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Thivan Labs Lion 805A
Single-Ended Class-A Röhren-Amp mit 40 Watt? Ganz genau. Der Thivan Labs Lion 805A ist ein Ausnahme-Verstärker. Sein Preis: 6.000 Euro (Foto: Thivan Labs)

Test Röhrenvollverstärker Thivan Labs Lion 805A

Röhren, vor allem Trioden, sind eher was für zartbesaitete Leisehörer? Nicht, wenn man sich den Thivan Labs Lion 805A leisten kann. Hier zeigt uralte Technik ihre verwegene, packend dynamische Seite – atemberaubend!

Der Klischee-Triodenhörer nimmt seine teuren, anfälligen und leistungsschwachen Verstärker abends in Betrieb, um sich von einem mäßig anstrengenden Tag auf dem Amt zu erholen – bei gefälliger Musik, etwa Jazzstandards, in denen japanische Sängerinnen versuchen, wie Nina Simone zu klingen. Und natürlich nicht zu laut. Wer mit seinem Röhrenamp etwas anderes machen will, braucht entweder sehr wirkungsgradstarke Lautsprecher, die automatisch teuer und groß werden, und/oder einen Amp, der Röhren-Klangkultur pflegt, aber dennoch gesunde zweistellige Leistungsreserven bietet.

Letztere gibt es zwar wie Sand am Meer, aber in Gegentakt-Bauweise, was die ganz reine Röhrenlehre schon wieder verwässert: Wozu haben diese Bauteile denn ihre kilometerlangen, kerzengeraden Arbeitskennlinien, wenn man ihnen die Musik dann doch wieder nur bruchstückhaft in positiven und negativen Halbwellen-Anteilen serviert – um dann zu hoffen, dass sich diese Hälften am Ende wieder ohne Kanten und überstehende Elektronen zusammenfügen? Nur im Single-Ended- oder Eintakt-Betrieb schwingt tatsächlich eine einzige Röhre (oder mehrere, dann aber parallel) den Taktstock über die gesamte Spannweite des Musiksignals.

Der jüngst getestete Cayin CS-300A wäre so ein Eintakter. Wer ihn unter günstigen Bedingungen hat spielen hören, weiß fürderhin: Single Ended ist ein steiniger, aber unbedingt erstrebenswerter Weg. Es klingt so ganzheitlich, vollständig und heil, dass man gerne etwas mehr Strom verbraucht. Und sogar bereitwillig Einschränkungen in Kauf nimmt, die natürlich auch diese Technik hat, und die mit deren begrenztem Leistungsangebot zu tun haben: weicher Bass, begrenzter Maximalpegel, kompakterer Raum. Aber wie schön wäre es, mit einem Single-Ended-Verstärker nicht nur jene acht Watt zu bekommen, die der Cayin seinen direkt beheizten 300B-Trioden abringt – sondern viel mehr? Könnte man sich mit 40, 50 Watt im Ärmel nicht viel entspannter und selbstbewusster auf Lautsprechersuche begeben?

Der Thivan Labs Lion 805A liefert genau die erträumten Antworten: Ja, es ist nicht nur schön, sondern ganz fantastisch. Es öffnet eine klangliche Welt, zu der man nur selten Zutritt erhält – erst recht mit einem Vollverstärker. Und jein: Die Lautsprecherauswahl wächst zwar deutlich. Aber völlig willkürlich darf sie dennoch nicht sein.

Thivan Labs 805A 300B
Einzelgänger: Nur eine einsame 805A pro Kanal treibt auf dem Thivan-Vollverstärker die Lautsprecher an (Foto: T. Hoffmann)

Zur besseren Einschätzung der Größe: Das Chassis (es besteht aus stabilen Multiplex-Platten und trägt ein Echtholzfurnier) hat einen Grundriss von 45 x 45 Zentimetern, die Höhe ohne Schutzgitter beträgt 30 Zentimeter. Darüber sollte erstmal gar nichts kommen, denn der Amp sondert im Betrieb rund ein halbes Kilowatt Hitze ab

