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Spatial Europe No5 im LOwBeats Hörraum
Die Spatial Europe No.5 sind große Dipol-Lautsprecher, die erstaunlich gut auch mit kleine Röhren-Amps harmonieren und erfreulich "echt" spielen. Ein Erlebnis-Speaker für 9.200 Euro pro Paar (Foto: H. Biermann)

Test Hochpegel-Standbox Spatial Europe No 5: Faszination Dipol

Dieser Schallwandler hat mit üblichen HiFi-Boxen so gut wie nichts zu tun: Die Spatial Europe No.5 ist einerseits ein großer Dipol-Strahler mit offener Schallwand und andererseits ein Hochwirkungsgrad-Lautsprecher – und steht damit im Gegensatz zu etwa 99% aller Lautsprecher am Markt. Und es ist ein Widerspruch in sich. Denn eine offene Schallwand bringt immer auch Auslöschungen im Bassbereich mit sich. Und Auslöschungen reduzieren nun einmal den Wirkungsgrad. Dass die No.5 dennoch so effizient mit den zugeführten Watt umgeht, ist nur eine Besonderheit dieses ganz und gar ungewöhnlichen Lautsprechers.

Wer Spatial Audio in die Suchmaschine eingibt, landet zunächst einmal bei Apple. Apples Spatial Audio ist ein virtualisiertes Surround-Verfahren für Kopfhörer mit Headtracking. OK – hier ist man verkehrt. Die Eingabe von Spatial Audio Lab bringt uns schon eher in die richtige Richtung. Denn der US-Amerikaner Clayton Shaw hatte die geniale Idee, Lautsprecher mit offener Schallwand mit Hochleistungstreibern aus dem Beschallungsbereich umzusetzen.

Robert Andorf Spatial Europe
Der Kopf hinter Spatial Europe: Robert Andorf, der in Ingolstadt auch einen kleinen, aber sehr feinen HiFi-Laden namens Mach One Classics führt (Foto: H. Biermann)

Der Ingolstädter Händler Robert Andorf (Mach One Classics in Ingolstadt) machte zunächst hierzulande den Vertrieb für die Dipole, verfeinerte das Konzept dann aber mehr und mehr im eigenen, eher audiophilen Sinne und entwickelt jetzt eigenen Modelle. Er teilt zwar nach wie vor die Ideale von Clayton Shaw, aber die Ausformung ist eine andere. Deshalb werden Andorfs Entwicklungen unter dem Namen Spatial Europe über den Fachhandel vertrieben, während die – nur noch vom Konzept her ähnlichen – Modelle von Spatial Audio Lab ausschließlich online zu erwerben sind.

Spatial Europe No5 TMT Bedruckung
Die Eminence Treiber lässt Robert Andorf für seine Zwecke in den Parametern anpassen und für Spatial Europe labeln. Hier der Neodym-Magnet des 30 cm Tiefmitteltöners (Foto: H. Biermann)

Die Bauform der offenen Schallwand (oder „open baffle“, wie der Angelsachse sagt) ist ja nicht ganz neu und so etwas wie die archaische Urform des Lautsprechers. Eigentlich ist es nur ein Brett, in dem die Treiber eingesetzt sind. Und weil halt keine geschlossene „Box“ dahinter sitzt, strahlt die gesamte Energie auch nach hinten ab. So entsteht der Dipol, der prinzipbedingt einen Nachteil hat: Abhängig von der Wellenlänge und der Größe der Schallwand löschen sich der Druck vor der Membran und der Unterdruck hinter der Membran gegenseitig aus. Die Energie reduziert sich also.

Für Mittel- und Hochton ist das nicht relevant; deren Wellenlängen sind zu kurz. Weil es aber im Bassbereich zu den besagten Auslösungen kommt, haben Lautsprecher dieses Prinzips im Bass keine kugelförmige Abstrahlung (wie fast jede klassische Box), sondern eine Abstrahlung in der Gestalt einer Acht, deren „Taille“ der Lautsprecher selbst ist. Man kann also durch Aufstellen und Einwinkeln die Raumresonanzen viel gezielter anregen – oder eben nicht anregen.

