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Der neue Super-Kopfhörer Focal Utopia
Der Focal Utopia ist die standesgemäße Erweiterung der Utopia-BE-Linie in den Kopfhörerbereich. Der Over Ear Hörer hat eine offene Bauform, ist extrem edel verarbeitet und kostet 4.000 Euro (Foto: Focal)

Focal Utopia – der beste Kopfhörer der Welt?

Focal ist einer der größten und bekanntesten Lautsprecherhersteller weltweit. Wenn solch ein Hersteller ansetzt, Kopfhörer zu fertigen, darf man Großes erwarten – das wurde schon mit den ersten Modellen der Spirit-Linie klar. Doch mit dem neuen Flaggschiff Focal Utopia setzen die Franzosen eine Duftmarke, die selbst die arrivierten Mitbewerber von Audio Technica, Beats, Sennheiser & Co. die Sorgenfalten auf die Stirn werfen dürften.

Zum einen hat Focal eine große und bestens besetzte Entwicklungsabteilung. Zum anderen haben die Franzosen bei den Materialien so etwas wie einen Technologievorsprung: Kein anderer Hersteller ist so erfolgreich bei der Verwendung von Beryllium im Hochtonbereich.

Richtig eingesetzt klingen diese Kalotten besser und feiner als jede andere Kalottenart. Und zufälligerweise hat der Utopia-Hochtöner fast die Größe eines Kopfhörer-Treibers…

Machen wir eine lange Geschichte kurz: Mit dem Focal Utopia kommt im Kopfhörerbereich erstmals das klanglich vorzüglich geeignete, aber leider sehr teure (weil in der Verarbeitung extrem anspruchsvolle) Beryllium als Membranmaterial zum Einsatz.

Dazu ein paar Schlaumeier-Zahlen: Die Dichte von Beryllium ist 2,5 mal niedriger als Titan und 1,5 mal niedriger als Aluminium. Die Steifigkeit von Beryllium ist dabei 3 mal höher als Titan und 5 mal höher als Aluminium. Das bedeutet, dass eine Beryllium-Kalotte bei gleicher Masse 7 mal starrer ist als eine aus Titan.

Der Beryllium-Treiber des Focal Utopia misst im Durchmesser 40 Millimeter, ist aber nur 25 μm dünn. Deshalb noch ein Zahl: Die Masse aller bewegten Teile beim Utopia –  also Membran, Schwingspule und Einspannung – liegt bei 135 Milligramm.

Das ist extrem wenig und man darf davon ausgehen, dass eine solche Leichtgewichts-Konstruktion – zumal wenn sie von einer trickreichen Magnetkonstruktion angetrieben wird – Impulsen bestens folgen kann.

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Die Beryllium-Membran des Focal Utopia
Die extrem dünne Beryllium Membran macht den Utopia so besonders. Die Membran selbst ist nur knapp 25 Millimeter groß; die ganze Einheit kommt auf 40 Millimeter Durchmesser (Animation: Focal)
Der Magnetantrieb der Focal Utopia
In Sachen Magnetantrieb (rot) hat Focal eine einzigartige Kompetenz. Der kräftige Neodym-Ring besteht aus mehreren Einheiten und bewegt die federleichte Membran mit höchster Kontrolle (Animation: Focal)
Explosionszeichnung Focal Utopia Treiber
Der Utopia-Treiber als Gesamtkunstwerk. Die beweglichen Teile (Einspannung, Membran, Schwingspule) wiegen in Summe nur 135 Milligramm (Animation: Focal)
Ohrmuschel des Focal Utopia
Die hauchdünne Beryllium-Membran ist durch ein Gitter hinter dem Ohrpolster effektiv geschützt (Foto: H. Biermann)
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Focal Utopia: Zu gut für iPhone & Co.

Die Beryllium Treiber werden – wie auch alle Modelle der Utopia-Lautsprecher und der Utopia-Kopfhörer – per Hand im heimischen Focal-Werk in der Nähe von Lyon gefertigt.

Nur hier, meinen die Franzosen, können sie den extrem hohen Qualitätsanspruch der Utopia-Idee gewährleisten, denn die Produktion vor Ort gibt ihnen die Möglichkeit, direkt in den Fertigungsprozess einzugreifen.

Vor allem die Verarbeitung von Beryllium erfordert höchsten Aufwand: mit staubfreien Reinräumen und perfekt geschulten Profis. Für die neuen Beryllium-Treiber des Utopia Kopfhörers hat Focal die klassische Form etwas modifiziert.

Von der Seite gesehen ähneln sie einem platt gedrückten M-Profil. Der Vorteil dieser Form ist, dass sie trotz des kurzen Hörabstands so gut wie keine Phasenfehler verursacht, weil sie überwiegend flach verläuft und sich erst am Rand erhebt.

Aber natürlich sind auch die anderen Baugruppen dieses Treibers in langen Forschungs- und Simulationsreihen optimiert und von erlesener Qualität: Die Sicke ist lediglich 80 μm dünn und extrem leicht, der Neodym-Magnet weist eine beachtliche Flussdichte von 1,15 Tesla auf.