Stark wie ein Löwe: Thivan Lion 805A

Thivan Labs ist ein vietnamesisches Unternehmen, dessen Name sich einfach aus den Vornamen der beiden Gründer und Chefentwickler ergibt: Nguyen Hoang Thi und Nguyen Anh Van, die bereits beim E-Technikstudium an der Uni in Ho-Chi-Minh-Stadt kannten. Eine weitere Schlüsselrolle spielt This Frau Joe Nguyen, die für Vertrieb und Produktdesign, aber auch die Klangabstimmung verantwortlich ist. Neben Verstärkern baut Thivan auch faszinierende Großlautsprecher, denen der Ruf einer exzellenten Preis-Qualitäts-Relation vorauseilt – und die im Testzeitraum komplett vergriffen waren. Ich konnte mich glücklich schätzen, überhaupt monatelang auf dem Test-805er sitzen zu dürfen, denn auch die Amps wurden, bedingt durch die weltweit gestörten Lieferketten im Corona-Jahr 2021, zusehends knapp.

Den Lion 805A gibt Thivan mit genau jenen ersehnten 40 Watt pro Kanal an – und sogar dem Doppelten davon in Impulsspitzen. Fraglos bei viel höheren Klirrwerten, als man sie einem Transistor zugestehen würde. Diesen messtechnischen Bonus gewährt man Röhrenamps in dem Wissen, dass ihre Verzerrungs-Nebenprodukte meist aus perfekt harmonisch gestaffelten Oberwellen niedriger Ordnung bestehen – die das Ohr nur in sehr hohen Dosen überhaupt detektieren kann. Egal jedoch, nach welcher Norm man misst: Der Lion ist ein Leistungslöwe unter den Eintakt-Trioden, der Amps mit anderen Endröhrentypen meist weit distanziert.

Wenn eine EL34 in Triodenschaltung zum Beispiel acht Watt bringt (etwa im bezaubernden Unison Simply Italy), eine 300B im Cayin CS-300A ebenso und eine 845 schon immerhin das Dreifache an Elektronen bewegen kann, erhöhen die 805A-Trioden auf dem Thivan gleich auf Faktor 5. Wie die 845 ist die 805 eine direkt geheizte Hochfrequenztriode und wurde beginnend in den 1930er Jahren jahrzehntelang als Radio-Senderöhre verwendet. Etwas neueren Datums ist ihr Ableger 805A, der sich elektrisch gar nicht, mechanisch dagegen durch die andere Kontaktierung unterscheidet: Die Anodenspannung wird hier berührungssicher durch den Sockel zugeführt, nicht per losem Kabel und „Anodenkappe“ von oben. Bei über 1000 Volt Anodenspannung klar die vernünftigere Lösung.

Thivan Labs 805A Röhre
Musik-Reaktor: Wie ihre Verwandten 211 und 845 besitzt die 805 thorierte Wolfram-Kathoden, die gleißend helles Licht abgeben. Ein großer Teil davon wird durch die mattschwarze Grafit-Anode abgeschirmt, und das Licht ist auch nur ein spektakulärer Nebeneffekt. Eigentlicher Sinn der Thorium-Dotierung ist es, Elektronen den Austritt aus dem Wolfram-Metall zu erleichtern (Foto: B. Rietschel)

Beim Blick durch die bierflaschengroßen Hochvakuum-Glasmäntel durchläuft den Betrachter dennoch ein Schauer aus Respekt und einer gewissen Nervosität: Au weia, diese massiven Grafit-Anoden sind für ernsthafte Verlustleistungen dimensioniert. Da wird‘s heiß. Wenn eine Röhre ihren (abnehmbaren) Schutzkäfig verdient hat, dann diese. Schon im ausgeschalteten Zustand eindrucksvoll, setzen die Trioden nochmal eins drauf, sobald man den Netzschalter drückt. Dann schießen 30 Watt Heizstrom in die Kathoden, was diese dank Thoriumbeschichtung gleißend hell glühen lässt. Wenn jemand den Lion 805A einschaltet, bekommt das also jeder im Raum mit. Einmal wie beschrieben optisch, zudem aber auch akustisch, weil sich der riesige Netztrafo erstmal eine riesige Portion Strom reinzieht und sich dazu mit einem wohligen SCHNURRRrrrmmmmnnn wachschüttelt. Wenn sich nach dem Hochfahren dann die diversen Arbeitspunkte und Spannungen eingegroovt und die letzten Kaltstart-Brummschwaden verzogen haben, legt sich der ganze Elektro-Organismus aber zufrieden zur Leerlauf-Ruhe und verhält sich im weiteren Betrieb ausgesprochen zivilisiert.

