Beyerdynamic macht mobil: Nach diversen kabelgebundenen In-, Over- und On-Ear-Kopfhörern für draußen kappt nun der auf der IFA vorgestellte Beyerdynamic Aventho wireless die Leinen und überträgt Outdoor-Sessions via Bluetooth. Und nicht nur das: Der On-Ear-Hörer lässt sich über eine App auf das jeweilige Gehör des Benutzers personalisieren. Ist er damit dennoch klanglich schwer auf Draht? Wir haben intensiv reingehört.
Im Vergleich zu früher gelten Kopfhörer längst als Lifestyle-Produkte. Das funktioniert per se natürlich nur, wenn man anderen seinen tönenden Kopfschmuck zeigen kann: draußen, unterwegs, in der U-Bahn, beim Joggen oder Gassigehen.
Was dabei noch bis vor kurzem für viele mit lästigem Kabelsalat in der Jacken- oder Hosentasche einherging, löst sich nun in kabellose Freiheit auf.
Dank Bluetooth spielen immer mehr mobile Kopfhörer völlig losgelöst vom Abspielgerät, welches bei den meisten wohl „Smartphone“ heißt. Das Design sollte dabei natürlich nicht die erste Geige spielen; wichtiger sind die inneren, klanglichen Werte.
Die Heilbronner Studio- und HiFi-Experten von Beyerdynamic bringen nun ein solches Exemplar, das sie obendrein mit einem vielleicht wegweisenden Goodie aufwerten: einer Personalisierungsfunktion des jeweiligen User-Gehörs via App.
Vorweg sei gesagt, dass der Beyerdynamic Aventho wireless auch verdrahtet, sprich mit einem 3,5-Millimeter-Klinkenkabel musiziert. Die große (kabellose) Freiheit beschert er seinem User dann mit dem klanglich hochwertigen Bluetooth-Standard aptX HD/ AAC.
Ein sechssekündiger Druck auf das – leider zu klein und fummelig geratene – Ein-/Aus-Knöpfchen und die Mini-LED an der rechten Muschelunterkante blinkt rot und blau im Wechsel und die Suche nach einem Abspielgerät zum „Pairing“, in diesem Falle einem iPhone beginnt emsig.
Am Smartphone muss natürlich Bluetooth aktiviert sein, dann finden sich die beiden in Sekundenschnelle, quittiert mit einer dezenten Frauenstimme aus den Hörermuscheln „Pairing succesful, your headset is connected.“
Die MIY-App des Beyerdynamic Aventho wireless
Der zweite, rare Clou des Freiheitskämpfers ist die erwähnte Personalisierungsfunktion via App, die die Heilbronner im Aventho wireless zusammen mit der Berliner Firma Mimi Hearing auf den Weg gebracht haben.
Und weil wir schon mal beim Einrichten sind, wird die „MIY“-App (für iOS und Android) gleich gratis heruntergeladen. Das dauert nur wenige Sekunden, dann lässt sich der Hörer mit einem Tipp auf „Kopfhörer koppeln“ mit der App verbinden.
Unter „Profile“ steht nun das Personalisieren, sprich das Hörcheck-Prozedere an. Zunächst wählt die Software nach Eingabe des Geburtsjahres eine erste Vornivellierung.
Dann startet der Hörtest – ähnlich wie beim HNO-Arzt – sehr minutiös und ausführlich, getrennt fürs linke und rechte Ohr, mit diversen Fieps- und Tüt-Tönen. Solange man die Töne hört, bleibt der Finger auf dem reservierten Feld des Smartphones; hört man nichts mehr – Finger einfach wegnehmen.
Wer mag, kann zudem unter „Tracking“ seine Hörgewohnheiten speichern und auswerten lassen. Wie lange habe ich wie laut gehört? Wie viel Prozent meines „Tagespensums“ sind bereits erreicht?
Sei’s drum, ob’s Sinn macht oder nicht. Wichtig wäre, dass der Beyerdynamic Aventho wireless dank des individualisierenden Prozederes besser klingt.
Aber was ist „besser“? Kann man die klangliche Anpassung in etwas so betrachten wie eine Sehbrille oder Kontaktlinsen? Und riskiert man dadurch nicht eventuell eine im Wortsinne gewisse „Hörigkeit“ vom eingestellten Wohlfühl-Sound, der einem den normalen Alltag gehörig komisch und flau vorkommen lässt?
Fragen, die wir innerhalb des LowBeats Teams intensiv diskutiert haben und noch zu keinem definitiven Schluss kamen – weshalb wir uns damit an einen Profi wandten. Nämlich den Audio-Experten des Fraunhofer IIS für integrierte Schaltungen in Erlangen, Jan Plogsties.
Plogsties verspricht sich von der Personalisierung ein bewussteres Hören. Das wäre ja schon mal nicht schlecht… Das Interview finden Sie hier.
Die smarte Bedienung
Und die geht so: Zunächst ist es ratsam, innerhalb der gratis downloadbaren „MIY“-App von Beyerdynamic im Bereich „Touch“ die Empfindlichkeit des Touchpads auf der rechten Hörschale einzupegeln – fünf Stufen von starkem bis weichem Druck beim Wischen lassen keine Berührungsängste aufkommen.
Tatsächlich reagiert die runde Hörmuschelfläche dann (zumindest meistens) prompt so: Start und Pause: zweimal kurz tippen, nächster oder vorheriger Song: nach vorne oder hinten wischen.
Zum Vorwärts- und Rückwärtsspulen heißt es nach vorne oder hinten wischen und gut eine Sekunde halten. Die Lautstärke lässt sich mit einem Wisch nach oben oder unten dirigieren.
