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Lyravox Loft
Im Süden der Hamburger Hafencity hat Lyravox sein Headquarter in einem Fabrikloft aufgeschlagen. Ein origineller und schöner Ort für Präsentation, Entwicklung und Erstellung. Wir waren vor Ort (Foto: A. Günther)

10 Jahre Lyravox: Ästheten, Hanseaten, Revoluzzer

Manchmal braucht es die richtige Portion an Unvernunft. Sonst wäre Lyravox wahrscheinlich nie gegründet worden. Ein ganz eigenwilliger Lautsprecher-Hersteller aus Deutschland. Zehn Jahre ist es her – manche haben gelächelt. Doch heute ist angesichts des audiophilen Aufwands (und des fantastischen Ergebnisses) eher Ehrfurcht angesagt – und ein Rückblick auf 10 Jahre Lyravox.

Treffen sich zwei Nordlichter. So geschehen vor rund zehn Jahren. Erwachsene Männer, die aber mit einem Virus befallen sind – dem High-End-Virus. So könnte eine traurige Geschichte beginnen. Aber es ist ein Märchen des Erfolgs. Jens Wietschorke ist Ingenieur und Klangtüftler mit einer Ahnenreihe an Produkten, zudem langjähriger Dozent am Hamburger SAE-Institut. Götz von Laffert kommt aus einer ganz anderen Ecke. Er hat Wirtschaftswissenschaften studiert und mit einem Doktor-Titel abgeschlossen. Das Thema seiner Arbeit: „Rauchen, Gesellschaft und Staat“. Es geht um Konsum, Sucht, Kontrolle, Werbung und Lobbyisten. Das passt doch genau in die Welt der Audiophilen – die auch von Suchtmechanismen getrieben werden. Wenn man es zuspitzen wollte.

Lyravox Gründer: Dr. Götz von Laffert, Jens Wietschorke und Sascha Harbs-Heinsohn
Das Trio der Gründungsmitglieder – von links: Dr. Götz von Laffert, Jens Wietschorke und Sascha Harbs-Heinsohn (Foto: A. Günther)

Was Wietschorke und von von Laffert eint, ist ein hohes Gespür für Ästhetik. In Klang wie Design. Im Jahr 2013 war man sich einig, Kulturobjekte schaffen zu wollen. Daher auch der Name. Die Lyra ist das Instrument des griechischen Gottes Apoll und eine Huldigung an das Bildungsbürgertum. Vox wiederum steht für die menschliche Stimme – Lyravox war innerhalb eines kreativen Abends gegründet und beschlossen.

Lyravox Loft
Das Loft: viel Platz für kreatives Denken, für die Fertigung und den Hörraum. Firmenbesuch möglich, auf Vereinbarung (Foto: A. Günther)

Bereut ihr die Entscheidung, würdet ihr alles genauso wieder machen? „Ja“, sagen Jens wie Götz einstimmig. Man fühlt sich wohl mit der wichtigsten Entscheidung im beruflichen wie privaten Leben. Beides fügt sich auch zusammen. Lyravox residiert in einem alten Industriebau südlich der Hamburger Hafencity. Hier kommt nur her, wer hierherkommen will. Es gibt ein Loft mit Fertigung, Maschinen und Hörraum. Gleich gegenüber hat Götz von Laffert eine Wohnung für sich und seine Familie angemietet.

Lyravox Factory
Hoch aufragend: Am Firmensitz von Lyravox wurde früher Palmöl veredelt und vertrieben. Der Weg ist nicht leicht zu finden – wer hier anlanden will, benötigt ein gutes Navi.

In dem Industrietrakt wurde früher Palmöl verarbeitet, portioniert und in die Republik verschickt. Weshalb es noch immer einen kleinen Binnenhafen gibt. Lyravox könnte seine Lautsprecher auch per Kahn in die weite Welt verschippern.