Und ein weiterer, elementarer Pluspunkt der Open-Baffle-Konstruktionen darf hier nicht unerwähnt bleiben: Weil es kein klassisches Gehäuse gibt, gibt es auch keinen dröhnigen Gehäuseklang. Wenn man schaut, welcher Aufwand teilweise von den Herstellern betrieben wird, um die Gehäuse ruhigzustellen, ahnt man, wie klangrelevant dieser Punkt ist.

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Das Konzept der Spatial Europe No.5

An der No.5 scheint alles im Überfluss vorhanden. Die fast 46 Zentimeter breite Schallwand ist natürlich kein normales Brett, sondern besteht aus zwei verleimten, 38 mm starken MDF Platten. Das bringt schon einmal viel Gewicht und Stabilität. Um diese massive Holzwand noch resonanzärmer zu bekommen, holte sich Andorf die Unterstützung eines Audi-Ingenieurs (wenn man schon mal in Ingolstadt residiert…), der über eine Finite-Elemente-Berechnung und entsprechende Einfräsungen auf der Innenseite die beiden zusammengeleimten Platten noch einmal deutlich beruhigen konnte.

Spatial Europe No.5 Seitenansicht
Die Sicht von der Seite veranschaulicht den massiven Aufbau der 76 mm starken Schallwand. Der gar nicht kleine, 30 Zentimeter umfassende Tiefmitteltöner in der Mitte verschwindet zu großen Teilen… (Foto: Spatial Europe)

Das „Brett“ ist übrigens top-verarbeitet. Andorf setzt hier auf Schreinereien aus der direkten Umgebung. Da hat man einen besseren Zugriff auf die Qualität – und es erfüllt seine Vorstellungen von Nachhaltigkeit. Das Thema ist Andorf wichtig. „Wir müssen schon darauf achten, was wir mit dem Planeten machen“, sagt er dazu. Plastik wird man deshalb in einer Spatial-Europe-Verpackung nicht finden. Hier ist alles komplett recycelt, die schützenden Verpackungssäcke aus Mollton. Und natürlich kann man die Tief- und Tiefmitteltöner der No.5 reconen. Auch das gewährleistet einen viele, viele Jahre währenden Betrieb.

Ein weiteres Beispiel für kurze Wege: die Entfernung vom Laden bis zur Manufaktur beträgt nicht einmal fünf Meter. Für den Aufbau der Spatial Europe Modelle mietete Andorf die Ladenfläche gleich neben seinem HiFi-Laden. Das ist praktisch, weil Andorf gerade mal rüberhuschen kann, wenn Zeit ist. Wer als Besucher ins Mach One Classics kommt, kann den Chef ja fragen, ob er mal einen Blick in die kleine Manufaktur werfen darf. Ich fand es bezaubernd.

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Spatial Europe No5 Logo
Hier passt alles haargenau zusammen. Das Furnier ist gut gemacht und auch der stabilisierende Sockel ist perfekt eingearbeitet (Foto: H. Biermann)
Spatial Europe No.5 Furnier
Die Furniere sind handverlesen und werden mit hohem Druck angepresst (Foto: Spatial Europe)
Spatial Europe No.5 Furnier-Abgleich
Nach dem Furnieren werden die Schallwände miteinander abgeglichen (Foto: Spatial Europe)
Spatial Europe No.5 Ausführungen
Die Spatial Europe No.5 gibt es in sieben unterschiedlichen Ausführungen. Das Testmodell hatten wir in dem vielleicht schönsten Furnier: Olive (Foto: Spatial Europe)
Spatial Europe No.5 Bestückung
Auch die Bestückung geschieht in der kleinen Manufaktur neben dem HiFi-Laden (Foto: Spatial Europe)
Spatial Europe No.5 Zuschneiden der Mollton-Säcke
Für jedes Modell werden die schützenden Säcke aus dickem Mollton passend geschneidert (Foto: Spatial Europe)
Spatial Europe No5 Paar
Von vorn ist die Treibertechnik von perfekt sitzenden Stoff-Abdeckungen verdeckt. Von hinten hat man vollen Einblick. Da könnte vielleicht ein eleganter Strumpfüberzug helfen… (Spatial Europe)
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Bestückt ist die Spatial Europe No.5 mit einem 2,5-Wege System, aufgebaut mit drei Hochleistungstreibern aus dem Beschallungsbereich: ein 38 cm Bass, ein 30 cm Tiefmitteltöner sowie ein Hochtonhorn mit 44 mm Druckkammer-Treiber, der bereits bei knapp oberhalb 1.000 Hertz seine Arbeit aufnimmt.

