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A. Kleinmann Kunstkopf
Andrea Kleinmann hat mit ihrer Harfe auf „Saitenwind“ 27 kurze, aber bezaubernde Stücke eingespielt. Auch klanglich ist das Werk fantastisch (Foto: J. Schröder)

Die audiophile Aufnahme: Andrea Kleinmann „Saitenwind“

Harfenmusik hat spätestens mit den kreativen Saitensprüngen von Andreas Vollenweider oder dem Bretonen Alan Stivell ein Revival mit populärer Reichweite erfahren. Auch Solo-Harfenistin Andrea Kleinmann entführt mit ihrem ästhetischen Instrument in eigenständige Sphären. Toningenieur Jürgen Schröder, der ja auch bei LowBeats den Tonmeister & Mess-Chef gibt, fing die Klänge für das Kunstkopf-Album in den akustisch außergewöhnlichen Räumen des altehrwürdigen Klosters Lorch nahe Schwäbisch Gmünd perfekt ein. Andrea Kleinmanns „Saitenwind“ ist auch deshalb unser audiophiles Album des Monats.

Die Harfe ist ein wahrer Oldie. Im alten Mesopotamien und Ägypten soll das Saitenzupfinstrument bereits verbrieft gespielt worden sein. Ebenso wie in dem kleinen, uns wohl bekannten gallischen Dorf zu Cäsars Zeiten in der Bretagne. In der Neuzeit strahlt die Harfe als Orchestermitglied, aber auch hier und da als Soloinstrument. Musikerin und Komponistin Andrea Kleinmann liebt die Harfe. Respektive ihre vier. Nach Jahren an Klavier, Kirchenorgel und diversen Rhythmusinstrumenten wie der Djembé fing sie vor rund sechs Jahren Feuer, das ihre Spielleidenschaft unvermindert wärmt.

Bereits als Kind war die Baden-Württembergerin von Musik und Geräuschen erfüllt, inspiriert. „Bei uns liefen immer Singles-Schallplatten, zu denen ich tanzte. Meine Eltern mussten die dann immer umdrehen, damit es weiterging.“ Ihre Mutter soll damals in ihr Tagebuch geschrieben haben: „Für Andrea ist alles Musik.“

Nach dem Klavierunterricht bei einem „idealen, experimentellen Lehrer“, der unter anderem die „Wandsbeker Tänze“ im Programm hatte, schrieb sie eigene Stücke fürs Piano. Naheliegend war für sie auch ein Ausflug an die Orgel der Stadtkirche in ihrem Heimatort Lorch. „Da hab’ ich mich schon einmal abends für zwei Stunden eingeschlossen“, es war beeindruckend, wie „die Kirche erfüllt war mit diesem Sound.“ Bei allem musikalischem Sturm und Drang setzt Andrea Kleinmann dabei auf das Reinhören, Reinspüren, Merken, Herantasten von Musik, weniger auf das Notenlesen. „Vom Blatt spielen ist nicht mein Ding. Das ist für mich wie ein geistiger Umweg.“

Andrea Kleinmann
Ehrwürdiges Klangambiente: Das Kloster Lorch bei Stuttgart diente als Aufnahmestätte für das audiophile Harfenalbum von Andrea Kleinmann. (Foto: J. Schröder)

In der Tat strahlt das Saiteninstrument eine ureigene Klangästhetik aus, entfaltet eine ganz besondere Aura. „Da öffnet sich ein ganz spezieller Raum, mit dem man Menschen berühren kann. Das erlebe ich ständig und das begeistert mich.“ Damit meint sie nicht die klassischen Harfenkonzerte vor großem Publikum, das sei nicht ihr Ding. Andrea kommt gern zu ihren Zuhörern. Hinein in Kindergärten, Krankenhäuser, Seniorenstätten und Tierheime.

Und in Klöster. „In Maulbronn spielte ich schon vor den Arkaden, im Kloster Lorch drinnen, die Akustik ist dort klasse.“ „Wenn ich vor Kranken spiele, scheint es manchmal so als ob die Menschen genau darauf gewartet hätten. Dabei muss man nicht schnell spielen, sondern lieber mit Gefühl langsam etwas ausdrücken.“ Die innere Haltung sei wichtig. Und Kinder scheinen besonders offen für die Harfenklänge. „Die lauschen einfach still und konzentriert. Dabei sind die ja unbestechlich“.

Vielleicht liegt in den sanften Schwingungen der Harfensaiten ja etwas Tröstendes, Wärmendes, eine Art positive Melancholie, die einen entführt oder zumindest für ein paar Momente verzückt und verzaubert. Mir ging es zumindest zum ersten Mal 1981 so mit dem wunderbaren Debütalbum des Schweizer Harfenisten Andreas Vollenweider mit „Behind The Gardens …“. Damals zu Recht von der HiFi-Presse hochgelobt. Und Inspiration für mich als späteren Musik- und HiFi-Redakteur.

