In den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat Mission mit seinem Zweiwegler 770 viel Geld und noch mehr Anerkennung eingeheimst. Die ehrwürdige BBC wollte den Monitor haben, dazu tausende von HiFi-Fans. Nun die Wiederkehr. Gleiche Form, gleiche Anziehungskraft, gleicher Namen (Mission 770), aber ein komplett verwandeltes Klangbild.
Peter Comeau lächelt mich an, zwinkert sogar. Das überrascht mich. Wir haben uns in den letzten 20 Jahren zwar des Öfteren getroffen, doch echtes Schulterklopfen haben wir uns nie erlaubt. Eher britisch, auf Distanz. Doch hier geht es um ein gemeinsames Erlebnis. Die Mission 770. Peter Comeau ist das Mastermind, der bekannteste Lautsprecherentwickler der IAG.
Die International Audio Group ist ein Gigant, das ist einer der mächtigsten Spieler auf dem Planeten, wenn es um High-End geht. Quad ist hier einverleibt, dazu Audiolab, Wharfedale, Luxman und eben auch Mission. Wenn ich einen HiFi-Wunsch frei hätte, dann würde ich genau mit diesen Marken in meinem Einkaufskorb erwachen. Bernard und Michael Chang, Zwillinge mit asiatischen Wurzeln, waren vor mir und haben sich diesen Traum als neue Inhaber erfüllt. Aber sie brauchen nicht nur Geld, sondern auch die Profis oder besser noch die Gentlemen. Genau diese Rolle erfüllt Peter Comeau. Vieles fällt in Asien vom Band, aber der Brite herrscht über das klangliche Ideal. Er ist der Kopf, das doppelte Ohr in der Company und frei von jeder Kritik.
Vielleicht zwinkert er mir genau deshalb zu. Er hätte da etwas für mich. Ein Superteil, dessen Wert ich sofort erkennen würde. Wir sind in einem kleinen Raum auf der HIGH END 2022 in München. Sofort bin ich auf Kurs, denn vor mir steht die neue Mission 770. Peter Comeau hat sie entwickelt, und sie sieht genauso aus wie das Urmodell von 1978, ein wuchtiger Zweiwegler. Peter Comeau hat die Legende verfeinert und den kompletten Fertigungsweg umgekrempelt. Die meisten Lautsprecher von IAG werden in China gefertigt. Die neue 770 hingegen stammt tatsächlich (wieder) aus good old England. Es gibt ein eigenes Werk in Huntington mit 25 000 Quadratmetern, das Finish ist überragend, dazu der Union Jack auf der Rückseite.
Wichtig zu wissen: Peter Comeau hatte zuvor auch die „Linton“ von Wharfedale in die Neuzeit gebracht. Ein kleines Wunderwerk mit drei Wegen und einem erstaunlichen Preis von 1.000 Euro für das Paar. Schon daraus wird klar: Die Mission 770 spielt in einer anderen Kategorie.
Mission 770: die technische Verwandlung
Wie gesagt: Die Verwandtschaft zur alten 770 ist offensichtlich: Die Abmessungen sind ähnlich, die auffällig weiß beschichtete Schallwand mit Mission-Schriftzug fast im Original übernommen. Doch hinter der Frontkulisse hat Peter alles erneuert, was es umzukrempeln gab. Die Chassis, die Weiche, den Korpus. Hier gibt es mehr Verstrebungen und dazu die neuesten Materialien zur Dämpfung.
Man wäre naiv, würde man den gleichen Klangcharakter erwarten. Damals konkurrierten alle britischen Lautsprecherhersteller um die Krone – wer baut den besten Monitor für die BBC? Dieser Wettkampf lockt keinen High-End-Freund mehr hinter dem Ofen hervor. Das ist Geschichte. Die alten Monitore waren nett, aber immer fast manisch auf die Mitten fixiert. Da wurden audiophile Werte ausgeblendet und mythisch verbrämt. Die neue 770 strebt strickt nach linearen Idealen – auch messtechnisch.