Besonders beeindruckend ist natürlich der untere Tieftöner mit seinem Durchmesser von 38 Zentimetern. Er assistiert dem Tiefmitteltöner im unteren Bassbereich bis etwa 150 Hertz. Beide Tieftöner kommen vom amerikanischen Spezialisten Eminence und sind hoch belastbar. „Selbstverständlich“ würde Andorf sagen, sind die Membranen aus leichtem, aber steifem Papier. Das ist für den Ingolstädter eine Gewähr für den natürlichsten Klang.

Nicht selbstverständlich, aber in die gleiche Kerbe schlagend ist eine Modifikation, die bei Spatial Europe in Ingolstadt passiert: Die Sicken der beiden Membrantreiber werden mit dem C37 Lack des Dieter Ennemoser bestrichen. Die Diskussion über das Für und Wider des speziellen Akustik-Lacks schenke ich mir hier. Fest steht: Die meisten Nutzer berichten sehr angetan über die Verbesserung in Richtung „natürlicher“ Klang der von ihnen mit C37-Lack behandelten Bauteile.

Spatial Europe No.5 Sub-Bass
Der gewaltige 15 Zoll Tieftöner füllt fast die gesamte Schallwandbreite aus. Der (Neodym-) Magnet indes fällt bei Konstruktionen dieser Art klein aus. Denn je stärker der Magnet, desto weniger Tiefbass. Hier muss man also das genau richtige Maß finden. Der 15-Zöller der Spatial Europe No.5 hat einen QTS-Faktor von 0,75. Das würde bei üblichen Boxen-Lautsprechern zu einem hässlichen Dröhnbass führen (Foto: Spatial Europe)

Da bei der Spatial Europe No.5 ein richtiges Gehäuse fehlt, strahlen Tief- und Tiefmitteltöner die gesamte Energie auch nach hinten in den Raum. Bei Hochtonhörnern sieht das anders aus: Sie sind in der Regel hinten geschlossen. Hier greift Andorf zu einem Trick. Er entfernt die Kammer hinter dem Horn, sodass die nach hinten abgegebene Hochtonenergie ebenfalls nutzbar wird.

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Spatial Europe No5 44 mm Treiber
Andorf montiert den hinteren Teil des Hochtöner-Gehäuses ab. So kann die 44 mm große Polymer-Membran des Hochtöners auch nach hinten abstrahlen. Direkt hinter der bräunlichen Kalotte….
Spatial Europe No5 Druckkammer
…liegt der Anfang der Druckkammer. Der Schall wird hier durch die schmalen Schlitze des nach außen gewölbten Kuppel gepresst und dann über das Horn abgestrahlt – was den Schalldruck deutlich erhöht (Foto: H. Biermann)
Horn
Am Ende des Tunnels ist ein Licht: Der Blick ins Horn zeigt die Druckkammer-Konstruktion von vorn (Foto: H. Biermann)
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Wir haben über das Thema Hochtonenergie im Raum schon öfters diskutiert und sind fast immer zu dem Schluss gekommen, dass Zusatzhochtöner auf der Rück- oder Oberseite der Lautsprecher meist besser, weil luftiger klingen. Das Thema ist ein bisschen heikel und erfordert Fingerspitzengefühl – welches Andorf bei der No.5 aber eindeutig bewiesen hat.