Andrea Kleinmann Harfe
Die Sache mit dem Haken: Andrea Kleinmann spielt auf einer „Hakenharfe“ von Dusty Springs aus Seattle. Im Gegensatz zur Pedalharfe stellt man die Halbtöne via Klappen am Oberen Saitenrand ein. Die Harfe hat 34 Saiten und umfasst rund viereinhalb Oktaven (Foto: A. Kleinmann)

Unter den Harfentypen entschloss sich Andrea Kleinmann für die sogenannte Hakenharfe, die auf eine Tonart eingestimmt ist. Am oberen Ende der Saiten warten Haken, die die einzelnen Saiten verkürzen und so einen Shift nach oben um einen Halbton erlauben. „Jede Saite hat einen Tonhalter, der sich über Haken hochklappen lässt.“ Reden wir über die Aufnahme.

„Saitenwind“ – Making of

Um die besondere Atmosphäre des Aufnahmeortes akustisch optimal einzufangen, führte an binauraler Aufnahmetechnik mittels Kunstkopf-Mikrofon kein Weg vorbei – ein Verfahren, das dieses Jahr übrigens seinen 50. Geburtstag feiert. Ein besonders eindrucksvolles, immersives Hörerlebnis stellt sich daher bei Wiedergabe mit hochwertigen Kopfhörern ein. Die spezielle (Diffusfeld-)-Entzerrung des verwendeten Kunstkopf-Mikrofons (Neumann KU 100) ermöglicht jedoch ebenso die uneingeschränkte Wiedergabe über Stereo-Lautsprecher.

Typisch für große Räumlichkeiten, besitzt auch die Klosterkirche Lorch ein akustisches „Eigenleben“. Dieses trägt maßgeblich zum authentischen Klangbild von „Saitenwind“ bei. Ausgiebige Hörtests dienten dazu, um beim Mastering tieffrequente Störkomponenten auszufiltern, ohne die akustische Gesamtatmosphäre zu beeinträchtigen.

Luftaufnahme Kloster Lorch – hier wurde das Album Saitenwind eingespielt.
Im Jahr 1102 vom ersten Staufer Friedrich I. und seiner Frau Agnes von Waiblingen gegründet, gehört das Kloster Lorch heute zu den am besten erhaltenen Staufer-Gedenkstätten. Die Blütezeit des Benediktiner-Klosters lag im späten Mittelalter. Die Aufnahmen zu „Saitenwind“ fanden in der Klosterkirche (linke Bildhälfte) statt – Harfe und Mikrofon befanden sich dabei nahe dem Kreuzungspunkt der Kirchenschiffe. (Bildrechte: Kloster Lorch – www.kloster-lorch.com)

Eingespielt wurde „Saitenwind“ an einem lauen Maiabend bei Sonnenuntergang bis in die Nacht hinein. Die Aufzeichnung erfolgte digital im 32bit/96kHz-High-Resolution-Format. Das verwendete Aufnahme-Equipment ist schnell aufgezählt: Wie schon erwähnt, kam als binaurales Mikrofon der Kunstkopf Neumann KU 100 zum Einsatz. Der verband sich über hochwertige Mikrofonkabel (Mogami #2549) mit dem Audio-Interface RME Fireface UFX, das dem aufzeichnenden Computer Apple MacBook Pro 15“ als A/D- und D/A-Wandler diente. Als binauraler „Kontrollmonitor“, sprich: Kopfhörer, erwies sich der Sennheiser HD 800 S nicht zuletzt durch seinen hohen Tragekomfort während der abendfüllenden Aufnahme-Session als ideale Wahl.

Auch das Mastering von „Saitenwind“ erfolgte mit „amtlichem“ Equipment. Für unbestechliche, akustische Kontrolle nebst einem motivierendem Hörerlebnis sorgten zum einen der Kopfhörer HEDDphone One, zum anderen die aktiven Nahfeld-Monitore HEDD Type 07 Mk2. Als Bindeglied zwischen digitaler Computer- und analoger Schallwandler-Domäne diente ein technisch und funktional ehrgeiziger Newcomer: Mit integrierten A/D- und D/A-Wandlern, präzisem Pegelsteller und leistungsfähigen Kopfhörer-Amps erledigte der neue RME ADI-2/4 Pro seinen Job als Steuerzentrale mit Bravour.

Für die Signalbearbeitung auf digitaler Ebene waren zwei Software-Spezialisten aus dem Hause Steinberg zuständig: Editiervorgänge, Pegelanpassungen und sowie wenige, minimal-invasive Filterkorrekturen erfolgten mit der Mastering-Suite WaveLab 11 Pro, während SpectraLayers Pro 10 der gezielten, optischen Begutachtung des Klangspektrums diente.

