In Zeiten industriell perfekt gefertigter und technisch ausgefuchster, fast universeller Bluetooth-Kopfhörer wie den kürzlich getesteten Apple AirPods Max stellt sich manchem vielleicht die Frage, ob kabelgebundene Kopfhörer für vierstellige Summen, die zudem nach einen hochwertigen Kopfhörerverstärker verlangen, noch eine Daseinsberechtigung haben. Der Rosson Audio Design RAD-0 Magnetostat beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja. So viel überzeugende Klangqualität und eine solch luxuriöse Bauweise gibt es im Mainstream halt nicht.
Alexander Rosson ist nicht irgend jemand im Kopfhörer-Business, sondern ein Mann mit blendender Reputation. Als Musiker und Toningenieur sowie Mitgründer und Entwickler hat er Audeze zu einem angesagten Namen im High-End-Kopfhörermarkt verholfen. Doch manchmal trennen sich die Wege einstiger Geschäftspartner wegen unterschiedlicher Vorstellungen über Geschäftsstrategien. So kam es, dass Rosson seine Vision von exklusiven, hochwertigen Kopfhörern irgendwann lieber auf eigen Faust realisieren wollte.
Der RAD-0 ist das erste 100 Prozent eigene Projekt des eingefleischten Spezialisten für magnetostatische Schallwandler in Bügelkopfhörern. RAD steht natürlich für Rosson Audio Design, dem Namen seines Unternehmens mit Sitz in Reseda, Kalifornien.
Der Aufbau des Rosson Audio Design RAD-0
Designtechnisch fällt die Verwandtschaft des RAD-0 zu einigen Audeze-Modellen Kennern natürlich sofort auf. Zumindest im Hinblick auf die typisch große, ohrumschließende runde Form der Treibergehäuse, die ihrerseits aus dem Ziel geboren wird, möglichst große Folienmembranen vor die Ohren der Hörer zu bringen.
Technisch bleibt Rosson dem Prinzip der magnetostatischen Schallwandler also treu. Für den RAD-0 designte er eine 66 mm durchmessende Folie aus einem nicht näher spezifizierten Verbundmaterial, die durch ein Antriebssystem mit elf kreisförmig angeordneten Neodym-Magneten in Schwingungen versetzt wird.
Die Technik gerät bei Rosson aber fast schon ein wenig in den Hintergrund. Sämtliche Beschreibungen, von denen ich auch nicht viel mehr als die im Web verfügbaren kenne, lassen den Schluss zu, dass es beim RAD-0 viel mehr um Design und Exklusivität geht – natürlich ohne den Klang auf der Strecke zu lassen.
Der Ansatz ist nicht verkehrt. Bedenkt man, wie makellos ein Apple AirPods Max für vergleichsweise bescheidene 612 Euro gefertigt ist, muss ein 3.300 Euro teurer Edelhörer wie der RAD-0 schon ein Erlebnis besonderer Art bieten. Und damit ist eben nicht nur besserer Klang gemeint. Tatsächlich bietet der RAD-0 einen gewissen Erlebnischarakter, den man ihm auf Bildern und selbst auf den ersten Blick in Natura nicht sofort ansieht.
Die Show beginnt schon mit dem „Case“. Anstatt einen einfachen Turnbeutel oder ein Reisverschluss-Case wie bei vielen Mobilkopfhörern mitzuliefern, oder den RAD-0 in irgendeine Holzschatulle mit Plüschbettchen zu legen, entschied sich Rosson für einen super-stabilen Kunststoff-Koffer, der sogar schwimmt und ein Druckausgleichsventil hat. Solche Tough-Cases, hauptsächlich bekannt durch die Marke Pelican, werden normalerweise für empfindliches Mess- oder Fotoequipment bei Nutzung in den unwirtlichsten Gegenden der Welt eingesetzt.
Aber auch einen Luxuskopfhörer schützt man damit bestens. Solche Hartschalenkoffer kosten nicht die Welt. Aber sie haben wenigstens einen höheren Nutzen als mit Seide tapezierte Edelholzboxen und bieten mehr Schutz beim Transport als jedes normale Kopfhörer-Case.
Das besondere Rosson Audio Design
Im Gegensatz zum Case legt Rosson beim Kopfhörer selbst deutlich mehr Wert auf ausgefallenes Design und hochwertige Materialien. Nicht nur die satten 619 g Gramm Gewicht (ohne Kabel) machen deutlich, dass es sich hier um alles andere als normale Kopfhörer handelt.