Die Frequenzweiche…

…steht wie kein anderes Bauteil für die Herangehensweise von Robert Andorf. Erst einmal: Die Filter sind möglichst „flach“. Das ist nicht immer die beste Lösung für einen linearen Verlauf, sorgt aber für ein hervorragendes Impulsverhalten. Und im Falle der No.5 für ein wirklich sehr gutes Phasenverhalten – siehe Impedanz-Messung unten.

Die Kombination der verwendeten Markenbauteile ist kein Zufall. Es wurde auch nicht einfach von der Speisekarte nur das Teuerste geordert. Andorf und sein Team hören sich jeden Kondensator, jede Spule, jeden Widerstand an. Diese Vorgehensweise führt dann zu weiteren nicht sicht-, aber hörbaren Detaillösungen, die ziemlich ins Geld gehen: Duelund Innenverkabelung, Oyaide Phosphorbronze Flachsteckverbinder, Bi-wiring Lautsprecheranschlüsse mit WBT NextGen Kupferklemmen. Dem Audiophilen läuft hier das Wasser im Munde zusammen…

Frequenzweiche
Als sei es das Who-is-Who im Club der besten Frequenzweichenbauteile-Zulieferer. Von oben: Mundorf Wachs Kupferfolien-Spulen, Mundorf Classic Kondensatoren, Mundorf Supreme Widerstände, Jupiter Beewax Kupferfolien-Kondensatoren und rechts die Jantzen C-Coil Spule für den Tiefbass (Foto: H. Biermann)

Praxis:

Die Spatial Europe No.5 ist ein im besten Sinne des Wortes „unkomplizierter“ Lautsprecher. Zumindest elektrisch. Der Wirkungsgrad liegt mit über 92 dB weit über dem Durchschnitt üblicher HiFi-Boxen. Aber auch die Impedanz (rote Kurve im Messdiagramm): außer einer kleinen Senke bei 80 Hertz, bei der die Impedanz auf 4 Ohm absackt, liegt die die Gesamt-Impedanz auf ungewöhnlich hohem Niveau. Röhrenverstärker mögen so etwas ja gern.

IMpedanz, Phase und EPDR der Spatial Europe No.5
Die elektrischen Werte passen: Impedanz (rot) , Phase (blau) und EPDR (grau) stellen der Spatial Europe No.5 ein gutes Zeugnis aus (Messung: J. Schröder)

Fast genauso wichtig: Der Phasengang ist sehr ausgewogen und fordert den angeschlossenen Verstärker kaum. Man sieht das auch am EPDR (Equivalent Peak Dissipation Resistance), quasi dem Produkt aus Impedanz und Phase. Der EPDR-Wert beschreibt, wie stark der Phasenversatz des Lautsprechers die Endstufenschaltung belastet. Und auch hier leistet sich die No.5 nur eine kleine Senke zwischen 50 und 60 Hertz. Ansonsten sind die Werte tadellos.

Das macht sich im Umgang mit den Verstärkern unmittelbar bemerkbar. Robert Andorf empfiehlt unter anderem die noble Luxman MQ-88uC Endstufe, die All-in-One-Maschine Quad Artera Solus Play oder den Westend Audio Vollverstärker Leo – alles Verstärker, die man kaum als Leistungsriesen bezeichnen kann. Wir haben all diese Empfehlungen angehört und können nur zustimmen.

Fezz Audio Alfa Lupi
Der Fezz Audio Alfa Lupi war der „kleinste“ Verstärker, den wir an die No.5 angeschlossen hatten. Das lief einwandfrei… (Foto: H. Biermann)

Die freudige Botschaft für Röhren-Jünger also lautet: Mit diesem Lautsprecher klingen auch Verstärker mit ganz wenig Leistung. Sogar der kleine Fezz Audio Alfa Lupi (2 x 10 Watt) hat mit der No.5 im großen Hörraum einen richtig festen Bass und viel Freude produziert.

