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McIntosh MC275 AC ohne Abdeckung
Die Röhren-Endstufe MC275 ist selbst für die Traditions-bewussten Macher von McIntosh schon sehr lang im Programm. Wir kombinierten sie mit der Wiederauflage der ebenfalls legendären C22 Vorstufe. Die Kombi ist nicht nur für Retro-Fans ein Traum... (Foto: McIntosh)

Test Vor-/Endstufenkombi McIntosh C22 MK V AC / MC 275 AC

Die McIntosh C22 MK V AC und MC275 AC sind längst nicht die teuersten Modelle aus dem Hause McIntosh. Aber sie gehören auf jeden Fall zu den schönsten – optisch wie klanglich: Eine Vor- Endstufenkombi zum Verlieben.

Wenn man McIntosh etwas vorwerfen kann, dann vielleicht die nahezu unüberschaubare Zahl an Amp-Modellen, die in Binghamton im US-Bundesstaat New York von rund 150 MitarbeiterInnen weitgehend von Hand zusammengebaut werden. Allein 20 verschiedene Endstufen habe ich gezählt.  Auch wenn man als Stereofreund zum Beispiel die Mehrkanalmodelle leicht aussieben kann, und selbst wenn man ganz Abgehobenes wie die Dreizentner-Monos MC2KW vorab streicht, steht man doch immer noch vor einer verwirrenden Vielfalt. Die im nächsten Schritt schließlich noch um eine von immerhin elf Vorstufen ergänzt werden will. Wer es sich einfacher machen will, nimmt einen Vollverstärker – aber auch da warten zehn Offerten, eine schöner als die andere.

McIntosh MC275 AC Logo
Retro ohne Reue: McIntosh gibt es seit über 70 Jahren, das Modell MC275 seit mehr als 60 Jahren. Da darf man beim Typenschild gerne etwas dicker auftragen (Foto: B. Rietschel)

Dem Besitzerstolz ist das genaue Gerät egal. Sobald das über 70 Jahre alte Firmenlogo auf der Frontplatte prangt und das vertraute Farbenspiel von Schwarz, Chrom, Tiefgrün und Türkis den Raum erleuchtet, wird aus dem banalen Kauf von Unterhaltungselektronik etwas Größeres, fast Metaphysisches. Das sage ich als Tester, der schon vor hunderten tollen Verstärkern gesessen hat, mitunter deutlich teurer als diese US-Combo: McIntosh hat eine ganz eigene Magie. Es gibt viele Marken, die ihre technische Aufgabe perfekt erfüllen. Aber nur eine, die das konsistent seit über 70 Jahren genauso tut wie McIntosh. Nach ein paar Wochen mit der MC275 und der C22 kann ich sehr gut nachvollziehen, warum der Weg zu McIntosh für viele Musikfans einer ohne Wiederkehr ist: Das Zeug macht aus HiFi-Sicht sehr glücklich und überaus zufrieden. Es ist ein absolutes Vergnügen, damit Musik zu hören und – für mich – auch zu arbeiten.

Das Besondere an der McIntosh MC275 V AC

Beim Einschalten der Vorstufe C22 MkV und der Endstufe MC275 MkVI – was dank PowerLink-Steuerspannung mit einem einzigen Knopfdruck geschehen kann – kommt ein ganz kleines Bisschen Woodstock-Feeling auf. Nicht nur, weil beide komplett mit Röhren verstärken und ihr Design unverkennbar zurück in die 1960er Jahre weist. Sondern weil die PA des epochalen Rockfestivals im Sommer 1969 tatsächlich komplett aus McIntosh-Amps bestand. Zahlreiche Exemplare des jüngst in einer neuen Version wieder aufgelegten 350-Watt-Röhrenmonos MC3500 schwitzten da in den Racks. Aber auch – glaubt man damals Beteiligten – etliche MC275 MkI, also direkte Urahnen des heutigen, gleichnamigen Endverstärkers in unserer Testkombi. Von dessen im Grunde unveränderter „Unity Coupled“ Ausgangsstufenschaltung der große Tim de Paravicini einst sagte, es sei der einzige fremde Entwurf, von dem er sich wünschte, es sei seiner gewesen.