Der Focal Utopia ist ein ohrumschließender (Over Ear) Kopfhörer „offener“ Bauart. Das verhindert Kompressionseffekte und Strömungsgeräusche, hat aber den Nachteil, dass ein möglicher Nachbar vieles von der Musik, die man hört, mitbekommt.

Deshalb ist der Utopia – wie fast alle ambitionierten Over Ear Hörer – eher ein stationärer Hörer, obwohl seine Nennimpedanz von 80 Ohm auch den Betrieb an iPhone & Co. noch so gerade ermöglichen würde.

Doch das wäre Unfug: Ein Kopfhörer dieser Güte verlangt nach mehr als einem Smartphone als Quelle und Verstärker.

Entsprechend umfasst das Zubehör ein recht solides, 4 Meter langes symmetrisches Anschlusskabel mit großem Klinkenstecker, das den optimalen Signaltransport verspricht.

Nun geht es ja beim Kopfhörer-Hören nicht ausschließlich um den besten Klang; eine wesentliche Rolle spielen auch das Gewicht, die Hautfreundlichkeit von Ohrpolster und Bügelschutz, die Gewichtverteilung und letztendlich der Sitz.

Das Gewicht ist mit fast einem Pfund (490 Gramm) recht hoch, doch die anderen Punkte sind überzeugend gelöst. Ich konnte den Utopia problemlos mehr als drei Stunden tragen, ohne dass irgendetwas gedrückt hätte – da hätte ich Schlimmeres befürchtet.

Doch der gut gemachte Bügel und seine weiche, Leder-umspannte Polsterung verteilen das Gewicht recht gut.

Dass der Focal Utopia überhaupt so schwer ist, verwundert mich ein wenig. Denn bei den meisten Bauteilen gingen die Franzosen sehr gewichtsbewusst vor: Die Bügel und die Ohrmuschel-Halterungen, aber auch die Ohrmuschel selbst sind aus hoch belastbarem, aber leichtem Karbon.

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Der Barbon-Bügel des Focal Utopia
Weight Watcher: Viele Baugruppen des Focal Utopia sind aus leichtem Karbon (Foto: H. Biermann)
Das Anschlusskabel des Focal Utopia
Das Anschlusskabel des Utopia ist abnehmbar und äußerst hochwertig – aber auch recht dick. High End eben (Foto: H. Biermann)
Schon die Verpackung macht deutlich, dass hier Edles schlummert: Sie ist mit Leder bezogen (Foto: H. Biermann)
Schon die Verpackung macht deutlich, dass hier Edles schlummert: Sie ist mit handschmeichelndem Leder bezogen und verräumt Hörer und Kabel (Foto: H. Biermann)
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Suggerierte Räumlichkeit

Um die Illusion einer größeren Räumlichkeit zu erzeugen, sitzen beim Focal Utopia die 40-Millimeter-Treiber nach vorn versetzt in der Kammer – leicht eingewinkelt möglichst weit weg von den Ohren, siehe Skizze.

Dieser Trick ist immer häufiger zu finden; auch bei den Sennheiser Top-Modellen HD 800 und HD 800 S oder dem großen B&W Hörer P9 Signature wurde er angewandt.

Der Hintergrund: Sitzen die Treiber vollkommen plan vor den Ohren, entsteht meist eine starke Links/Rechts und In-Kopf-Lokalisation.

Focal aber ist ein Lautsprecherhersteller und möchte mit seinen Kopfhörern ein Klangbild suggerieren, das den Anschein hat, wie von einem Paar Lautsprecher von vorne zu kommen.

die Position der Beryllium-Treiber des Focal Utopia
Die Skizze zeigt die Position der Beryllium-Treiber. Sie sitzen leicht angewinkelt und etwas nach vorn versetzt (Skizze: Focal)

Für den Utopia hat Focal das Thema Kopfhörer an vielen Stellen noch einmal komplett neu gedacht. Das größte Augenmerk lag dabei neben der Treiberkonstruktion auf der Gestaltung der Ohrmuschel und der akustischen Ankopplung des Treibers an das Ohr.

Denn bei so kurzen Distanzen ist alles klangentscheidend. So kamen die Entwickler darauf, das Leder der Ohrpolster mit kleinen Löchern zu versehen.

Darunter sitzt ein Polster aus Memoryfoam, also einem Schaumstoff, der formbar ist und diese Form dann beibehält. Der Schaumstoff und die Löcher im Leder wirken zusammen wie ein Absorber, der für eine größerer Linearität bei der Übertragung sorgen soll.

Aber kann das sein? Die Ohrpolster? Aber hallo. Der Focal Vertrieb Music Line legte mir dankenswerterweise auch die (gleich großen) Ohrpolster des kleineren Modells Focal Elear dazu. Diesen fehlt die Mikroperforierung und sie sind komplett Stoff-bezogen.