Und noch eine frohe Botschaft: Mit leistungsstarken Amps ab 100 Watt pro Kanal lässt dieser Lautsprecher die Wände beben – wie nicht nur unsere Pegelmessungen belegen:

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Pegelmessung Spatial Europe No.5@94dB
Bei normaler Wohnzimmer-Lautstärke sind so gut wie keine Verzerrungen zu erkennen (Messung: J. Schröder)
Pegelmessung Spatial Europe No.5@108dB
Bei deutlich höherem Pegel steigen die Verzerrungen breitbandig. Die vergleichsweise hohen Verzerrungswerte des Hochton-Druckkammertreibers erklären sich aus seiner tiefen Ankopplung (bei 1.000 Hertz) und den flachen Filtern (Messung: J. Schröder)
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Die Aufstellung

Lautsprecher, die im Bassbereich wie die No.5 als Dipol arbeiten, sind sogenannte Schnellewandler und stehen damit im Gegensatz zu klassischen Boxen, die im Bass als „Monopol“ arbeiten. Monopole sind so genannte Druckwandler und erzeugen maximal viel Bass dort, wo der Schalldruck am höchsten ist – also an der Wand und/oder in der Ecke. Schnellewandler dagegen produzieren den optimalen Bass dort, wo die Schallschnelle am höchsten ist – nämlich in der Raummitte.

Nun ist es wenig wahrscheinlich, dass der geneigte Musikfreund die No.5 in die Raummitte stellt; dafür ist sie dann doch zu mächtig. Robert Andorf empfiehlt einen Mindestabstand von 65 cm zur Rückwand und eine Distanz zum Hörer von 3 Metern. Die 3 Meter Abstand zum Hörer sind absolut richtig. Da mischt sich der Schall aller drei Treiber harmonisch. Die Sache mit den 65 Zentimetern funktioniert ebenfalls – Andorf hat die No.5 klug abgestimmt. Dennoch man sollte das eher als kleinstmöglichen Kompromiss ansehen.

Denn der tatsächlich optimale Abstand zur Rückwand in Bezug auf den Bass liegt bei etwa 1:2 der Raumlänge oder -Breite – je nachdem wie die Dipole aufgestellt sind. Man kommt da schnell auf mehrere Meter Abstand zur Rückwand. Aber dann knallt und drückt der Bass herrlich. Stellt man eine bassstarke „Box“ in die Ecke, dann dröhnt und wummert es nur noch. Zieht man dagegen die Spatial Europe No.5 Stück für Stück in Richtung Raummitte, wird der Bass zwar auch ein bisschen voller, aber er wird vor allem kraftvoller, zupackender.

Der beste Bass in Verbindung mit einem beeindruckenden Panorama (bestehend aus Direktschall plus Reflektionen der nach hinten abgestrahlten Energie) erzielten wir im LowBeats Hörraum bei einem Abstand von 2 Metern zur Rückwand. Und wegen der starken Bündelung des Tiefmitteltöners sollten die Speaker zudem auf den Hörplatz eingewinkelt werden. Sonst fehlt es ein bisschen an Luftigkeit. Aber Sie merken: Hier ist jeder Musikhörer aufgefordert, selbst die optimale Aufstellung zu finden. Ich kann nur sagen: Es lohnt sich, die Zeit zu investieren.

Die Spatial Europe No.5 im Hörtest: der große Klang

Anders als der doch eher wuchtige Auftritt, die Bestückung mit Beschallungstreibern oder die Pegelmessungen erwarten lassen, klingen die No.5 in keinster Weise burschikos, sondern eigentlich im schönsten Sinne kultiviert. Heißt: Der Ton ist wunderbar ausgewogen, Stimmen klingen prachtvoll, aber ohne den (wie man es bei klassischen HiFi-Boxen oft hört) molligen Oberbass- und Grundtonbereich. Alles kommt ungemein locker und unaufgeregt. Man hat nie den Eindruck, dieses Lautsprechersystem könne überfordert sein. Sperrig aufgenommene Hornsätze, Frauenchöre, die das Mikro fast zum Klippen bringen – all das überspielt die Spatial Europe No.5 auf eine sehr charmante Weise: Man hört fast alles, aber nur wenig eckt an.