Die Bestückung der 2-Wege-Konstruktionen ist noch vergleichsweise konventionell. Wir sprechen von einem 20 Zentimeter Tiefmitteltöner mit Polypropylen-Membran und einem Hochtöner mit 28 Millimeter großer Mikrofaserkalotte – Treiber also, die so oder so ähnlich auch aus der Gründerzeit der Ur-770 hätten stammen können.
Der Anspruch der neuen Mission 770 zeigt sich vor allem beim Gehäuse, deren Wände aus einem speziellen MDF/Span-Sandwich aufgebaut sind, die zusätzlich mehrfach versteift sind. Das Gehäuse ist übrigens größer als es auf den Fotos vielleicht wirken mag: Mit Abmessungen von 59,0 x 30,0 x 32,2 cm (H x B x T) und einem Volumen von fast 40 Litern steckt sie so manche Standbox in die Tasche. Es sind die (ebenfalls komplett in England hergestellten) Metallständer, die der 770 ein leichtgewichtiges Äußeres geben.
Praxis
Missions neue Vintage-Box ist mit kaum mehr als 80 Dezibel (2 Volt / Meter) Wirkungsgrad ungewöhnlich leise. Sie braucht also sehr viel Leistung, um ihren Maximalpegel von 105 Dezibel (was sehr ordentlich ist) auszureizen. Auf der HIGH END betrieben die IAD-Leute die 770er mit dem neuen Luxman L-507Z. Klanglich passte das recht gut, vor allem aber leistungsmäßig. Bei LowBeats gefiel mir auch die Kombination mit dem eminent starken Atoll IN 400 SE sehr gut. Lange Rede, kurzer Sinn: Unter 2 x 100 Watt würde ich verstärkerseitig gar nicht erst anfangen.
Die große Kompaktbox ist im oberen Bass/Grundton eher präzise und trocken abgestimmt. Das ist nicht nur eine Verbeugung vor einer möglichst hohen Natürlichkeit, sondern eröffnet auch die Möglichkeit, die gar nicht so kompakte Kompaktbox dichter an die Wand zu rücken. Im kleinen LowBeats Hörraum stand sie (leicht eingewinkelt) mehr oder minder direkt vor der Rückwand. Das funktionierte erstklassig: Dynamik, Punch, aber auch Tiefenstaffelung – alles war da.
Hörtest
Zwei nagelneue Aufnahmen haben sich in mein Herz geschlichen, die ich umgehend per Cambridge-Streamer (selbstredend in High-Res mit 24-Bit) in den kleinen Hörraum von LowBeats gestreamt habe. Zuerst Pop/Rock. Zwei Superstars machen hier gemeinsame Sache. Jeff Beck, der Supergitarrist, hat den Filmstar Johnny Depp als Partner an eine Seite geholt. Doppelter Benefit für beide Seiten. Kürzlich habe ich die Zwei live erlebt – da drückt echte, ehrliche Rock-Energie von der Bühne. Auch von dem neuen Album der Beiden, genannt „18“? Aber holla – das ist eine wunderbare Mischung zwischen schmutzig und höchster Perfektion.
Das Ideal gibt natürlich Meister Beck vor, Depp streut die harschen Akkorde ein. Toll, wie die Mission genau dieses Wertgefüge vor unsere Ohren brachte. Das hatte Drive, Analyse und die perfekte Staffelung des Raumes. So macht Rock maximal Spaß, das sind überraschend viele Kalorien, die unsere Ohren anfüttern. Und sofort fixt uns die innere Harmonie an. Hier ist das ideale Beispiel, dass zwei Wege mitunter deutlich besser klingen als deren drei. Die beiden Treiber harmonieren aufs Schönste. Ohne jegliche Brüche steht ein mächtiges, perfekt durchtrainiertes Klangbild vor uns.