McIntosh MC275 AC Tubes
Schwermetall: Die mächtigen Ausgangstrafos sind wesentlich für die 30 Kilo Startgewicht der MC275 verantwortlich, aber auch für ihre erstaunlich universellen Praxiseigenschaften und den ausgewogenen Klangcharakter. Der „Unity Coupled“ Betrieb verlangt einen besonderen Aufbau der Signalumspanner, den Frank H. McIntosh bereits 1949 zum Patent anmeldete (Foto: B. Rietschel)

Zusammen mit der Vorstufe C22 MkV bildet die MC275 MkVI eine klassisches, wunderschönes Gespann, optisch retro, aber technisch überall da modernisiert, wo Klang, Zuverlässigkeit und Sicherheit profitieren. Nicht geändert hat sich die grundlegende Schaltung und Funktionsweise: Vor- wie Endstufe arbeiten komplett analog, was beim Preamp gleich zwei komplette Phonoteile miteinschließt, eines für MM- und eines für MC-Systeme.

McIntosh MC275 AC von der Seite
Die wichtigsten Kenndaten ihrer Endstufen-Ikone drucken die Amerikaner einfach direkt auf die Edelstahl-Seitenwand. „Auto Off“ versetzt die Endstufen nach 30 Minuten ohne Signal in Standby. Ob das bei einem Röhrengerät langfristig sinnvoll ist, hängt vom Nutzungsrhythmus ab. Aber die Funktion ist ja zum Glück abschaltbar. Im Bild ist übrigens die US-Version zu sehen. Die deutsche „AC“-Ausführung sieht gleich aus, ist aber für 230 Volt ausgelegt (Foto: McIntosh)

Und natürlich basiert die Endstufe auf klassischer McIntosh-DNA in Form der Unity-Coupled-Ausgangsstufe. In den 1950er Jahren von McIntosh vorgestellt, versprach Unity Coupling drastisch niedrigere Verzerrungen und größere Bandbreite, stellte aber hohe Anforderungen an Aufbau und Qualität der Ausgangsübertrager. Was McIntosh mit hauseigenen, kunstvoll bifilar gewickelten Trafos genauso elegant löste wie die ebenfalls anspruchsvolle Ansteuerung dieser Ausgangsstufe. Es ist also kein Zufall, dass auf dem Oberdeck der MC275 nicht weniger als sieben Doppeltrioden Spalier stehen, um je Kanal ein Pärchen KT88-Beam-Tetroden zur Arbeit zu animieren.

McIntosh MC275 AC von oben
Volle Power an jeder Box: Röhrentypisch offeriert die MC275 Anschlussklemmen für verschiedene Lautsprecherimpedanzen. Für Monobetrieb werden die benötigten Klemmen des linken und rechten Kanals miteinander verbunden. Die dazu benötigten Brücken liegen der Endstufe bei – ebenso wie ein Schraubenschlüssel zum Festziehen der Klemmen (Foto: McIntosh)

Die lassen sich natürlich auch mit weniger Vorarbeit zum Spielen bringen – was zahllose andere Röhrenamps vormachen. Aber meist nicht mit der Kombination aus Verzerrungsarmut, hoher Leistungsausbeute und niedrigem Ausgangswiderstand, wie sie die MC275 hinbekommt. Dank wahrhaft riesiger Ausgangstrafos und einem kaum weniger eindrucksvollen Netzteil holt McIntosh aus den Endröhren großzügige 2 x 75 Watt heraus – oder einmal glatt das Doppelte, wenn die MC275 als Monoblock läuft. Die beiden Kanäle werden dann nicht gebrückt, sondern parallelgeschaltet, weshalb sich in Mono nicht nur die Leistung verdoppelt, sondern auch der Ausgangswiderstand halbiert, was im Umgang mit schwierigen Lautsprechern Vorteile bringt. Und zwar ohne die Vakuumkolben über Gebühr zu stressen und auf Verschleiß zu fahren: Die gleichen fetten Daten brachte schon die Ur-275 aus dem Jahr 1961. Um sich einen Ruf als grundsolide, höchst zuverlässige Endstufe zu erarbeiten, hatte die 275 also rund 60 Jahre Zeit.

McIntosh MC275 über die Jahre
MC275 Familienfoto (von links nach rechts): Originalversion 1961-1971; Mk II Gordon Gow Com-memorative Edition 1993; Mk III 1995-2003; Mk IV 2004-2007; Mk V 2007-2011; Mk VI 2011. Das Modell 2011 war die 50th Anniversary Limited Edition und war mit einem goldenen Chassis erhältlich (Foto: McIntosh)