Markantestes Designmerkmal des RAD-0 sind die äußeren Gehäuseverkleidungen, also die Ringe um die nach außen offene Treiberabdeckung. Das LowBeats Testmuster war mit Ringen aus blau-bunt gemasertem Micarta versehen. Das ist nicht etwa eine Holzart, sondern ein auf verschiedensten Materialien basierender Faser-Kunststoff-Verbundwerkstoff, der mit einem Harz vergossen wird. Im Prinzip kann der Hersteller hiermit die ungewöhnlichsten Materialmischungen zu einem Ring gießen. Käufer haben zudem die Möglichkeit, eigene kleine Objekte wie Edelsteine von Rosson in die Ringverkleidung einbetten lassen. Aber auch ohne diese Individual-Option ist jeder RAD-0 quasi ein Einzelstück. Es gibt keine zwei mit exakt gleicher Optik. Ein Merkmal, das bei Apple & Co. definitiv nicht zu haben ist.
Die Farbgebung des Testmusters ist, wie Sie auf den Bildern selbst sehen, eindeutig extravagant und eigenständig. Vielleicht nicht jedermanns Geschmack, aber genau das will der Käufer eines RAD-0 auch nicht. Hier geht es um Persönlichkeit und Exklusivität.
Auch der Rest des RAD-0 ist eindeutig als „nicht von Fließband“ erkennbar. Die verchromte Aufhängung und Bügelverbindung ebenso wenig wie das Kopfband und die extra-dicken Ohrpolster mit feinstem Lederbezug. Der Begriff „Custom Made“ trifft die Anmutung des RAD-0 wohl am besten. Aber im positivsten Sinne. Also „Custom“ wie Individualausstattungen bei Rolls Royce oder für Yachten. Ziemlich wuchtig alles, aber seeehr edel gemacht das Ganze. Und natürlich alles in Handarbeit.
Der RAD-0 in der Praxis: Gute Gewichtsverteilung, famoser Klangspaß
Der Klang muss trotzdem stimmen, sonst wäre es nur ein crazy Mode-Accessoire. Beim Aufsetzen vermisse ich erst mal eine Links/Rechts-Markierung. Die gibt es einfach nicht. Die asymmetrisch geformten Ohrpolster geben einen ersten Hinweis. Beim probeweise Aufsetzen erweist sich nur eine Richtung als komfortabel: Mit den etwas dünneren Seiten der Polster nach vorne.
Die 3,5 mm Kabelanschlüsse an beiden Hörern zeigen genau nach unten. Es werden zwei sehr schön gemachte, nicht zu dicke oder steife Kabel von etwa 2,5 Metern Länge mitgeliefert. Eines mit 3,5 mm Klinkenstecker plus Adapter auf 6,35 mm und ein symmetrisches mit XLR-4-Stecker an der Quellenseite. Unangenehme Kabelgeräusche beim Tragen gibt es glücklicherweise nicht zu vermelden.
Die rund 620 Gramm des RAD-0 fühlen sich auf dem Kopf buchstäblich sehr erträglich an. Dank eines ausreichend hohen Anpressdrucks, der durch die wunderbar weichen und dicken Polster aber selbst bei längerem Tragen nie unangenehm wird, hält der Hörer auch bei schnelleren Kopfbewegungen sehr gut. Die sehr nachgiebigen Polster sind auch für Brillenträger ein Plus.
Klang: Magnetostat mit dynamischen Qualitäten
Im Hörtest fiel zunächst die weitgehend neutrale und in keinem Frequenzbereich überbetonte Spielweise des RAD-0 auf. Das hat durchaus Studio-Charakter. Entsprechend gute und potente Kopfhörerverstärker vorausgesetzt, entwickelt der RAD-0 ordentlich Schub. Seine vielleicht hervorstechendsten positiven Eigenschaften liegen aber im Bereich Feindynamik. Gitarrensaiten, Anblasgeräusche, Klavier, ausschwingende Felle… Immer wenn es darum geht, Mikro-Details zu modellieren, kann der Rosson sich glänzend in Szene setzen.