Wie alle Geräte mit sehr großen Netztrafos kann er sich je nach DC-Offsetbelastung des Netzstroms ein leichtes mechanisches Summen nicht verkneifen, aber das ist bei derartiger Großelektrik kaum zu vermeiden und stört beim Hören auch nicht. In meinem Haushalt schnurrte der Lion 805 meist um die Mittagszeit was vernehmlicher, vermutlich weil da zahlreiche Nachbarn mit ihren Elektroherden das Netz belasten und den 50-Hertz-Sinus entsprechend deformieren. Wie gesagt, das tun hier alle größeren Amps mehr oder weniger deutlich.

Thivan Labs 805A von oben
Umspannwerk: Auf ihre mächtigen, komplett im eigenen Werk hergestellten Netz- und Ausgangstrafos sind Herr Thi und Herr Van zu Recht stolz. Unter den Hammerschlag-Hauben sitzen aber nur die größten von insgesamt sieben Trafos (Foto: B. Rietschel)

Der Lion 805A wiegt fast 60 Kilo, braucht also einen sehr stabilen Tisch und fordert beim Auspacken zwei Paar kräftige Arme. Wie bei dieser Art Verstärker üblich, ist die enorme Masse hauptsächlich in den drei mächtigen Trafos konzentriert, die auf dem dickwandigen, hammerschlaglackierten Stahlblechchassis aufgereiht sind. Außen stehen die Ausgangsübertrager, in deren Mitte der Netzumspanner. Und alle drei sind nicht nur zum Spaß so dimensioniert: Die Übertrager bekommen bei Eintaktern die volle Anodenspannung ab und benötigen große Kerne mit Luftspalt sowie viellagig verschachtelte Wicklungen, um einerseits sicher, andererseits verzerrungsarm und breitbandig arbeiten zu können. Und da Eintakt Class A die ineffizienteste Art ist, Musik zu verstärken, überrascht es auch nicht weiter, dass der Netztrafo im Betrieb konstant um die 500 Watt umspannen muss. Sämtliche Trafos fertigt Thivan selbst, wobei Herr Van hier der ausgewiesene Trafospezialist ist.

Thivan Labs 805A Röhren
Die Leistungsröhren kommen vom Spezialisten Psvane (Foto: B. Rietschel)

Als Treiber dienen den 805ern zwei kräftige Trioden des Typs 6V6 mit schwarzen Anodenblechen in geschwärzten Glaskolben – offenbar New Old Stock, auch wenn der genaue Hersteller nicht mehr erkennbar ist. Als Vorstufe arbeiten zwei Doppeltrioden (12AU7 und 6SN7), die ebenfalls aus historischen Beständen zu stammen scheinen. Die Endröhren dagegen kommen aus aktueller chinesischer Fertigung vom Edelhersteller Psvane, der sich vor einigen Jahren von dem Großbetrieb Shuguang abspaltete. Während die kleinen Röhren bereits in ihren Fassungen sitzen, reisen die Psvane 805A separat in ihren Originalkartons und müssen erst noch in ihre großen Bajonettsockel abgesenkt und mit einer kurzen Rechtsdrehung eingerastet werden.

Thivan Labs 805A Rückseite
Anonymes Empfangskomitee: Eingangs- und Treiberröhren sitzen hinten und sind nicht gelabelt. Die drei Eingänge reichen in der Praxis meist völlig aus (Foto: T. Hoffmann)

Anschlusstechnisch ist der Thivan selbst für Röhrenverhältnisse spartanisch bestückt: Es gibt an der stabilen, sauber gravierten Rückwand insgesamt drei Hochpegeleingänge, davon zwei in Cinch- und einer in XLR-Ausführung. Der XLR ist intern nur einbeinig angeschlossen, bringt also keine technischen Vorteile. Für die Lautsprecherkabel findet sich je Kanal nur ein Schraubklemmen-Paar – für Röhren eher ungewöhnlich: Laut Datenblatt kommt der Verstärker mit „4, 6, 8, 16 Ohms“ zurecht, bedient alle Lautsprecher aber mit dem gleichen Übertrager-Abgriff. Eine besondere Präferenz scheint der Amp nicht zu haben – Thivans eigenes Lautsprecherprogramm variiert je nach Modell zwischen 4 und 8 Ohm.