Dumme Überleitung, aber der Rockstar der Klassik ist eindeutig Richard Strauss. Der Mann wollte die Superlative, kein Orchester konnte ihm groß genug sein. Ein fetter Griff in die orchestrale Klangorgel. Das muss man steuern, das muss man lieben. Perfekt legt das derzeit – und ganz neu – Andris Nelsons auf die Klangpalette. Live hat er mit seinen zwei Orchestern die symphonischen Dichtungen für die Deutsche Grammophon eingespielt. Das Boston Symphony Orchestra trifft auf das Gewandhaus-Orchester zu Leipzig, alte und neue Welt. Und ein Wettkampf um Farben, Schattierungen und purer Klangkraft brandet auf. Da werden klassische Lautsprecher an ihr Ultimo getrieben.
Die 770 hält stand. Mehr noch, wenn beispielsweise der Gipfel der Alpensinfonie erklommen wird, dann trifft uns der Bass mächtig in den Lungen und die hohen Streichen saugen unsere Aufmerksamkeit ein. Ok, habe ich fette Standboxen, dann bekomme ich vielleicht einige Kubik an Tiefbassenergie hinzu. Aber diese Geschlossenheit, diese Leichtigkeit – da gefällt mir die neue Mission richtig gut.
Aber davon unabhängig: Wo steht die Neuauflage der Firmen-Ikone? Ein Vergleich mit der Dynaudio Heritage Special, immerhin Kompaktboxen-Referenz bei LowBeats, brachte Klarheit. Tatsächlich spielt die Dynaudio noch etwas feiner, mit noch mehr Wärme in den Stimmen und Klangfarben sowie mehr Wucht in den Tiefbasslagen. Auch die Abbildungstiefe der Dynaudio ist größer, die Umrisse der Instrumente wirken mit ihr plastischer.
Die Mission dagegen wirkt einen Hauch nüchterner, ist aber deutlich quirliger und antrittsschneller. Vor allem im oberen Bass wirkt sie energischer und präziser – was in Verbindung mit ihrer erstaunlichen Pegelfestigkeit bei vielen Musikfreunden sicher zu verzückten Gesichtern führen dürfte. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, die alte 770er auch nur annährend so mühelos und laut gehört zu haben.
Fazit Mission 770
Das Remake der 770 ist gelungen: Wir verlassen das leicht geduckte Klangbild alter BBC-Monitore und können uns trotzdem an der alten Form ergötzen. Wichtig: Dieser Lautsprecher taugt nicht für das Bücherregal oder das Sideboard – dafür ist er schlicht zu groß. Am besten frei (aber es geht auch Wandnah) aufstellen und sich darüber freuen, dass die passgenauen Ständer im Preis von 4.500 Euro enthalten sind. Somit ist die 770 zwar noch immer weit davon entfernt, günstig zu sein, aber das Gesamtpaket stimmt. Man bekommt Feinkost aus einer puren, britischen Fertigung. Dazu den Geniestreich eines Entwicklers, der nicht nur am Computer entwirft, sondern auch das intensive Hören noch nicht verlernt hat. Peter Comeau hat mit der neuen 770er ein schönes Ausrufezeichen gesetzt, das Geschichte und Moderne aufs Schönste vernetzt.
Bewertungen
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Gradlinig-natürliche, sehr „schnelle“ Wiedergabe |
| Erstaunlich viel Druck bei Rock und großer Symphonik |
| Gute Verarbeitung „Made in England“ |
| Braucht vergleichsweise viel Leistung |
Die technischen Daten
Mission 770 | |
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Technisches Konzept: | 2-Wege Kompaktbox mit Ständer, Bassreflex |
Bestückung: | 1 x 20 cm PP-Tiefmitteltöne, 1 x 28 mm Gewebekalotte |
Max. Pegel: | 105 Dezibel |
Empf. Verstärkermindestleistung: | 2 x 100 Watt |
Besonderheit: | gut für wandnahe Aufstellung geeignet |
Abmessungen (H x B x T: | 59,0 x 30,0 x 32,2 cm (ohne Ständer) |
Gewicht: | 19,2 Kilo |
Alle technischen Daten |
Mit- und Gegenspieler:
Test Vollverstärker Luxman L-507Z: Tradition auf neuestem Stand
Test Atoll IN 400 SE: bester Vollverstärker unter 5.000 Euro?
Test Dynaudio Heritage Special: in der Tradition der großen Sondermodelle