Heutige 275er sind potenziell nochmals zuverlässiger – ein Resultat moderner Materialien und Verfahren: Hochspannungsfeste Kondensatoren halten heute länger und sind deutlich kompakter. Moderne Bauteile sind temperaturstabiler, halten also ihre Werte unter Last besser konstant. Damit driftet heute allenfalls noch das Bewusstsein des Zuhörers ab, nicht aber die Arbeitspunkte seiner Verstärker. Auch die klangentscheidenden, teuren Ausgangstrafos, die einst bei Röhrendefekten auch mal durchbrannten, sind heute nicht nur besser, sondern auch härter im Nehmen, weil Lackdraht mit heutigen Beschichtungen einfach widerstandsfähiger ist. Im worst case greift zudem eine elektronische Schutzschaltung, die Ausgangsströme und Leistungsröhren überwacht. Läuft je irgendein Parameter aus dem Ruder, schaltet sich die MC275 automatisch ab und zeigt sogar an, von welcher Röhre Unheil droht. Dazu verwendet sie die LED-Beleuchtung der Eingangsröhren, die dann neben der betroffenen KT88 von grün auf rot wechselt. Als dritte Farbe steht Bernsteinorange auf dem Programm – aber nur kurz und weniger alarmierend: Es signalisiert die Aufwärm- und Stabilisierungsphase nach dem Einschalten.

Das physische Layout der MC275 ist eigenwillig. Es gibt keine eindeutige Vorder- oder Rückseite und egal wie man das Chassis stellt, kommen an unerwarteten, nicht immer praktischen Stellen Kabel und Schalter heraus. Steht die Endstufe quer, schaut man auf ihr wunderschönes, im alten Steampunk-Stil aus massivem Metall gehauenes Namensrelief. Dahinter reihen sich dann recht konventionell erst die Vor-, dann die Endröhren und zuhinterst die drei mächtigen Transformatoren. Sämtliche Audioanschlüsse, Mono-, Standby- und Eingangsschalter sitzen dann aber auf der linken Gehäuseseite, IEC-Netzbuchse, Sicherung und der Schalter fürs Strom sparende Auto-Standby gegenüber auf der rechten Flanke.

McIntosh MC275 AC mit Abdeckung
Abnehmen auf eigene Gefahr: Die CE-Richtlinie möchte die MC275 am liebsten nur mit schützendem Röhrenkäfig sehen. Der Schutz ist angesichts von Gleichspannungen von über 700 Volt sinnvoll und schadet auch klanglich nicht (Foto: McIntosh)

Dort sind zudem sämtliche technischen Daten – von der Leistung bis hin zu den Intermodulationsverzerrungen – in schwarzer Schrift auf den Edelstahl gedruckt. Es ist also ganz schön viel los an, auf und um diesen Verstärker. Aber das ist OK und gut so. Im Motorraum eines 60er-Jahre-Sportwagens ist ja auch noch nicht alles wie heute in Plastik-Tupperdosen verpackt. Wobei es keinen Blickwinkel gibt, aus dem die Endstufe nicht klasse aussieht. Ihr Oberdeck besteht heute aus poliertem Edelstahl (ursprünglich war es aus verchromtem Stahlblech, das mit den Jahrzehnten auch schon mal rosten konnte), Chassis, Trafos und Röhren-Schutzkorb sind unspektakulär, aber sauber schwarz lackiert. Was fehlt, sind die ikonischen blauen Anzeigeinstrumente. Die tauchten erst 1967 an einer McIntosh-Endstufe auf und hätten an der 275, die ja noch ohne wirkliche Frontplatte auskommt, auch gar keinen Platz gefunden.

Das Bedien- und Anschlussfeld an der – formal – linken Seitenwand ist auch so schon gut bevölkert. Die zugangsfreundlich nach hinten abgewinkelte obere Hälfte trägt insgesamt acht äußerst massive Anschlussklemmen, die fingerschwache BesitzerInnen auch mit einem 15er Steck- oder Gabelschlüssel anziehen und lösen können. Dann aber bitte nicht übertreiben, denn merke: Gewaltig wird des Audiophilen Kraft, wenn er mit dem Hebel schafft. Von oben passen natürlich auch Bananas hinein, die zumindest zum Auffinden der klanglich optimalen Klemmen auch praktischer sind. Neben der gemeinsamen Masse gibt es für jeden Kanal Trafoanzapfungen für 4-, 8- und 16-Ohm-Lautsprecher, im Monobetrieb verschiebt sich die Zueignung wie oben beschrieben auf 2, 4 und 8Ω, was auch sinnvoll ist angesichts der Tatsache, dass die wahren Wattfresser eben doch meist moderne, niederohmige Konstruktionen sind.

