfollow The Rules“. Der Sohn der Folk-Pioniere Loudon Wainwright III und Kate McGarrigle und Bruder von Sängerin Martha Wainwright gilt als Musikgenie, verankert in zehn Studioalben, diversen Filmsoundtracks, klassischen Opern und im Theater mit einer Shakespeare-Sonette.

Im Juli wird er nun 50 und lud im Vorfeld für „Folkocracy“ eine illustre Schar an MusikerInnen ein, darunter Brandi Carlile, John Legend, Chaka Khan, David Byrne, Anohni, Sheryl Crow, Susanna Hoffs, Chris Stills, Nicole Scherzinger, Van Dyke Parks sowie aus der Famile Anna McGarrigle sowie Martha und Lucy Wainwright plus Andrew Bird, den umtriebigen Folky mit Pfiff und Violine.

Mit diesen hochkarätigen Gästen kreierte und spielt Rufus 15 Stücke unterschiedlichster Genese. Mit Produzent Mitchell Froom tauchte er nach Stücken aus der Kindheit oder suchte Standards aus unterschiedlichen Gegenden, dabei zwei die nicht so ganz im Folk fußen: Franz Schuberts „Nacht Der Träume“, ein strahlend intimes Klavier-Vokalstück sowie „eine Neuauflage seines Songs „Going To A Town“.

Elegisch, wie aus einem anderen Universum, schillert das Teamwork mit Madison Cunningham („Alone“). „Twelve-Thirty (Young Girls Are Coming To The Canyon)“ betört im Geiste von Crosby, Stills, Nash & Young im Verbund mit Susanna Hoffs und Sheryl Crow plus Chris Stills – mehrstimmige Vocals, die klingen wie im Amerika der 60er Jahre und von New York bis San Francisco zu leuchten scheinen.

„Hush Little Baby“, mit Martha Wainwright und Lucy Wainwright Roche lässt countryeske Akustikinstrumente fliegen und „Wild Mountain“ schließt den Reigen mit hallender, zartbitterer und glockenklarer Stimmkunst von Anna McGarrigle, Chaim Tannenbaum, Lily Lanken, Wainwright Roche & Martha Wainwright.

Rufus Wainwright: „Folkocracy“ Cover
Rufus Wainwright: „Folkocracy“ erscheint bei BMG Rights – Warner Music als CD oder Doppel-LP sowie als Stream oder Download, z.B. auf qobuz.com

„Folkocracy“ macht seinem Namen alle Ehre und zeigt Rufus nach wie vor in formidabel kreativer Verfassung. Schön, dass auch der Klang mitspielt: Auflösung, Raum und Farbe stimmen hier, was beinahe audiophile Gefilde markiert.

Video „Harvest“ mit Andrew Bird und Chris Stills (Original von Neil Young)

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Bewertung
Rufus Wainwright „Folkocracy“
2023/06
Test-Ergebnis: 4,4
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

 

Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.