Schließlich ist der Aventho wireless auch noch kommunikativ – die persönlichen Naseweis-Assistenten Siri oder Google Assistant sind nach einem zweisekündigem Druck auf die Mitte des Touchfelds zur Stelle.
Die Anrufsteuerung inklusive Makeln ist ebenso mit wenigen Fingertipps regelbar. Freisprechen erlaubt dabei ein „hochwertiges“ Mikrofon.
Und damit der Mobil-Macher draußen nicht friert und sich schützend einkuscheln kann, liegt ein adrettes graues Stofftäschchen mit Innenfach für Kabel & Co bei: ein 3,5-Millimeter-Klinkenkabel sowie ein Ladekabel (USB-A auf USB-C) sind an Bord.
Saft holt sich der Aventho wireless nämlich über diese Strippe direkt vom Computer oder von einem mobilen Akku. Laut Beyerdynamic soll der vollgeladene Saft-Speicher im Kopfhörer bis zu 30 Stunden Musikgenuss garantieren.
Neben der Software zählt natürlich auch die Hardware. Die kleinen Muscheln des geschlossenen On Ear Hörers und das Kopfband sind mit superweichem Kunstleder ausstaffiert, was entsprechend sanften Druck nach sich zieht, der den Avantho wireless stabil, aber mit nicht störendem Sitz auf dem Kopf währen lässt.
Dennoch könnte für längere Sessions etwas weniger Seitendruck nicht schaden. Bügel und Verankerungen sind aus dezent schimmerndem Metall, die Muscheln aus Kunststoff, alles wirkt haptisch fein, sauber und wertig verarbeitet.
Das Design wählten die Beyerdynamicer klassisch – das Leichtgewicht von nicht mal einem halben Pfund sieht aus, wie ein Kopfhörer schon vor Jahren aussah. Das wirkt sympathisch, so beamt man Retro-Design in die Zukunft, zumal die Farbvarianten schwarz und braun das Outfit stylisch abrunden.
Die niedrigen 32 Ohm Impedanz prädestinieren den dynamischen Hörer fürs mobile Vergnügen an Abspielgeräten wie Smartphones, die per se meist schwach auf der Verstärker-Brust sind.
Was der Beyerdynamic Aventho wireless in der Praxis mit seiner großen Bandbreite (der Frequenzgang läuft bis über 30.000 Hz) und seinem hauseigenen „Tesla“-Antrieb klanglich macht, zeigt der Hörtest.
Aventho wireless: Klang und Fazit
Zunächst wurde der Aventho wireless ohne vorherige Einmessung mit dem beiliegenden 3-5-Millimeter-Klinkenkabel ans Smartphone ganz einfach mit einem Klick verstöpselt.
Den Auftakt machte das – passend zum Aventho-Outfit – Retro-Indie-Duo „Courtney Barnett & Kurt Vile. Ihr Song “Over Everything” vom prima Album Lotta Sea Lice, ganz in der adaptierten Tradition von Nancy Sinatra und Lee Hazlewood, tönte ausgewogen, basstüchtig, feindynamisch und mit ausdrucksstarken Stimmen.
Durchaus beeindruckend für so einen smarten Kopfhörer. Wenn gewünscht, spielt er übrigens auch ganz schön zackig laut, ohne zu zerren oder zu nerven.
Fantastisch, wie dann die Schwedin Anna Ternheim (siehe auch CD der KW 48) und ihre Musikerfreundinnen Ane Brun, First Aid Kit & Co den Akustik-Folk-Song „Summer Rain“ intonierten – mit tollem Raumgefühl, nuancenreich und schön aufgefächerten, farbechten Stimmen.
Bei „Man On The Moon“ von den Alternative-Rockern R.E.M. inszenierte der Aventho wireless Michael Stipes Stimme ausdrucksstark, mit feinem Raum und druckvollem Bass.
Ob das leinenlos via Bluetooth auch so formidabel abging? Es ging. Ob R.E.M., Anna Ternheim, Tom Petty oder das Freiburger Barockorchester mit dem 1. Brandenburgischem Konzert in F-Dur (BWV 1046) aus dem Spiegelsaal von Schloss Köthen: Der Aventho wireless verlieh dem Musikgeschehen einen strahlenden Klangkörper, Wärme und Seidigkeit nebst druckvollem Bass und feiner Auflösung.
Seine drahtlosen Fähigkeiten standen somit dem Kabelbetrieb, wenn überhaupt, nur in Nuancen nach. Damit macht er prima klingenden Drahtlos-Kollegen wie dem Beoplay H8 oder dem AKG N90Q mächtig Konkurrenz – und zwar mindestens auf Augenhöhe.
Ob sich diese Performance noch steigern ließ mit dem individuellen Einmessprogramm? Auch diese Frage ging mit einem Ja aus dem Hörtest.
Die Software „bügelte“ hier und da minimal auftretende Höhen-Spitzen wie minimalst scharfe S-Laute (Man On The Moon“) wunderbar sanft weg; das Klangbild gewann insgesamt an noch größerer Stimmigkeit und Souveränität und setzte dem „Normal“-Betrieb ein kleines Glanzlicht auf.
Damit spielt der Beyerdynamic Aventho wireless ganz klar in der ersten Liga mobiler Bluetooth-HiFi-Kopfhörer.
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Dynamisches, plastisches Klangbild |
| Hoher Tragekomfort |
| Robuste Mechanik und herausragende Verarbeitung |
| Prädestinert für die MIY-App |
Vertrieb:
beyerdynamic GmbH & Co. KG
Theresienstr. 8
74072 Heilbronn
www.beyerdynamic.de
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Beyerdynamic Aventho wireless: 449 Euro
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