Thivan Labs Lion 805A innen
Die Schaltung der Thivan Labs Lion 805A mit abgenommener Bodenplatte (Foto: T. Hoffmann)

Ein Foto der Schaltung zeigt den – natürlich – handverdrahteten Aufbau. Links im Bild strahlen die zwei weißen Keramikfassungen der Leistungstrioden. Dazwischen eine Siebdrossel, die gemeinsam mit den beiden Coladosen großen Elkos für saubere Anodenspannungen sorgt. Der Ringkern unten wäre bereits groß genug für einen ernsthaften Vollverstärker. Im Thivan kommt er erst an Stelle vier im Trafo-Größenranking, muss sich unter Deck verstecken und kleinere Verbraucher wie die Eingangs- und Treiberröhren versorgen. Im rechten oberen Eck finden wir zwei weitere Trafos, die aber nichts mit der Stromversorgung zu tun haben: Als Interstage-Übertrager vermitteln sie das Signal zwischen Treiber- und Ausgangsstufe.

Hörtest

Während der Hörtests konnten wir ebenfalls keine ausgeprägte Lieblingsimpedanz feststellen. Eminent wichtig dagegen war ein ausgewogener Impedanzverlauf über das tonal relevante Frequenzspektrum hinweg. Oder wahlweise eine Abstimmung, in der eine Frequenzgang-Senke mit einem entsprechenden Impedanz-Plateau korrespondiert, wodurch sich unterm Strich wieder ein ausgewogener Ton ergibt. Bei aller Power – und die ist wie der Test zeigte, tatsächlich gewaltig – bleibt der Thivan Lion 805A eben ganz klar eine Eintakt-Triode, die entsprechende Forderungen an den Lautsprecher stellt.

Diese Forderungen resultieren aus dem recht hohen Ausgangswiderstand solcher Amps, der dazu führt, dass die Spannung, die die Endstufe einer Box präsentiert, proportional zu deren Impedanz schwankt. Somit prägt sich der Impedanzverlauf eines realen Lautsprechers auf den – unter Standard-Messbedingungen noch Lineal geraden – Frequenzgang des Verstärkers auf. Was dann oft in leichten, manchmal auch in deutlichen Verfärbungen resultiert.

Letztlich geht es beim Thivan – wie bei eigentlich allen Röhren – aber nicht darum, makellose Frequenzgang-Linearität zu erzeugen. Denn schon lange bevor dieses – mit Röhren eh utopische – Ziel erreicht ist, hat der vietnamesische Verstärker bereits eine klangliche Weite, Vielfalt und Eindeutigkeit eröffnet, die für konventionelle Amps schlicht off Limits ist. „Tamer Animals“, das zweite Album der US-Band Other Lives macht den Unterschied sehr schön deutlich.

Other Lives "Tamer Animals“ Cover
„Tamer Animals“, das zweite Album der US-Band Other Lives (Cover: Amazon)

Das Album aus dem Jahr 2011 mischt sensibles Folkrock-Songwriting mit dunklen Holzbläser-Arrangements, die ab und zu in Pauken-und-Trompeten-Filmmusik-Grandezza umschlagen und dann fast wie Ennio Morricone klingen. Große Panoramen jedenfalls, viele Mischpultkanäle und eine beeindruckend hochkarätige Produktion. Deren tiefer, dunkler Klangfarbenraum wurde schon vom gerade getesteten Cayin CS-300A herrlich behutsam und doch deutlich ausgeleuchtet.

