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Vertere DG-1S von schräg vorn
Verteres günstigster Plattenspieler, der DG-1, kommt jetzt in der S-Version. Das klingt belanglos, ist tatsächlich aber atemberaubend... (Foto: Vertere)

Test Plattenspieler Vertere DG-1S: die S-Klasse für Aufsteiger

Touraj Moghaddam hat sein „Einstiegs“-Plattenspielermodell DG-1 gründlich überarbeitet. Das gute Stück heißt jetzt Vertere DG-1S. Selten stand ein harmloser Buchstabe in der Modellbezeichnung für so klare Fortschritte in Tempo, Dynamik und Praxisfreundlichkeit…

Nicht jedem HiFi-Gerät sieht man auf Anhieb an, ob ein Test aufschlussreich, spannend, überraschend oder eher ereignisarm verlaufen wird. Den Vertere DG-1S hatte ich für LowBeats zunächst mal nicht ganz oben auf meiner To-Review-Liste. Nicht weil der Spieler an sich irgendwie langweilig wäre – ganz im Gegenteil: Optisch ist es definitiv einer der aufregendsten Analogplayer, die der Markt hergibt. Und hinter dem Look steckt jede Menge Substanz: Vertere-Chef Touraj Moghaddam ist einer der klügsten Entwickler der Vinyl-Neuzeit und Schöpfer einiger zeitloser HiFi-Klassiker. Der Haken war eher, dass ich den DG1-S schon zu kennen meinte. Weil er nahezu exakt gleich aussieht wie sein Vorfahr DG-1 alias Dynamic Groove, den ich vor drei Jahren getestet hatte. Wegen etwas Modellpflege macht man ja nicht gleich wieder das große Test-Fass auf, oder? Aber dann landete die neue S-Klasse eben doch in meinem Hörraum, für eine andere Geschichte in einem anderen Medium. Und es brauchte keine ganze Plattenseite, bis mir klar war, dass der unscheinbare Extrabuchstabe mehr bedeutet als anderswo das halbe Alphabet. Und dass der DG-1S das ausführliche LowBeats Treatment nicht nur verdient, sondern nahezu erzwingt. Denn der DG-1S ist krass besser als der DG-1. Und der war schon gut.

Vertere DG-1S komplett
Ist auf den ersten, aber auch auf den zweiten Blick kaum vom Vorgänger zu unterscheiden: der DG-1 in der S-Version (Foto: Vertere)

Die Besonderheiten des Vertere DG-1S

Das exzentrische Design, das der DG-1S von seinem Vorfahren 1:1 übernommen hat, polarisiert sicher. Ich finde, der Spieler sieht wirklich cool aus – vor allem in der weißen Version, die ich diesmal zum Test bekam.

Ob die Einschnitte, die rundherum die rechteckige Grundform aufbrechen, irgendeine tiefere akustische Funktion haben, bezweifle ich zwar. Aber zusammen mit dem Wechselspiel von durchgefärbtem, klarem Acryl sowie den LED-Lichtquellen in der transparenten Zwischenschicht machen sie die Form des Spielers spannend und dynamisch. Immerhin eignet sich der vordere Ausschnitt, der die mittlere, klare Acryllage freigibt, hervorragend zur schwebend-leuchtenden Inszenierung des Firmenlogos.

Vertere DG-1S Antrieb
Analog-Ampel: Ein Druck auf den LED-Knopf lässt diesen grün leuchten und startet den Spieler mit 33 Umdrehungen. Ein weiterer Druck erhöht auf 45 und wechselt die Farbe auf Rot. Bleibt man zwei Sekunden drauf, hält der Spieler an und die LED erlischt (Foto: B. Rietschel)

Und hinten sitzt die Einbuchtung sicher nicht zufällig genau da, wo sie Blick und Zugriff auf die darunter liegenden Audioanschlüsse erlaubt. Nur ein Detail ist etwas befremdlich: Warum schaut der Ein/Aus/Umschalter links hinten wenige Millimeter vom Riemen entfernt aus dem Oberdeck heraus, wo man ihn nicht wirklich gut bedienen kann? Zumal der DG-1S zu den Spielern gehört, die selbst ich öfter mal zum Plattenwechsel ausschalte. Das hat zwei Gründe: Erstens startet der Dreher so blitzartig, dass man mit Laufenlassen kaum Zeit gewinnt. Und zweitens fällt es durch den knapp darunter laufenden Riemen etwas schwerer, die Platte treffsicher vom laufenden Teller zu pflücken. Aber egal – lieber einen überragenden Spieler mit einem merkwürdig platzierten Schalter als eine lahme Gurke mit perfekter Ergonomie.