Der Bassbereich ähnelt erstaunlich dem eines sehr guten dynamischen Kopfhörers, wie etwa ein Focal Utopia. Kräftige Bassdrums haben mit dem RAD-0 die nötige nachhaltige Durchschlagskraft. Wo andere Kopfhörer mit Folientreibern zwar in der Regel ultra-sauber klingen und auch tiefste Register makellos abbilden, fehlt ihnen oft der gewisse Punch, den dynamische Spitzenkopfhörer wie der Utopia bieten. So gesehen verbindet der RAD-0 das Beste aus zwei Welten. Dynamisch forciert und feingeistig gleichermaßen. Und im Vergleich zum bei LowBeats kürzlich so hochgelobten T+A Solitaire P-SE? Der deutsche Over Ear – vom Konzept nicht ganz unähnlich – spielt in den oberen Mitten etwas lebendiger und mitreißender. Der RAD-o dagegen tourt mehr von unten heraus: Er gibt den in allen Bereichen lässigen Souverän.
Aus meiner Sicht lieferte nur der Sonoma M1 ein für meinen Geschmack noch überzeugenderes Gesamtbild – was fast das größte Kompliment ist, was ich aussprechen kann. Denn der Einstandspreis des M1 liegt bei rund 6.000 Euro, was allerdings auch schon einen perfekt auf ihn zugeschnittenen DAC/Kopfhörerverstärker beinhaltet. Da die Meisten dem Rosson vermutlich einen Amp ähnlicher Gute und Preisklasse spendieren dürften, passt der Vergleich also durchaus. Der Sonoma hat zudem allerdings noch einen Komfort-Vorteil, weil er erheblich leichter ist.
Apropos Kopfhörerverstärker: Der RAD-0 ist mit seinen 29 Ohm Impedanz elektrisch keine allzu schwere Kost, ja sogar als erstaunlich unkompliziert einzustufen. Der nur 150 Euro teure ZEN DAC im Testgeräte-Park kam mit ihm absolut mühelos zurecht und konnte sein Potential schon sehr gut freilegen. Interessenten für den RAD-0, die nicht gleich das Geld für den Hörer und einen ähnlich kostspieligen Amp auf die Theke blättern können oder wollen, haben somit die Möglichkeit, beim Front-End sparsamer anzufangen.
Fazit: Luxus ist auch eine Frage der Individualität
Er klingt. Und wie! Einzigartig am Rosson RAD-0 finde ich vor allem seinen Hybrid-Charakter, der klanglich positive Eigenschaften dynamischer und magnetostatischer Treiber geschickt miteinander kombiniert. Heißt: auch wenn Sie treuer Anhänger der dynamischen Treiberbauweise sind, sollten Sie den RAD-0 bei Gelegenheit unbedingt mal ausprobieren.
Ebenso einzigartig sind die Gestaltungsmöglichkeiten des zugegebenermaßen recht wuchtigen Gehäuses. Ja, es gibt auch andere Hersteller, die beispielsweise mit andersfarbigen Gehäuseaufsätzen Abwechslung im Look bieten wollen, aber das ist mit der „Custom Made“-Methode des Rosson nicht zu vergleichen.
Eines muss dabei aber unbedingt bedacht werden: Die Verarbeitungsqualität im Detail ist bei Handgemacht eben nicht so makellos, wie bei Bauteilen die aus automatisierten CNC-Maschinen fallen. Kleine Imperfektionen (bitte nicht mit schlechter Verarbeitung verwechseln) sind dafür charakterbildend.
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Klanglich gelungene Mischung aus dynamisch und feingeistig |
| Individuelle Gehäuse-Anpassungen möglich |
| Toll verarbeitet |
| Recht schwer (619 Gramm) |
Vertrieb:
audioNEXT GmbH
Isenbergstr. 20
45130 Essen
www.audiodomain.de
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Rosson Audio Design RAD-0: 3.300 Euro
Technische Daten
Rosson Audio Design RAD-0 | |
---|---|
Techn. Konzept: | planarmagnetisch (Magnetostat) |
Bauform: | offen, Over Ear |
Anschluss: | Kabel, 3,5 mm Klinke |
Besonderheiten: | individuelles Finish |
Übertragungsbereich | 20 Hz – oberhalb der Hörschwelle |
Treibergröße: | 66 mm Ø |
Übertragungsbereich: | 20 Hz – oberhalb der Hörschwelle |
Gewicht: | 619 Gramm |
Alle technischen Daten |
Mit- und Gegenspieler:
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