Lyravox-Welt
Zwei Landkarten, zwei Wachstumsrichtungen: Quer durch Deutschland sind die Firmengründer in den vergangenen Jahren bereits gereist – nun steht „The World“ über dem Schreibtisch der Manager

Rein nominell ist man eine GmbH & Co. KG. Die beiden Gründerväter halten die Anteile und agieren als geschäftsführende Gesellschafter. Der Gang zur Börse ist nicht geplant. Man liebt sich als Manufaktur mit den richtigen Maßen und fühlt die ideale Größe erreicht. In den Anfangsjahren sprach man eine komplett andere Zielgruppe an. Lyravox lebte den Gedanken der Musiktruhe für die Neuzeit.

Das waren Klangmaschinen, die an der Wand montiert wurden – wahlweise im Penthouse, aber gern auch auf einer Jacht. Der technische Aufwand war ebenso immens wie die Finessen der Fertigung. So band man Handwerksbetriebe ein, die auch für das Finish der legendären Steinweg-Flügel standen. Alles verpackt in einem Design, das klar an Art-Deco erinnern sollte, mit Ausflügen in die 20er-Jahre des vorigen Jahrhunderts. Bei den internen Bausteinen gab es keinen Halt, alles war an Bord. Vom Streamer über Bluetooth, vom CD-Laufwerk bis zu wirkmächtigen, digitalen Endstufen.

Lyravox Stereo
Mit den Stereo-Master-Modellen fing alles an – Lyravox setzte vor zehn Jahren auf integrierte Systeme. Mit enormem technischem Aufwand. Noch immer zu haben, aber aktuell eher Schaustücke für die Wand der Firmenhistorie (Foto: A. Günther)

Rückblickend gesehen hatte diese Art Audio enormes Potenzial – aber die Zielgruppe blieb spitz. Die „echten“ High-End-Fans fühlten sich von einer All-in-One-Inszenierung, sei sie noch so schön, nicht angefixt. Die finanzkräftigen Freunde der gehobenen Lebensart waren nicht so leicht erreichbar. Da hätte es strammer Millionensummen für ein weltumspannendes Marketing gebraucht. Also stand eine Neudefinition an. Weiter in Richtung Art-Deco oder in das klassische Stereo-Geschäft?

Götz von Laffert Lyravox
Ein Kaffee? Der Mit-Firmengründer Dr. Götz von Laffert schenkt persönlich aus. Wer will, bekommt noch das Firmenlogo von Lyravox auf den Cappuccino gestreut (Foto: A. Günther)

Jens und Götz sind zwar Augenmenschen, aber in tiefster Seele Ohrenkünstler – also musste es Stereo sein. Aber mit den gelernten Bausteinen der ersten Jahre. Die heutigen Lautsprecher von Lyravox sind ohne Vergleich, man erkennt sie in Sekundenbruchteilen. Es gibt sie in Holz oder – sehr viel besser, aber leider auch sehr viel schwerer – in K-Mineral, einem Kunststein, den auch etwa Wilson Audio verwendet. Die Elemente werden in Platten angeliefert, mit einer Stärke von 19 Millimetern und bei Lyravox passgenau zugeschnitten. Spannend wird es, wenn Lyravox in Subgehäusen denkt, dann residiert jeder Treiber im eigenen Spielraum, beispielsweise in den Modellen „Karlotta“, „Karlsson Tower“, „Karlina“ oder „Karl II“.

Lyravox Manufaktur
Sasha Kostyk ist Kunsttischler und stammt aus der Ukraine: In seinen Händen liegt die Passgenauigkeit der Gehäuse (Foto: A. Günther)

Haben die beiden Hamburger einen Tick? Oder warum heißen alle Modelle wie die Mächtigen aus dem Reich des Mittelalters oder der Habsburger? Eine Schnapsidee, die aber für gut befunden wurde – und eine Idee, die natürlich den Überflieger ankündigt: 2024 wird er kommen – „Karl der Große“, ein Mammut-Lautsprecher, höher als ein erwachsener Mann und im Doppel so schwer wie ein Steinway-Flügel. Bitte den Statiker befragen.

Und den Buchhalter. Denn seit Anbeginn entziehen sich Lyravox-Produkte den Spielregeln des Preiskampfes. Wer das Besondere liebt, sollte auch das besondere Geld haben. „Karl der Große“ ist beispielsweise mit 268.000 Euro anvisiert.