Steckte ich vom Cayin auf den Thivan um, gingen ein paar zusätzliche Strahler an, die vorher eher etwas kompakte Bühne gewann deutlich an Breite und Tiefe. Wirklich verblüffend war dabei die Trennung der einzelnen Instrumente, Stimmen und sonstigen Klangkomponenten: Ein bisschen so, als wären auf der LP nicht nur die zwei fertig gemixten Stereospuren, sondern durch ein HiFi-technisches Wunder die kompletten Multitracks verewigt. Leute, die gern Sachen zerlegen, um herauszufinden, wie sie funktionieren, können das nun auch mit ihren Lieblings-Musikstücken machen. Mit dem Unterschied, dass die Musik dabei nicht kaputtgeht, sondern sogar an Wirkung gewinnt: Die Konturenschärfe dieses Amps ist sagenhaft, aber nie holzschnittartig. Man kann tief in die Stücke hineinschauen, läuft aber nie Gefahr, dass der Blick durch sie hindurch auf kalte, elektronische Leere fällt. Hinter der Musik ist immer nur noch mehr Musik.

Thivan Labs 805A von oben
Verstärker-Heroen unter sich: Der Thivan Lion 805A neben dem Pass INT25 (dahinter) auf dem Tabula-Rasa-Lowboard im Hörraum (Foto: B. Rietschel)

Würdige Gegner: Class-A-Transistoren und andere 805er-Röhren

In seiner extremen Transparenz entspricht der 805A weder dem allgemeinen Klischee vom Röhrenklang noch dem spezielleren über Trioden: Süße und Fülle finden sich in seinem Klang nur dann, wenn sie auf der Aufnahme wirklich vorhanden sind. Was oft genug der Fall ist, aber auch innerhalb eines Stücks selektiver auftritt. So kommt Jesse Tabishs Stimme samt Backing-Chor auf „As I Lay My Head Down“ fein, weich und authentisch-menschlich, die Blechbläser-Akzente oder die weit hinten rasselnden Kastagnetten dagegen mit der vollen Dosis metallischen Glanzes und holziger Impulsivität.

Das so differenziert hinzubekommen fällt nicht nur kleineren Röhren schwer – es überfordert auch die meisten Transistoramps diesseits kompromissloser Großtaten wie dem Pass INT25. Durchaus möglich, dass der Thivan messtechnisch zehn- oder auch hundertfach höhere Verzerrungen produziert als der minimalistisch ausgereizte Class-A-Transistor-Amp. Charakterlich sind sich die beiden aber nicht unähnlich – sofern der Lautsprecher dem Thivan weit genug entgegenkommt. Dem Pass ist der Speaker dagegen fast komplett egal, und der US-Amp wirkt tonal auch noch zuverlässiger und neutraler.

Unter Idealbedingungen kann der Thivan aber mit noch feinerer, feuriger Agilität kontern – eine Qualität, die uns auch beim Line Magnetic 805iA aufgefallen war, einem ebenfalls mit der 805 bestückten Vollverstärker. Den hatten wir zwar nicht mehr für einen direkten Vergleich greifbar, klanglich aber noch bestens in Erinnerung. Auf unterschiedliche Lautsprecher reagiert der Amp aus China nicht ganz so sensibel wie der Thivan, dafür fehlt ihm der letzte Meter an Weite in der Raumdarstellung. Die Zuordnung scheint also klar: Wer sich vornimmt, ihn konsequent auszureizen, kommt mit dem Thivan noch einen Tick weiter. Dafür ist mit dem Line Magnetic die Reise komfortabler und die Ankunft verlässlicher.

Anderen Triodenamps voraus hat der 805A vor allem, dass ihm an geeigneten Lautsprechern die Kraft einfach nicht ausgeht. Cayins 300B-Modell zum Beispiel, das rund acht Watt pro Kanal leistet, beginnt an meinen Heco-Breitbändern mit zunehmenden Pegeln (vor allem im Tiefton) ganz allmählich zu komprimieren, opfert also schon lange vor irgendwelchem eklatanten Clipping etwas Dynamik. Das ist nicht unangenehm und manchmal sogar reizvoll – ganz ähnlich wie bei remasterten Versionen alter Alben kann die milde Kompression für einen präsenteren, kompakteren, moderneren Klang sorgen.