Auf der unteren, senkrechten Partie der Edelstahlwand finden sich ganz links zwei kleine Klinkenbuchsen für die Triggerspannung zur Ferneinschaltung, gefolgt vom Mono-Switch und dem Eingangsumschalter, der zwischen XLR- und Cinch-Buchsenpaar wählt. Der symmetrische Input umgeht die erste Röhren-Verstärkungsstufe und ist daher 6dB leiser als Cinch. Hat man in 25 Jahren mal das Handbuch verlegt, kann man auch das an der rechten Seitenwand nachlesen: Von 1,7 Volt via Cinch steigt input sensitivity, also die für Vollaussteuerung nötige Eingangsspannung dann eben auf 3,4 Volt. Mit dem C22 als Quelle gefiel uns im direkten Vergleich aber ohnehin die unsymmetrische Verbindung besser. Bei sehr langen Verbindungen kann es aber auch mal andersherum ausgehen, schon weil „Balanced“ in puncto Einstreusicherheit überlegen ist.

Die Vorstufe McIntosh C22 Mk V AC

Dass der C22 MkV via XLR normalerweise nicht besser klingt als über Cinch, leuchtet ein, wenn man sich das Blockschaltbild des Vorverstärkers anschaut: Grundsätzlich arbeitet der C22 unsymmetrisch, für XLR muss ein zusätzlicher (Halbleiter-) Verstärker das Röhrensignal symmetrieren. Auch für diese Info muss man nicht lange in irgendwelchen Servicemanuals blättern, sondern einfach nur auf den Gerätedeckel blicken: In bester McIntosh-Tradition ist dort der Signallauf durchs Gerät skizziert. Und zwar nicht irgendwie, sondern in Gold auf Schwarz hinter einer Echtglasscheibe im A5-Querformat. Das hat Stil. Erst recht, weil im unteren Drittel des Glasfensters, gut geschützt und dennoch perfekt in Szene gesetzt, jene sechs Röhren glimmen, die die aktive Hauptrolle im Signalweg des Vorverstärkers spielen. Es handelt sich durchweg um Doppeltrioden, fünfmal 12AX7 sowie eine niederohmige 12AT7 als Ausgangstreiber. Von den fünf 12AX7 dient nur eine der Line-Stufe. Alle anderen sind den beiden Phonostufen des C22 gewidmet.

McIntosh C22 MK V AC Röhren
Anschaulich: Das Blockschaltbild verrät eine geradlinig aufgebaute Line-Stufe und komplett separate MM- und MC-Vorverstärker. Schön, dass die Röhren in das Diagramm mit einbezogen wurden. Wer die grüne LED-Beleuchtung hier zu kitschig findet, kann sie auch abschalten (Foto: McIntosh)

Spätestens jetzt wird klar: Auch bei den McIntosh-Vorstufen gibt es klare Nutzerprofile, und letztlich ist die zunächst verwirrende Auswahl gar nicht mehr so verwirrend. Auf der C22 MK V AC steht zum Beispiel quasi mein Name drauf: Eine rein analoge Vorstufe mit gleich zwei voll konfigurierbaren Phonoeingängen, spezialisiert auf MM- respektive MC-Tonabnehmer. Und eine, deren Wurzeln wie die der Endstufe bis zurück in die frühen Sixties reichen.

McIntosh C22 MK V AC Front
Audiophil, aber nicht spartanisch: Die McIntosh C22 Mk V zeigt eindrucksvoll, dass man für fantastisch feinen, ungebremsten Klang keine Zugeständnisse beim Komfort machen muss (Foto: McIntosh)

Optisch ist die Ähnlichkeit zum C22-Urtyp frappierend. Auch die sechs Röhren gab es schon im MkI, allerdings mit vielfältigeren Aufgaben, die heute beim besten Willen kein ziviler Vorverstärker mehr beherrschen muss. Etwa Tonbandeingänge mit variabler Entzerrung für Bandmaschinen ohne eigene Elektronik. Solche Dinge halt. Nun gibt es eben zwei Phono-Inputs, getrennt ausgeführt, bis das Signal vollen Line-Pegel erreicht und auch die RIAA-Entzerrung durchlaufen hat. Das klingt wie Verschwendung, wo doch alle Verstärkungsschritte mit Ausnahme des allerersten bei MM und MC gleich sein könnten. Aber so lassen sich beide Inputs auf ihre jeweilige Aufgabe spezialisieren. Zudem ist auf diesem Weg das Signal vollständig gekräftigt und entzerrt, noch bevor es dem ersten Schaltkontakt begegnet.