Lyravox karl der Grosse
Er naht: Karl der Große wird 2024 in die Wohnzimmer geliefert. Hier im Größenvergleich zum Mit-Chef Jens Wietschorke (Foto: A. Günther)

Der Einstieg über den kompakten (bei LowBeats schon getesteten) „Karlos“ gelingt ab 17.000 Euro. Das ist stolz. Jetzt sich nicht ans Herz greifen. Der Gegenwert einer Lyravox-Komponente ist hoch. Zum einen entsteht alles in Handarbeit, im feinsten Manufakturgedanken und in Deutschland. Hinter der Kupfer-Platte im Rücken liegt dazu das größte Pfund: Endstufen, Vorstufen, digitale Wandlung, Stream (und natürlich ein rein analoger Zugang) – das ganz große Gedeck plus DSP. In der Folge funktioniert auch der Weg zum Kunden komplett verschieden zu den meisten Edelanbietern.

Lyravox Elektronik
Die Rückseite: Jeder Lyravox-Lautsprecher wird von den Firmenchefs auf der gravierten Aluplatte signiert (Foto: A. Günther)

Lyravox selbst oder einer der wenigen ausgewählten Händler bringen die Lautsprecher in das private Wohnzimmer, man nimmt sich Zeit, misst ein und bietet verschiedene Presets nach dem Gusto des Kunden an. In den meisten Fällen geschieht die feinfühlige finale Einmessung durch Jens Wietschorke oder Götz von Laffert selbst, denn sie geht weit über die rein technische Raumkorrektur hinaus.

Andread´s Günther @ Lyravox
Lyravox-Besuche sind schwere Angelegenheiten: die Firmenchefs von Lyravox neben LowBeats Autor Andreas Günther (links). Man sieht die schweißtreibende, schwere Arbeit… (Foto: Lyravox)

Der technische Blick in die Tiefe ist entscheidend. Lyravox hat von seinen All-in-Ones gelernt und das Know-how neu interpretiert. Wie kommen 1.200 Watt in einen Lautsprecher? Hier setzen die Hamburger auf NCore-Module, die aus den Niederlanden stammen, vom Marktführer Hypex – das ist die Speerspitze der Bewegung und als hochgradig audiophil anerkannt. Das sind Schaltverstärker mit satter Ausbeute bei winziger Wärmeableitung. Kein Vergleich zu Energie verschwendenden Class-A/B-Konzepten. Grandios sind zudem die Werte bei der Gegenkopplung und in der Folge bei Verzerrungen – die es faktisch nicht gibt, bis in ultimative Höhen. Das DSP fügt sich wie ein perfektes Rädchen in das Gesamtkonzept. Filter lassen sich einstellen, natürlich Frequenzgänge, aber auch das Timing – für jedes Chassis individuell.

Jens Wietschorke Lyravox
Welches Rennpferd soll es sein? Lyravox unterhält beste Beziehungen zu Accuton – und kann im Dialog auch eigene Spezifikationen in Auftrag geben (Foto: A. Günther)

Apropos Chassis. Die Kenner sehen es sofort – das sind Modelle von Accuton. Lyravox unterhält die besten Kontakte zu den Profis aus Pulheim. Man schätzt sich. So sehr, dass Jens Wietschorke auch Sonderwünsche an die Ingenieure von Accuton formulieren kann. Gemeinsam entstehen die besseren Konstrukte, eben mit der charakteristischen Keramik-Membran. Accuton ist der Liebling von Lyravox, ohne Frage. Doch wenn es passt, bedient man sich auch im weltweit verfügbaren Katalog. Jens Wietschorke entscheidet nach Messwerten und besonderen akustischen Eigenschaften, gemeinsam mit Götz von Laffert dann im Hörraum. Beispielsweise stammen die Bässe aus der Top-Range von Scan Speak, während Air-Motion-Transformer international zugekauft werden.