Vertere DG-1S von vorn
Der Blick von vorn zeigt die Dreischichtbauweise des Vertere und eine weitere schöne Option: Der DG-1S ist hier mit dem auch schon bei LowBeats getesteten Edel-MM Vertere Sabre ausgestattet (Foto: Vertere)

Das Chassis des Vertere besteht aus drei miteinander verklebten und an mehreren Stellen verschraubten Acrylschichten. Dieses Thema finden wir beim Tonarm und auch am Teller wieder: Dreidimensionale Objekte, zusammengesetzt aus mehreren Schichten flachen, plattenförmigen Rohmaterials. Dieses muss – stark vereinfacht – nur passend ausgeschnitten werden und erfordert in der vertikalen Achse keine großartigen Bearbeitungsschritte. Das spart Budget, das anderswo mehr klangliche Ausbeute verspricht. Der schichtweise Aufbau macht das ohnehin nicht sehr schwingfreudige Acryl akustisch vollständig inert – eine ideale, verwindungssteife Plattform für Teller- und Armlager. Die zudem von der Elektronik und dem Motor durch eine Subchassis-Konstruktion entkoppelt ist. HiFi-historisch Bewanderte erkennen hier sofort Parallelen zu Tourajs erster Firma Roksan. Nur dass das Subchassis diesmal an alterungsbeständigen Silikondämpfern hängt und weder ein- noch nachgestellt werden muss.

Vertere DG-1S blaue Platte
Die vibrationsdämpfenden Füße sind in der Höhe verstellbar. So bekommt man ihn problemlos ins Lot (Foto: Vertere)

Wie die meisten Subchassisdesigns zielt auch die Vertere-Entkopplung in allererster Linie auf hausgemachte Vibrationen – hauptsächlich jene des Motors. Das funktioniert so gut, dass das Aggregat genauso gut in einem anderen Sonnensystem rotieren könnte. Weniger wirksam ist das Subchassis gegen niederfrequente Störungen und Stöße: Auf dem gleichen Sideboard neben dem bemerkenswert stoischen Well Tempered Simplex aufgebaut, reagiert der DG-1S deutlich stärker auf Trittschall durch trampelnde Tester. Wie jeder gute Spieler sollte der Vertere also idealerweise auf einem Wandhalter spielen – erst recht bei schwingenden Altbauböden oder erhöhter Partyfrequenz. Hängt die Konsole nicht perfekt im Lot, ist das halb so schlimm: Mit seinen drei Gewindefüßen ist der DG-1S kinderleicht aufzustellen und akkurat zu nivellieren. Und bringt sogar – bei High-End-Spielern komischerweise gar nicht selbstverständlich – eine staubdichte, an Scharnieren klappbare Abdeckhaube mit.

Aber was macht den DG-1S überhaupt zu einem „High End“-Spieler? Der Preis? Für viele Käufer:innen, zu denen sich der Autor ausdrücklich nicht zählt, sind rund 4000 Euro nicht mal wirklich teuer. Und je länger ich mit dem Spieler arbeitete, desto häufiger schlich sich auch in meinem Sprachgebrauch ein unauffälliges „Nur“ vor die Euro-Angabe. Nicht weil ich dekadent oder plötzlich reich geworden wäre. Sondern weil der englische Spieler mit Nachdruck in eine Klangklasse vorstößt, die sonst eher noch teurer zu bezahlen ist. Aus Testersicht kommt hinzu, dass der Vertere sich als sehr umgänglich und problemlos erweist, wenn man regelmäßig mal den Tonabnehmer wechseln muss. Ich könnte mir Tonabnehmertests damit nicht nur gut vorstellen. Ich habe tatsächlich welche damit gemacht. Rund ein Dutzend unterschiedlicher Systeme habe ich darin betrieben, und jedes davon konnte seine Qualitäten perfekt ausspielen. In dieser Vielseitigkeit ähnelt der Vertere dem kürzlich getesteten Well Tempered Simplex, und es gibt auch gewisse technische Ähnlichkeiten zwischen den beiden Spielern – auch wenn sie sich in anderen Bereichen dann wieder deutlich unterscheiden.