Genial aber ist der Bass: Mit dem entsprechenden Abstand zur Wand spielt er zwar nicht abgrundtief, aber hat er genau diese Art von Fülle und Präzision, die man sich wünscht: Er bleibt immer locker, flockig, knackig, federnd. Super. So klingen Bässe in der freien Wildbahn!

Weil die No.5 ja einen so erfreulich hohen Wirkungsgrad hat, drängte sich der Anschluss eines kleine Röhren-Amps für die ersten Durchgänge förmlich auf. Wir zogen den Westend Audio Leo aus dem Referenz-Regal. Nach unserem Test hat der kleinen 300B Röhren-Amp noch einmal eine wundersame Überarbeitung erfahren. Und die Legende besagt, ein Großteil dieser Überarbeitungen hätte Leo-Entwickler Günther Mania an der No.5 gemacht…

Kein Wunder also, dass diese Kombination etwas Magisches hat: die Feinsinnigkeit des Leo kombiniert mit der Souveränität des großen Dipol-Speakers. Dabei ist die No.5 nicht unbedingt ein Auflösungswunder; gute Bändchen-, Diamant- oder Beryllium-Hochtöner können sicher mehr. Aber in Addition mit dem rückwärts abgestrahlten Hochtonschall ergibt sich ein feinsinniges, nie angestrengtes Klangbild, in dem Triangel oder Gitarren-Obertöne wunderbar leicht dargestellt werden. Wenn dann noch der Abstand zum Hörplatz stimmt (etwa 3 Meter), die Dipole optimal aufgestellt und die rückwärtigen Reflektionen richtig eingebunden sind, zaubern die No.5 eine fast anfassbare dreidimensionale Welt.

Mahlers 5. Symphonie, dirigiert von Mariss Jansons, bekam mit dieser Kombination eine so glaubhafte Tiefe, als säße man im Münchner Gasteig. Und noch einmal: Alles getragen von einem ungewöhnlich natürlichen Bass und mit einer Dynamikfähigkeit, die einem großen Beschallungssystem kaum nachsteht.

Mariss Jansons BRSO The SACS Recordings Mahler 5
Mahler, Symphonie Nr. 5 cis-Moll, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Mariss Jansons Dirigent, Live-Recording: Munich, Philharmonie im Gasteig, 10.-11. März 2016 (Cover: BR)

Wenn im Trauermarsch der 5. Symphonie nach dem kurzen Trompetensolo das gesamte Orchester einsetzt, geht die No.5 diesen brachialen Dynamiksprung spielend mit – und ermöglicht damit die perfekte Überleitung zu einem weiteren Pluspunkt dieses außergewöhnlichen Lautsprechers: Die No.5 kann auch richtig laut & böse – man muss nur die entsprechende Elektronik anschließen.

Zum Beispiel die SPL Mono-Blöcke m1000, die tonal bestens passen und selbst an der hohen Impedanz noch mehr als 300 Watt locker machen können. Und dann wird es wirklich brachial. Es ist, als rauscht eine große Musik- und Klangwelle über einen hinweg. Dass die No.5 Pegel bis 120 Dezibel bringt, habe ich weiter oben schon beschrieben. Aber wie ist es, wenn man in drei Metern Abstand zu diesen Schallwandlern sitzt und beste Aufnahmen mit so hohem Pegel über einen hinwegfegen?