Die Alternativ Ohrpolster des Focal Utopia
Ein interessanter Versuch: Testweise tauschten wir die originalen Leder-Ohrpolster gegen die Stoff-Modelle des kleineren Elear (im Bild vorn). Das Ergebnis war ernüchternd (Foto: H. Biermann)
Das Rondo Finale aus Mahlers 5. Symphonie unter Claudio Abbado ist ein dynamisches, von der Energie sehr schön ausbalanciertes Stück – wie gemacht für das LowBeats Klang Orakel (Cover: Amazon)
Das Rondo Finale aus Mahlers 5. Symphonie unter Claudio Abbado ist ein dynamisches, von der Energie sehr schön ausbalanciertes Stück – wie gemacht für das LowBeats Klang Orakel (Cover: Amazon)

Focal Utopia im Hörtest

Und mit ihnen klingt der Utopia völlig verändert: im Bass etwas kraftvoller, aber ruppiger und gar nicht mehr elegant. Unterm Strich spielt er mit der schlechteren Bereifung wenigstens eine Klasse unter dem Utopia mit Original-Polster.

Dass an dieser Stelle  klanglich so viel passiert, hätte ich nicht gedacht. Aber eigentlich logisch, weil auf so engem Raum jedes Detail entscheiden ist.

Auch andere Hersteller sollten sich diese Unterschiede mal anhören und diesbezüglich inspirieren lassen; da liegt noch einiges Klangpotenzial brach…

Ich aber freue mich über die noble „Grundausstattung“ des Focal Utopia und tauche mit den Lederpolstern wieder in die pralle Utopia-Welt ein. Mahlers 5. Symphonie unter Claudio Abbado hat alles: Die drängende Kraft der Kontrabässe, die Energie der Geigen und Bratschen und eine grandiose Ausleuchtung der gesamten Aufnahme.

Die Überlegenheit der Beryllium-Membran macht sich offenkundig vor allem im Hochton bemerkbar. Was man da alles hört, mit welch einer Leichtigkeit der Focal selbst winzigste Details aus der Aufnahme zieht, ist überragend.

Und das kann der neue Focal-Top-Hörer wie kaum ein anderer: Man setzt ihn auf und all die dauernd krittelnden Fragen des Testerohres (war da nicht doch eine Lästigkeit, eine kleine Überhöhung, hat er nicht dort vielleicht geschummelt…?) verstummen augenblicklich nach dem Aufsetzen. Der Focal klingt nicht nur absolut mühelos und offen, sondern auch wunderbar wohlig-angenehm.

Ein Vergleich mit zwei der besten Over Ear Kopfhörer des Weltmarkt, dem Sennheiser HD 800 S und dem Stax SR-L 700, sollten zeigen, wo der Focal letztendlich steht.

Der Sennheiser, mit seinen 1.600 Euro noch vergleichsweise günstig, ist eine Ausgeburt an Neutralität und natürlichen Klangfarben; seine Genauigkeit bei der Wiedergabe von Stimmen ist klasse.

Und doch war der Focal Utopia selbst bei der Wiedergabe von Stimmen noch überzeugender. Kritische S-Laut-Passagen meisterte er einfach noch geschmeidiger und seine Überlegenheit im Hochton machten die Aufnahmen mit ihm noch lebendiger und ereignisreicher.

Der elektrostatische Stax SR-L 700 (1.700 Euro), der zusammen mit dem passenden OTL-Röhren-Vorverstärker SRM-007t (2.925 Euro) preislich in einer sehr ähnlichen Liga spielt, ist so etwas wie der klangliche Gegenentwurf zum Focal.

Der eigenwillige japanische Over Ear begeistert mit atemberaubender Detailfülle und Mittengenauigkeit – ein Füllhorn an Informationen. Auch das ist ein grandioses Erlebnis.

Allerdings ist der Stax im Bass deutlich schlanker und wenn er auch im Hochton sicherlich zu den besten zählt, diese Leichtigkeit des Focal hat er nicht.

Es ist letztendlich Geschmackssache, welchem dieser beiden Charaktere man den Vorzug gibt; mehrheitsfähiger ist in jedem Fall der Franzose.

Fazit

Ist der Focal Utopia deshalb der beste Kopfhörer der Welt? Nein, diese Krone ist wahrscheinlich auf viele Jahre an den HE 1 (Orpheus), das große Sennheiser Kopfhörer-Projekt für 50.000 Euro, vergeben.

Aber im Ringen um Platz 2 hat der Utopia beste Karten. Ich kenne aktuell keinen anderen Over Ear Hörer, der eine derartige Transparenz und Leichtigkeit mit einer so satten und Klangfarben-starken Natürlichkeit verbindet. Das will man einfach gern hören.

Focal Utopia
2016/11
Test-Ergebnis: 4,5
Referenz
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Überragend voller, offener & luftiger Klang
Räumlicher als viele andere Kopfhörer
Gute Verarbeitung
Nicht eben günstig

Vertrieb:
Focal Naim Deutschland GmbH
Hainbuchenweg 14–18
21224 Rosengarten
www.focal-naim.de

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Focal Utopia: 4.000 Euro

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Autor: Holger Biermann

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Chefredakteur mit Faible für feinste Lautsprecher- und Verstärkertechnik, guten Wein und Reisen: aus seiner Feder stammen auch die meisten Messe- und Händler-Reports.