Beim Thivan sind die Dynamikreserven so groß, dass bereits mit den knapp 90 dB/Wm Wirkungsgrad der Hecos diese Grenze in der Praxis nicht mehr erreicht wird. Ausgewachsene Hörner sind locker 6 dB effizienter und markieren dann das Territorium, wo auch Rockfans wunschlos glücklich werden. Am anderen Ende der Skala lassen sich aber auch BBC-Monitore wie die gegen Ende des Tests neu eingetroffene Harbeth Super HL5 Plus XD erstaunlich gut mit dem Thivan betreiben. Und wenn der pfeilschnelle Klang mit meiner kompakten Tannoy Legacy Eaton hier mal stellvertretend für Dual-Concentric-Lautsprecher gelten darf, sollten vor allem 12-Zoll- und 15-Zoll-Duals wie die Canterbury oder Legacy Arden auf keinem Einkaufszettel potenzieller Partner fehlen.

Wer aber eh zum Thivan-Händler fährt, würde grob fahrlässig handeln, wenn er oder sie nicht die Kombination mit den hauseigenen Horn- und Open-Baffle-Lautsprechern auschecken würde. Die Eckdaten sind vielversprechend, die Preise verlockend – ich hoffe daher, dass wir in einem baldigen Test auch damit noch werden spielen können. Der 805A muss jedenfalls dringend erstmal zurück ins Hauptquartier. Ich spüre einen leichten Widerwillen: Erstens weiß ich nicht, wie ich das 54-Kilo-Trumm wieder verpacken soll. Und zweitens gibt es für die kompromisslose Direktheit des 805A in meinem Arsenal keinen Ersatz: Dieser Amp ist schon ziemlich einzigartig.

Fazit Thivan Labs Lion 805A

Der Lion 805A ist ein kraftvoller, extrem temperamentvoller Eintakt-Röhrenamp. Nicht billig, aber für den Materialeinsatz preiswert, fordert der Thivan sorgfältigst ausgewählte Lautsprecher, um sein Potenzial wirklich zu zeigen: Hoher Wirkungsgrad ist erwünscht, hohe und/oder flach verlaufende Impedanz dringend empfohlen. Die eindrucksvollen Leistungsdaten machen den Verstärker also nicht zur pflegeleichten Anfängerröhre, sondern zum rasanten Vollblut für erfahrene Röhrenfans.

Thivan Labs Lion 805A
2022/02
Test-Ergebnis: 4,2
SEHR GUT
Bewertungen
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Hochauflösender, hochdynamischer Klang mit staubtrockenem Bass
Ungewöhnlich hohe Leistung für Eintakt-Verhältnisse
Klassisches Retro-Design mit hohem Gewicht
Wird an unpassenden Lautsprechern unausgewogen klingen

Vertrieb:
TCG Handels GmbH
Döppers Esch 7
48531 Nordhorn
www.tcg-gmbh.de

Paarpreis (Hersteller-Empfehlung):
Thivan Labs Lion 805A: 6.000 Euro

Die technischen Daten

Thivan Labs Lion 805A
Technisches Konzept:Single-Ended Trioden Vollverstärker
Leistung:2 x 40 Watt
Röhren-Bestückung
Leistung: 2 x 805A, Pre: 1 x 12AU7 ; 1 x 6SN7 ; 2 x 6V6
Eingänge:1 XLR ; 2 RCA
Bandbreite:15Hz – 38kHz (-3dB)
Abmessungen (B x H x T):45,0 x 29,0 x 50,0 cm
Gewicht:54,2 Kilo
Alle technischen Daten
Mit- und Gegenspieler:

Test Heco Direkt Einklang – Breitbänder zum Verlieben
Test Class-A Vollverstärker Pass INT-25: maximaler Pass-Faktor
Test Line Magnetic LM-805IA: Röhren-Amp mit 300B-Vorstufe
Test Röhrenverstärker Cayin CS-300A: Eintakt-Triode mit acht Watt

Autor: Bernhard Rietschel

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Bernhard Rietschel ist gelebte HiFi-Kompetenz. Sein Urteil zu allen Geräten ist geprägt von enormer Kenntnis, doch beim Analogen macht ihm erst recht niemand etwas vor: mehr Analog-Laufwerke, Tonarme und Tonabnehmer hat keiner gehört.