Irritation – wir schauen frontal auf die Lautsprecher von Lyravox: Wo ist denn da ein Air-Motion-Transformer? Nicht offensichtlich – der AMT wird von Lyravox auf der Oberseite eingebaut, er strahlt gen Decke. Das ist ein bewusster Kniff, um den Raum mit Diffusschall zu bereichern. Natürlich nicht pauschal und banal, sondern über die DSP-Analyse punktgenau anpassbar. Das muss man erleben. Wer es eher intellektuell erfassen will: Wir Menschen interpretieren Direktschall unterschiedlich und mitunter kritisch im Vergleich zum Diffusschall. Kein Problem bei Live-Konzerten in der Elbphilharmonie, doch die indirekten Reflexionen sind wichtig für unser Wohlbefinden – und nicht zuletzt für die Kraft der räumlichen Abbildung.

Lyravox Hörraum
Sieht gut aus und klingt hervorragend: Der Lyravox Hörraum: wurde nach Vorgaben von Jens Wietschorke aufgebaut (Foto: A. Günther)

Im Kern nimmt eine gute Diffusschall-Inszenierung bei Lautsprechern auch die Gefahr von Verfärbungen. So stringent Lyravox seine Lautsprecher entwirft, entwickelt, aufbaut und liefert: Der neue Besitzer muss sich noch in einem Punkt entscheiden – bei der Wahl des frontalen Hochtöners. Das kann die eh schon hochedle 30-Millimeter-Keramik-Version von Accuton sein, die singulär für Lyravox gebaut wird. Oder der Hyper-Antrieb wird bemüht, ebenfalls von Accuton – eine Diamant-Membran vor Titan-Schwingspulenträger und doppeltem Neodymmagnet. Kann man nicht kaufen, wird nur in kleinster Auflage gefertigt und an befreundete Lautsprecherhersteller ausgegeben – eben auch an Lyravox.

Runde zehn Jahre sind seit der Firmengründung vergangen. Zeit für ein Fazit? Nein, besser für einen Ausblick: Wo will Lyravox in weiteren zehn Jahren sein? Berühmter, größer, reicher? Ist man gar satt? Götz von Laffert: „Ziel ist natürlich die audiophile Weltherrschaft; sprich die internationale Anerkennung dafür, mit unserem ganzheitlichen Konzept den optimalen Klang in den Hörraum zu bringen.“

Dazu gibt es aktuell erweiternde Ansätze: Die Hamburger experimentieren mit einem eigenen, natürlich hoch-ambitionierten Streamer sowie einer wirksamen Stromfilterung. Weil sie die Erfahrung von hunderten von Hausbesucher haben, wissen sie auch, wie groß die Unterschiede bei den HiFi-Fans zu Hause sein können. Gute Stromfilter und Spannungsableitungen können da eine sehr passable Antwort auf viele Fragen sein…

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Lyravox Streamer
Ein Kistlein, was mag darinnen sein? Lyravox wagt sich an einen eigenen Streamer. Das ist mutig. Manchmal können die Feingeister aus Hamburg auch die Piraten herauslassen – die einen neuen Markt kapern wollen (Foto: A. Günther)
Lyravox Stromfilter
Strom ist ein ganz besonderer Saft: Lyravox experimentiert mit eigenen Stromaufbereitern (Foto: A. Günther)
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Und beim Streamer sind die beiden so anspruchsvoll, dass Fertiglösungen offenkundig nicht mehr in Frage kommen. Der hauseigene Lyravox-Streamer ist wohl weitgehend fertig, aber man kann keinen Blick hinter das wuchtige K-Material des Gehäuses werfen. Droht hier Geheimnisverrat? Wir wissen es nicht. Was wir wissen: Er klingt überragend.

Darüber hinaus wird das Lyravox Team nicht müde, ständig neue Modelle zu entwerfen. Karl der Große ist noch nicht ganz serienreif, da wartet schon das nächste Projekt auf seine Vollendung – das noch keinen Namen hat, aber natürlich von den Erfahrungen um den großen Karl beeinflusst ist…

Lyravox Prototyp
Basteln und Probieren geht über Studieren: hier der Erstentwurf einer Standbox, noch ohne Namen. Der professionelle Spieltrieb ist Teil der Firmen-Gene seit Anbeginn
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Autor: Andreas Günther

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Der begeisterte Operngänger und Vinyl-Hörer ist so etwas wie die Allzweckwaffe von LowBeats. Er widmet sich allen Gerätearten, recherchiert aber fast noch lieber im Bereich hochwertiger Musikaufnahmen.