Die Musik von Andrea Kleinmann „Saitenwind“

Im Kloster Lorch hat Andrea Kleinmann schnell ihren perfekten Platz inmitten des Kirchenraums gefunden. Ihr Lieblingsort, was die Akustik angeht. Tonmann Jürgen Schröder favorisierte übrigens exakt den gleichen Platz vom Altar links mit Blick in das Kirchenschiff als akustisch idealen Ort für die Kunstkopf-Aufnahmen

Wir erinnern uns: In den frühen 1970ern experimentierten Klangfreaks wie Neumann oder Sennheiser mit dem damals neuen Medium, das heute beseelte Cracks wie die Label-Brüder von Chesky in aktuelle audiophile Höhen hieven. Vor allem via Kopfhörer erlaubt die Kunstkopftechnik herrliche Klangerlebnisse.

Ich erinnere mich noch an die Vinyl-Single von Sennheiser, auf der ein paar Minuten scheinbar banaler Erläuterungen mein persönliches Kunstkopferlebnis mit dem HD 414 und seinen quietschgelben Schaumstoff-Ohrpolstern generierten. Unvergesslich, wie eine männliche Stimme erklärte, dass man sich in einem Wohnzimmer befände, die Terrassentür offen. Und dann diese Stimme beinahe unheimlich ans linke und rechte Ohr extrem nah herankam, man den Lufthauch vermeintlich spürte. Spätestens mit der Ansage, er stünde nun hinter einem, riss ich den Kopf erschrockenen nach hinten: Aber da war niemand.

Das saß. Und sagt viel über diese spezielle Audiotechnik aus. Sennheiser kommentierte sie 1973 so: „… die Frage nach dem Zweck dieser Dokumentations-Schallplatte lässt sich einfach und ehrlich beantworten: In einer Zeit der technischen Superlative, in der vermeintlich nur größerer Aufwand ein höheres Erleben vermittelt, möchte Sennheiser electronic zum Nachdenken darüber anregen, ob das mit geringerem Aufwand vermittelte höhere Erleben der vorliegenden Dokumentations-Schallplatte nicht ebenso förderungswürdig sein sollte wie beispielsweise die umstrittene Quadrophonie.“ Tja.

27 Stücke hat Andrea Kleinmann für das Album ausgewählt, dabei fokussiert sie hier und da das Improvisieren auf der Basis von bekannten Stücken, steuert aber auch eigene bei. „Kleine Schatzkästchen“ nennt Andrea Kleinmann die kurzen Songperlen. Als Auftakt hören wir ihre Komposition „Schlummernde Zukunft“ mit Seele und schönem Flow. Eines ihrer Lieblingsstücke ist „Metro“. Eine Assoziation zu der Phase kurz vor dem Aufwachen, ein Hochdämmern „kurz bevor der Wecker läutet, ein bisschen hypnotisch“, erklärt sie. In der Tat.

Die Traditionals „The Quiet Lands Of Erin“, „Song Of A Waterkilpie“ stammen aus Irland, respektive Schottland. „Ma Franzes“ aus der Bretagne, Stücke wie „Alfonso SXII El Sabio“ wurzeln im Mittelalter.

„Carrickfergus“ gibt’s übrigens im Stream als Album-Teaser auf der Soundcloud von LowBeats.de:

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Der wohl prominenteste Titel „Scarborough Fair“ auf dem Album klingt wohl jedem in den Ohren – Simon & Garfunkel brachten das englische Traditional in den 1960er Jahren sanft säuselnd im Duett neu arrangiert in die Welt. In der Version von Andrea Kleinmann erfährt das ehrwürdige Stück eine sehr feinsinnige Variante – und reiht sich damit so in das Gesamtwerk ein.

Andrea Kleinmann Saitenwind Cover
Andrea Kleinmann „Saitenwind“ erscheint im Eigenvertrieb auf CD unter www.an-klang.de (Cover Design: E. Braun)

Der Untertitel von „Saitenwind“ bringt es auf den Punkt: „Harfenklänge zum Innehalten“ – die Musik chillt und wärmt. Flut für Herz und Hirn. Doch neben der musikalisch äußerst einfühlsamen Spielweise von Andrea Kleinmann „lebt“ die CD „Saitenwind“ auch von der klanglich perfekten Symbiose von Instrument und Raum: Mit relativ langer Nachhallzeit und eher lebendigem Reflexionscharakter unterstützt die Klosterkirche Lorch das transientenreiche Klangspektrum der Harfe auf perfekte Art und Weise. Oder wie sagte Jürgen Schröder zurecht: „ein akustischer Glücksfall“.

Bewertung

Andrea Kleinmann „Saitenwind“
2023/09
Test-Ergebnis: 4,5
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

Vertrieb:

www.an-klang.de

Konzerttermin von Andrea Kleinmann:

01. Oktober 2023, zwischen 13 und 17 Uhr Harfenklänge am Kloster Lorch
08. Oktober 2023, ab 14 Uhr: Harfenklänge am Kloster Maulbronn
22. Oktober 2023, zwischen 13 und 17 Uhr Harfenklänge am Kloster Lorch

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Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.