McIntosh C22 MK V AC Rear
Zwei Phonoeingänge mit jeweils eigener Erdklemme (rechts unten) warten am C22 auf Plattenspieler-Signale. Wer zwei Spieler (oder zwei Arme auf einem Spieler) betreibt, kann zwischen beiden umschalten, sofern einer mit MM und der andere mit MC bestückt ist. Line In gibt‘s dreimal als Cinch und zweimal symmetrisch, Pre Out je zweimal in XLR und Cinch (Foto: McIntosh)

Wobei auch von diesem keine Gefahr droht, auch langfristig nicht: Alle Schaltvorgänge, von der Eingangswahl über die Klangregler, den Monoschalter bis hin zur Widerstands- und Kapazitätsanpassung der Phonoinputs, laufen über hermetisch dichte, langzeitstabile und extrem kontaktsichere Reed-Relais, die sich beim Öffnen und Schließen mit ihrem charakteristischen, weichen Ticken zu erkennen geben. Völlig geräuschlos und frei von merklichen Stufen arbeitet die Lautstärke- und Balanceregelung, die sich eines integrierten Widerstandsnetzwerk-Bausteins bedient. Anders als C22-Exemplare vergangener Jahrzehnte steuert die aktuelle MkV ihre Funktionen digital mit einem ARM-Prozessor samt updatefähigem Betriebssystem – mit dem paradoxen Effekt, dass sich das gesamte Handling ganz besonders analog anfühlt.

Beide Phonoeingänge lassen sich parallel belegen und an das jeweils verwendete System anpassen. Besitzer oder Besitzerin müssen sich dazu nicht unwürdig hinters Rack beugen oder den edlen Vorverstärker gar aufschrauben. Vielmehr findet die Feineinstellung direkt an der Frontplatte statt: Ein Alu-Drehknopf im klassischen McIntosh-Stil mit silbernem Riffelkranz und schwarz eloxiertem Zentrum bietet dem MM-Fahrer sieben Kapazitätswerte zwischen 50 und 350 Picofarad an. Die MC-Pilotin darf zwischen sieben Widerständen wählen, die von 25 Ohm bis hin zu einem Kiloohm reichen. Genug Spielraum, um jeden Tonabnehmer korrekt abzuschließen und auf den Hörgeschmack feinzutunen.

Beide Phonoeingänge arbeiten souverän rauschfrei. Auch mit wirklich leisen Systemen, etwa einem Denon DL-103R im Zwölfzoll-Arm FX512 auf meinem Funk Super Deck Grande, bleibt das Eigengeräusch der Elektronik weit hinter dem Rillenrauschen zurück und fällt auch beim Plattenumdrehen mit aufgedrehter Lautstärke nicht weiter auf. Wenn MC-Inputs so wenig rauschen, sind entweder Eingangsübertrager am Werk, oder wie hier eine MC-optimierte, sehr störarme Transistor-Verstärkungsstufe, die die sensiblen Strömchen aus den bewegten Mikrospulen sensibel und doch bestimmt aus der Bedeutungslosigkeit hebt.

Nicht zu vergessen: Die Phonoeingänge klingen überragend. So gut, dass hier ein externer Phono-Preamp wirklich keinerlei Sinn ergibt. Wäre ja auch idiotisch, denn die C22 in ihrer heutigen  Form ist ja bereits ein ausgewachsener Phono-Preamp. So, wie einst alle guten Vorverstärker in erster Linie Phono-Vorverstärker waren – einfach, weil LPs das einzige echte Primärmedium zum Musikhören darstellten.

Natürlich sind am C22 auch Line-Eingänge dran, in Cinch- und symmetrischem XLR-Format insgesamt derer fünf. Sowie vier Ausgangs-Stereopaare, alle im Pegel geregelt. So lassen sich auch kompliziertere Ketten, etwa mit Bi-Amping und Subwoofer(n), komfortabel verkabeln. Es gibt einen Kopfhörerausgang mit leistungsfähigem eigenem Verstärker, der exzellent klingt und auch mit schwierigen High-End-Hörern wie meinen Audeze- und Quad-Magnetostaten zurechtkommt. Zuschaltbar ist die McIntosh-Spezialität HXD, ein Crossfeed-Prozess, der aus der Headphone-typischen Im-Kopf-Lokalisierung wieder einen Klang mit räumlicher Tiefe und lautsprecherähnlicher Bühne machen soll. Bei mir tut er das nicht, konzentriert die Musik stattdessen in der Mitte und lässt Stereodetails verschwinden. Wie alles rund um Kopfhörer dürfte auch HXD individuell sehr unterschiedlich wirken, je nach Ohren und Kopfhörermodell. Und so könnte der gleiche Effekt, der unter meinem Audeze-Klanghelm eher Ratlosigkeit auslöste, mit dem Großen Grado von Gerd X. oder dem Spitzenklasse-Sennheiser von Steffi Y. erst die wahre Personal-Listening-Ekstase erzeugen.