Gigantisch. Hier spielen die Hochleistungstreiber ihre Vorzüge aus. Noch immer klingt alles mühelos, aber halt sehr viel lauter. Es ist schlichtweg überwältigend, eine Aufnahme wie den „Tecno“ von LaBrassBanda (Album: Live Olympiahalle München) mit Live-Pegel zu hören. Man fühlt sich ins tanzende Publikum eingebunden, während vorne die vielköpfige Bläserschar und der Drummer ALLES geben. Die No.5 gibt dem Zuhörer hier die volle Breitseite. Ähnlich mitreißend und frei spielten bei uns im Hörraum bislang nur die beiden Wolf von Langa Schallwandler namens Chicago und London. Beide sind der Spatial Europ No.5 gar nicht so unnähnlich – aber halt um einiges teurer. Und auch das muss natürlich erwähnt werden: Normale HiFi-Lautsprechersysteme sind bei diesen Pegeln längst ausgestiegen…

Fazit

Dipole sind besondere Lautsprecher: Man muss sich viel Mühe bei der Aufstellung geben. Wird dieser Punkt gelöst, ist der Rest erfreulich einfach. Im Falle der Spatial Europe No.5 trifft eine hohe Natürlichkeit auf große Dynamikreserven und eine große Anspruchslosigkeit in Bezug auf den angeschlossenen Verstärker. Sie spielt im Grunde mit jedem Amp. Das eröffnet eine riesige Spielwiese – vor allem für Röhren-Jünger.

Aber die Spatial Europe No.5 kann halt auch anders: Sie ist an hoch potenten Verstärkern enorm pegelfest und bleibt selbst bei hohen Lautstärken angenehm unaufgeregt. Kurzum: Die No.5 ist einer der spannendsten und vielseitigsten Lautsprecher, die man derzeit bekommen kann. Auch innerhalb des Spatial Europe Programms (von dem ich schon einige Modelle hören konnte) dürfte sie derzeit mit das attraktivste Angebot sein. Betrachtet man dann noch die gute Verarbeitung „Handmade In Bavaria“, bleibt trotz des Preises von über 9.000 Euro nur dieser eine Schluss: Man bekommt hier sehr viel Klang fürs Geld.

Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es einen gleichermaßen sachkundigen wie begeisterten Test der No.5 in der stereoplay 9/2019 gab. Doch Andorf war mit der damaligen Version noch nicht zufrieden. Erst kürzlich wurde sie deshalb auch im Hochton zum Dipol umgebaut und die Frequenzweiche – zwangsweise – angepasst. Diese erste No.5 ging nie in Produktion und kam nie in den Handel. Die aktuelle indes ist in Deutschland bei acht und in Österreich bei drei HiFi-Händlern zu hören. Mein Tipp: Gleich nach dem Öffnen der Läden mal einen Termin ausmachen…

Spatial Europe No.5
2021/01
Test-Ergebnis: 4,5
ÜBERRAGEND
Bewertung
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Ausgewogen-authentischer, räumlicher Klang mit straffem Bass
Hoher Wirkungsgrad + hohe Impedanz = Röhren-tauglich
Enorm pegelfest: bis zu 120 dB Maximalpegel
Braucht mehr Platz als klassische HiFi-Boxen

Vertrieb:
Mach One Classics
Brunnhausgasse 2
85049 Ingolstadt
www.machone-classics.de

Paarpreis (Hersteller-Empfehlung):
Spatial Europe No.5: 9.200 Euro

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Technische Daten

Spatial Europe No.5
Konzept:2,5-Wege-System mit offener Schallwand und Dipol-Abstrahlung
Bestückung:1 x 38 cm Bass, 1 x 30 cm Tiefmitteltöner, 44 mm Hochton-Kompressionstreiber
Wirkungsgrad:92 dB
Maximalpegel (1 m Abstand):120 dB
Abmessungen (B x H x T):45,7 x 120,0 x 7,6 cm / 18,0 x 103,5 x 28,0 cm (inkl. Füße)
Gewicht:
35,0 Kilogramm
Alle technischen Daten
Mitspieler:

Test Röhrenvollverstärker Westend Audio Monaco
Test Westend Audio Leo: 300B Röhren-Amp mit 2 x 20 Watt
Kauftipp der Woche: Fezz Audio Alfa Lupi
Test SPL Performer m1000: High End Mono-Amps aus dem Studio


Autor: Holger Biermann

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Chefredakteur mit Faible für feinste Lautsprecher- und Verstärkertechnik, guten Wein und Reisen: aus seiner Feder stammen auch die meisten Messe- und Händler-Reports.