Ein bisschen war ich schon verwundert über die Einladung zum Fußballspiel Eintracht Frankfurt gegen Borussia Mönchengladbach am 15. April dieses Jahres. Es gibt wohl wenige, die ein noch geringeres Interesse an diesem Rasenballsport haben als ich. Aber halt: Die Einladung kam von Sky und von Dolby. Tatsächlich ging es auch nicht nach Frankfurt ins Stadion, sondern nach Darmstadt zur Firma VIDI ins Tonstudio, wo wir tiefe Einblicke bekamen, wie Sky Fußball mit Dolby Atmos zelebriert.
VIDI (Lat.: Ich habe gesehen, ich habe erkannt oder ich habe begriffen) ist ein Dienstleister, der alle nur erdenklichen Netzwerk- und Broadcast-Dienste anbiete, aber auch ganze Studios baut. Im Falle der Fußballübertragung waren sie für die Tonmischung der Fußball-Übertragungen von Sky verantwortlich und ausführend.
Und was Sky mit VIDI entwickelt hat, ist wirklich faszinierend – erst recht, wenn man aus eigener Anschauung im Heimkino weiß, wie kniffelig es sein kann, Bild und Ton lippensynchron zu erhalten. Das Schaltbild in den Händen des VIDI-Kollegen lässt in etwa die Komplexität erkennen: Links im Bild die Technik im Stadion und dem Übertragungswagen in dem alle Fäden als Kommandozentrale zusammenlaufen.
Sky Fußball mit Dolby Atmos: 2.000 Tonkanäle im Stadion!
Über ein Netzwerk gelangt der Ton für die Zuschauer nach Darmstadt ins Atmos-Studio bei VIDI (rechts in der Grafik). Die moderne Netzwerktechnik schafft das mit unkomprimierten PCM-Signalen und einer Latenz (Verzögerung) von nur rund einer Millisekunde. Dort wird der Ton für alle Formate gemischt und geht retour in den Ü-Wagen. Die gesamte Signallaufzeit bleibt dabei unter der praktisch nicht wahrnehmbaren Latenz von 20 Millisekunden.
Nach einer Entschuldigung, dass das Tonstudio akustisch noch nicht fertig sei, führt uns Professor Krückels dann in die Technik. Ein umgerüsteter Konferenzraum beherbergt das Tonstudio, das direkt neben dem Serverraum liegt.
Das Mischpult wirkt fast zierlich, doch es hat bis zu 200 einzelne Tonkanäle zu verwalten. Im Ü-Wagen sind es noch rund 2.000! So viele? Ja. Da sind unter anderem die fest installierten Mikrofone am Spielfeldrand, 17 ringsum, weitere sind in alle Himmelsrichtungen im Stadion verteilt, jeweils unten und zusätzlich je Richtung zwei Höhenkanäle in den oberen Rängen für die Höhenkanäle in Atmos. Dazu kommen Mikros fürdie Stadiondurchsagen, für die Sprecher- und Interviews. Obendrein gibt es weitere im Stadioneinlauf. Auch jede Kamera, draußen, drinnen, im Studio und am Spielfeld, verfügt über Stereo-Mikros. Und am Ende kommen die Kommunikationswege für Techniker, Regisseure, Kontrollmonitore, Kameraleute, Techniker und das je vom Übertragungswagen hin und wieder zurück… So addiert sich diese stattliche Summe.
Abgehört wird über eine klassische 5.1.4 Lautsprecher-Anordnung. In der Hörebene verwenden die VIDI-Tontechniker eine Kombination aus Neumann KH 310 A Dreiwege-Aktivmonitoren plus Subwoofer. An langen Stativen hängen zudem kleine Neumann KH 120 A Nahfeldmonitore. Professor Krückels betonte bei der ersten Demonstration mit isoliert angespielten Mikrofongruppen, wie wichtig ihm beim Ton unkorrelierte Signale sind. Das bedeutet, dass der Ton, der aus einer Richtung im Wohnzimmer kommen soll, möglichst wenig Anteile aus anderen Richtungen beinhaltet. Das ist wichtig, damit ein guter Downmix – etwa in einer Soundbar unter dem heimischen Fernseher – sauber gelingt und selbst bei suboptimal aufgestellten Lautsprechern beim Zuhörer noch ein klares Klangbild entsteht.
Parallel: Tonproduktion Stereo, Surround, Dolby Atmos und mehr
VIDI mischt aber das Audiosignal nicht nur in Dolby Atmos. Parallel entstehen klassisches 5.1 und Stereo in Deutsch. Dazu kommen in allen Formaten die Versionen für das Ausland ohne deutschen Kommentator sowie eine Spezialfassung für Public Viewing, Pubs und Sportsbars. Letztere haben ja ihr eigenes Publikum und eine eigene Stimmung, weshalb die Stadion-Atmosphäre gemindert einfließt, und der Audio-Eindruck des eigentlichen Spiels verstärkt wird.
Letzteres gilt vor allem für das Geräusch, welches das Treten des Balls verursacht. Dieses Typische “Popp” würde bei normaler, dynamisch linearer Übertragung fast untergehen. Daher arbeitet Professor Krückels am Mischpult mit einem speziellen Plugin: Der “Transientendesigner” erlaubt genau diesen typischen Antritt akustisch zu verstärken und so aus der Masse der umgebenden Geräusche kontrolliert herauszuheben. Das geschieht für die Zuschauer zu Hause dezent, der Mix für die Sportsbars bekommt eine sattere Portion “Popp”, damit der Antritt auch beim Lärm in der Kneipe noch gut wahrnehmbar bleibt.
Es ist eine ambitionierte Aufgabe, die es erfordert, das gesamte Geschehen im Blick und unter Kontrolle zu haben. Letztendlich funktioniert es nur, weil die riesige Zahl an Tonkanälen in mehreren Stufen vorgemischt werden kann. So müssen während des laufenden Spiels nur noch die akustischen Perspektiven denen der Kamera nachgeführt und den verschiedenen Situationen mit der Balance aus Atmosphäre, Geschehen auf dem Feld, Kommentar angepasst werden.
Während wir einige Stunden vor dem Spiel im Studio alles erklärt bekamen, demonstrierte Professor Krückels recht eindrücklich, wie komplex das Setup ist und wie routiniert so eine Produktion dabei durch Profis abläuft. Parallel zu seinen Erklärungen kommunizierte noch mit einem Techniker, der im Station in Frankfurt die Spielfeld- und Zuschauer-Mikrofone auf Funktion und Pegel testete. Der spurtete buchstäblich im gesamten Stadion umher und sprach dabei live mit dem Studio in Darmstadt. Für uns anwesende Journalisten war dabei schön zu hören, aus welchem Kanal des Atmos-Setups das gerade getestete Mikrofon jeweils zu hören war.
Tja, und wenn alles so läuft wie gedacht, merkt der Zuschauer zu Hause oder in der Sportbar nichts von dem gigantischen Aufwand. Das Immersive-Format Dolby Atmos macht bei einer solchen Übertragung durchaus Sinn. Nicht nur, weil es die Stimmung und Atmosphäre besser transportiert, sondern auch, weil es das Klangbild entschlackt, etwa wenn der im Center isolierte Kommentator stets perfekt zu verstehen ist, egal was außen herum gerade an Fangesängen tobt. Sky bietet seit der laufenden Saison das „Topspiel der Woche“ am Samstagabend in Dolby Atmos an. Da wünsche ich doch allen Fußballfans nicht nur spannende Spiele, sondern auch ein fettes Heimkino …
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