McIntosh C22 MK V AC Display
Nice to have von links nach rechts: Die Klangregler arbeiten präzise und sind abschaltbar. Der Monoschalter vereinfacht die Fehlersuche bei vielen Plattenspieler-Problemen und verbessert den Klang alter Mono-Scheiben. HXD ist ein Crossfeed-Modus für den Kopfhörerausgang. Die vier Vorverstärker-Ausgänge sind in zwei Gruppen schaltbar. Ganz rechts schließlich die Drehschalter für MM-Eingangskapazität und MC-Lastwiderstand (Foto: McIntosh)

Als echter Mac bringt der C22 auch klassisches Handwerkszeug mit, das anderen Preamps oft fehlt: Bass- und Höhensteller etwa, mit jeweils ±10dB Regelbereich in präzisen 2dB-Inkrementen, natürlich abschaltbar. Und einen Lautstärkeregler mit klarer, von weither sichtbarer LED-Statusanzeige und blitzschnellem Ansprechverhalten: Hier muss man nicht kurbeln wie am Steuerrad eines alten Reisebusses, um den Pegel mal kurz abzusenken: Die elektronische Regelung reagiert direkt wie ein analoges Poti, aber gleichmäßiger und mit weicherem Drehgefühl. Ein kurzer Druck auf den Eingangswahl-Knopf mutet das Signal. Gibt man dem Volume-Rad einen Stups, wird es temporär zum Balanceregler. Und natürlich liegt eine Systemfernbedienung bei, die andere McIntosh-Geräte mitsteuern kann – dank Datenports am Heck des C22 auch dann, wenn diese im IR-Schatten stehen, weil jemand versehentlich ein LP-Cover davorgestellt hat.

Dass jemand seine Macs unsichtbar aufstellt und also deswegen die Steuerleitungen braucht, ist bei solchen Schmuckstücken eigentlich unvorstellbar, soll im Heimatland aber gelegentlich vorkommen. In meinem Hörraum standen Vor- und Endstufe in Sicht- und Griffweite direkt vor mir auf einem Lowboard von Tabula Rasa. Da stehen sie gut: Den C22 mit der Hand zu bedienen bedeutet zusätzlichen ästhetischen Genuss. Zudem gehorchen Klangregler, Balance und Phonoanpassung ohnehin keinem Infrarot-Diktat.

Die Endstufe hat keine klar erkennbare Vorder- oder Rückseite. Das verwirrt beim ersten Aufbau. Andererseits sieht die MC275 dadurch in jeder beliebigen Ausrichtung stets gut aus. Im Hörraum war es praktischer, die Bedienseite zum Hörplatz zu drehen – etwa um je nach Box schnell die richtige der drei Anschlussklemmen zu finden (Foto: B. Rietschel)

Hörtest

Klanglich gelingt den McIntoshs, was nur wirklich sehr guten Verstärkerkombis gelingt: dass sich der große Material- und Schaltungsaufwand von nahezu einem Zentner Elektronik selbst gegenüber höchstwertigen Vollverstärkern anhört wie eine Abkürzung für das Musiksignal, ein Ballast-Abwerfen und befreites Tanzen der Noten. Füttert ein feiner Digitalplayer wie der Rega Saturn Mk3 den Line-Eingang des C22 Mk V AC, kommt schließlich aus der MC275 ein enorm weiträumiges, fein durchgezeichnetes und lebendiges Klangbild heraus.

Dass es sich dabei um eine komplette Röhrenkette handelt, fällt nur im positiven Sinn auf: Diese Freiheit, Schnelligkeit und Unmittelbarkeit zeichnet typischerweise puristische, oft gering oder gar nicht gegengekoppelte und gerne auch leistungsschwache Röhrenamps aus. Die MC275 erinnert klanglich verblüffend an solche besonders geradlinigen Konstruktionen, nur ohne deren Nachteile: Sie liefert Leistung fast bis zum Abwinken, und zwar auch an Lautsprecher, die nicht in die Kategorie „röhrenfreundlich“ fallen. Sie zeigt dabei praktisch keine – für Röhrenverhältnisse jedenfalls nur äußerst geringe – Reaktionen auf den Impedanzverlauf der Box. Und sie spielt auch nah an ihrer Leistungsgrenze noch sehr freundlich und verzerrungsarm. Es ist nicht irgendeine herausgegriffene Eigenschaft, die den Preis der MC275 rechtfertigt. Sondern die widerspruchslose Verbindung so vieler Eigenschaften, die sich sonst eher gegenseitig ausschließen.

Rival Consoles Now Is Cover
Experimentelle elektronische Musik, die Synthesizer organisch klingen lässt: „Now Is“ von Rival Console (Cover:Qobuz)

Mit dem neuen Album „Now Is“ von Rival Consoles konnte ich zwar schon den Punkt erreichen, wo die lustvoll fett gemasterten Elektro-Basslines etwas aufweichen. Aber das kommt im Höralltag eigentlich nur vor, wenn man es gezielt provoziert. Was jedes Mal und bei jeder Lautstärke aufs Neue begeistert, ist die saftige, satte, körperhafte Spielweise dieser Verstärkerkombi, von der alle Musikstile gleichermaßen profitieren. Bei aller prachtvollen Weite und Transparenz hat der Klang stets etwas Warmes, fast Sahniges. Das eben nicht die Transparenz mindert, sondern wirklich nur die Natürlichkeit noch fördert.

Besonders deutlich fällt das bei den Phonoeingängen aus. „Promises“ von Floating Points, Pharoah Sanders und dem London Symphony Orchestra braucht zum Beispiel alle Transparenz, die man irgendwie bekommen kann: Eine LP-lange Jazzmeditation für diverse Keyboards, Orchester und natürlich Sanders‘ Saxophon, die tief in die Akustik des riesigen Air Lyndhurst Hall Studios hineinblicken lässt. Das hat mit den Macs schon fast provokante Weite und bei gelegentlichen Tutti-Akzenten ein sagenhaft fein strukturiertes Ausklingen. Die Myriaden kleiner, großer und winziger Reize, die die Mikrofone in einem solchen Setting erreichen, scheinen den langen Marsch über hunderte Kabelmeter, digitale und analoge Verarbeitungsschritte, Lackmaster (Chris Bellman bei Bernie Grundman Mastering), Pressvorgang (Pallas) auf blau gesprenkeltes Vinyl und schließlich die Abtastung mit einem konstruktiv aus den 1960er Jahren stammenden Radiotonabnehmer auf wundersame Weise abgekürzt zu haben. Als hätte sich im ehrwürdigen Air Studio an der Rückwand ein Wurmloch geöffnet, das direkt in meinem 1970er-Jahre-Einfamilienhaus mündet.

Denon DL 103 R
Eine echte Tonabnehmer-Legende: das Denon DL 103 – hier in der neueren R-Ausführung (Foto: Denon)

Denon DL-103, McIntosh C22 und MC275 kamen in Japan respektive den USA nahezu zeitgleich auf den Markt. Wie sie damals zusammenspielten – wenn überhaupt – weiß ich nicht. Heute jedenfalls findet, wer den sonoren, herzhaften McIntosh-Sound auf die Spitze treiben will, mit der R-Version des MC-Klassikers einen perfekten Partner. Das System klingt am C22 etwas fülliger als an anderen Top-Phonostufen, aber auch griffiger, emotional noch packender und stets mit diesem wunderbar cremigen Schmelz im Mittelton. Ein knorriger, vollwertig-gesunder Bass treibt das Ganze voran. Und der ist nicht einfach nur kräftig, sondern vor allem dynamisch und lebendig.

So braucht es keine audiophilen Meisterwerke, um Musikfans vor der Anlage förmlich festzunageln. Die Söderberg-Schwestern Johanna und Klara von First Aid Kit schaffen das mit ihrem neuen Album „Palomino“ trotz eher kompakter Pop-Produktion. Weil sie tolle Songwriterinnen sind und bezaubernd singen. Aber auch, weil die Macs ihre Stimmen liebevoll aus dem Mix herausheben und noch näher vor den Hörplatz projizieren, als das sonst gelingt. Wer da nicht hingerissen ist, hat eine Seele aus Stahl – oder sehr dunkel abgestimmte Boxen, die ohne verstärkerseitigen Hochtonbonus nicht aus dem Quark kommen.

Klar ist das DL103R im Präsenz- und Brillanzbereich zwar durchaus lebendig, aber ganz oben schon ein bisschen limitiert. Um nicht fälschlich vom Ton des Systems auf den Ton des Vorverstärkers zu schließen, habe ich daher auch mit ganz modernen, selbst für Fledermäuse und Hunde ausreichend breitbandigen Systemen gehört – etwa dem Rega Ania Pro oder dem noch opulenter auflösenden Lyra Delos. Die Offenheit und Transparenz der C22 lässt solche Vergleiche glasklar erscheinen, bietet immer einen weiteren Rahmen, als ihn selbst Top-Tonabnehmer auszufüllen vermögen. Das gilt mit Kopfhörer ebenso wie mit der Endstufe und guten Lautsprechern.

Fazit McIntosh C22 MK V AC und MC275 AC

C22 und MC275 bilden eine wunderbar feinsinnige, zugleich zupackend dynamische Verstärkerkombi, die trotz optischer Retro-Anklänge taufrisch, topaktuell und hochmodern klingt. Und dies dank überragender Verarbeitung und zukunftssicherer Bauweise auch in vielen Jahren noch tun wird. Musikfans mit Vinylschwerpunkt haben mit der Anschaffung der C22 auch gleich das Thema Phono-Preamp erschöpfend abgehandelt. Das lässt auch den Preis der Kombi in freundlicherem Licht erscheinen. Zumal man danach das Thema Verstärker für sehr, sehr lange Zeit oder gleich für immer ad acta legen kann.

Verbindlicher, druckvoller Ton, zugleich sehr agil und lebendig
Reichlich Leistung, außergewöhnlich boxenunkritisch
Monobetrieb mit doppelter Leistung und doppeltem Dämpfungsfaktor möglich
Verkabelung von beiden Seiten erschwert „ordentliche“ Aufstellung

Die technischen Daten

McIntosh MC275 AC
Technisches Konzept:Röhren-Endstufe
Leistung:2 x 75 Watt (4, 8, 16 Ohm)
Eingänge:1 x XLR, 1 x Cinch, Trigger
verwendete Röhren:
4 x KT 88, 4 x 12AT7, 3 x AX7A
Besonderheit:Brückbar auf 1 x 150 Watt
Abmessungen (B x H x T:41,9 x 19,0 x 46,5 cm
Gewicht:
30,5 Kilo
Alle technischen Daten
McIntosh MC275 Evolution
Endstufen-Evolution: Die aktuelle MC275 Mk VI – hier in der limitierten und längst vergriffenen Jubiläumsversion mit vergoldetem Chassis – kam vor zehn Jahren heraus, oder 50 Jahre nach der ersten Inkarnation rechts im Bild (Foto: McIntosh)

Bei einer Endstufe, die schon so lange im Programm ist, stellt sich natürlich die Frage, ob es denn die aktuelle Version sein muss. Antwort: ja. Optisch hat sich zwar nicht viel getan, technisch dafür umso mehr. Die MkVI hat bessere Übertrager, eine höhere Betriebsspannung, dadurch geringere Verzerrungen als alle vorhergehenden Versionen. Zudem ist sie dank intelligenter Schutzschaltung auch noch betriebssicherer.

McIntosh C22 Mk V AC
2022/11
Test-Ergebnis: 4,8
ÜBERRAGEND
Bewertung
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Breitbandiger, neutraler Klang, wunderbar natürlicher Musikfluss
Überragend gute Phonoeingänge für MM und MC
Praxisfreundliche Ausstattung
Symmetrische Eingänge klanglich etwas schwächer

Vertrieb:
Audio Components Vertriebs GmbH
Leverkusenstraße 3
22761 Hamburg
www.audio-components.de

Preis (Hersteller-Empfehlung):
McIntosh C22 Mk V AC: 9.000.Euro
McIntosh MC275 AC: 9.000 Euro


Die technischen Daten

McIntosh C22 Mk V AC
Technisches Konzept:Röhren-Vorstufe
Röhren-Bestückung:5 x 12AX7, 1 x 12AT7
Analog-Eingänge:2 x XLR, 3 x Cinch, 2 x Phono (Cinch)
Ausgänge:2 x XLR, 2 x Cinch
Phono MM anpassbar:
50 bis 350pF in 50pF Schritten; 47kOhm
Phono MC anpassbar25, 50, 100, 200, 500 oder 1.000 Ohm; 100pF
Abmessungen (B x H x T):44,5 x 15,3 x 45,7 cm
Gewicht:
11,3 Kilo
Alle technischen Daten
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Autor: Bernhard Rietschel

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Bernhard Rietschel ist gelebte HiFi-Kompetenz. Sein Urteil zu allen Geräten ist geprägt von enormer Kenntnis, doch beim Analogen macht ihm erst recht niemand etwas vor: mehr Analog-Laufwerke, Tonarme und Tonabnehmer hat keiner gehört.