Die Qualität des Vertere beruht nicht auf einem ganz bestimmten Schlüssel-Feature, sondern auf nahezu jedem einzelnen Bauteil. Die Konstruktion ist ein kompletter Alleingang, alles daran proprietär, nichts stammt aus irgendeinem vorhandenen Teilebaukasten. Wenn der DG-1S in einer Tradition steht, dann allein in der seines Entwicklers und dessen älterer Werke. Also fangen wir beim Teller an: Nicht schwerer als ein 1210er-Technics-Teller, aber flacher und kompakter – und im Klopftest praktisch komplett resonanzfrei. Diese inhärente Ruhe ist wichtig, denn die Platte wird beim Abspielen mechanisch angeregt. Damit müssen Teller und Matte irgendwie umgehen. Und je nachdem, wie stark und bei welchen Frequenzen sie das vibrierende Vinyl unterstützen oder dämpfen, haben sie auch Einfluss auf Ton und Dynamik der Wiedergabe.

Der Teller des GD-1S besteht aus einem vierlagigen Sandwich: zuunterst eine am Rand elegant abgerundete Lage Kork-Gummi-Gemisch, dann eine dünne Schicht Alu, gefolgt vom eigentlichen Tellerkern aus zehn Millimeter starker Aluminium-„tooling plate“. Dieses Rohmaterial (deutsch: Gussplatte, feingefräst) ist schon vor der Weiterverarbeitung absolut plan und homogen. Den Abschluss bildet eine fest verklebte Auflage aus klarem PET, die rückseitig mit einem coolen Strahlenmuster bedruckt ist.

Diskret ins Muster eingearbeitet sind die Nulldurchgangs-Punkte für den Tonarm. Der Vertere bringt seine eigene Justageschablone also unverlierbar mit. Am Rand des Tellers arbeitet Vertere eine Nut für den Riemen ein, und in der Mitte einen auffallend kleinen Sitz für den Tragkranz der Tellerachse. Auch das Lager selbst ist nicht riesig – muss es auch nicht sein bei 1,4 Kilo Tellergewicht. Dafür poliert Vertere die Stahlachse und die zugehörige Messingbuchse bis an die Grenze des Machbaren und lässt das flache untere Ende der Achse auf einer Kugel aus fast diamanthartem Wolframkarbid rotieren.

Vertere DG-1S von oben
Mit Justageschablone: die Plattenteller-Auflage des DG-1S (Foto: Vertere)

Beschleunigt wird der Teller von einem Synchronmotor. Hier hört die Beschreibung bei vielen Spielern schon auf, weil solche Wechselstrom-Treiblinge bereits mit minimalem Aufwand zum Laufen zu bringen sind. Das macht sie seit Jahrzehnten so beliebt: Im einfachsten Fall reichen Netzstrom, ein Kondensator und ein Widerstand, und man hat praktisch bis ans Ende aller Tage eine stabile Rotation. Vertere treibt mechanisch wie elektrisch ungleich höheren Aufwand.

Vertere DG-1S von hinten
Rückansicht: Schon die recht hohen 30 Volt / 1 Ampere, die der Stromversorgungseingang sich vom (mitgelieferten) Steckernetzteil wünscht, lassen auf eine etwas komplexere Motorsteuerung schließen (Foto: Vertere)

Ähnlich wie Rega oder Linn bei ihren gehobenen Modellen generiert der DG-1S die Sinus- und Cosinuswelle für die beiden Phasen des Motors digital in einem programmierbaren DSP. Daran schließt sich auf der großen Steuerplatine, die in einer Stahlbox unter der hinteren Chassishälfte hängt, ein D/A-Wandler an, gefolgt von zwei kräftigen Verstärkern, die dem edlen Motorfutter den nötigen Wumms geben. Wellenform, Phasenlage und Amplitude der beiden Wechselspannungen lassen sich dabei über die Software beeinflussen und werden für jeden Motor individuell auf maximale Laufruhe getrimmt.

Dergestalt versorgt, wäre der Motor sogar hart mit dem Chassis verschraubt keine große Gefahr mehr für das Musiksignal. Vertere montiert ihn aber in einer Art Pendelhalterung, die tangential zum Teller sehr weich nachgibt, senkrecht dazu aber fast perfekt starr bleibt. Auch das eine Reminiszenz an alte Roksans, die den Motor ebenfalls beweglich lagerten. Die alte Konstruktion war im Detail zwar anders, das Ziel aber das gleiche: Der Antriebsstrang erhält dadurch eine sehr weiche, aber definierte Elastizität um die Ruhelage herum, kann aber nicht durch Bewegungen in Richtung Teller den Gleichlauf ruinieren. Bei Start, Drehzahlwechsel oder Platten-Abbürsten stellt er aber dennoch sein volles Drehmoment bereit. Der Spieler verhält sich beim Musikhören also, als hätte er einen viel längeren, weicheren Riemen als die recht straffe, griffige Silikonschnur, die in Wirklichkeit die Kraft überträgt. Beim Start dagegen zieht der Motor in Sekundenbruchteilen die Zügel straff, legt sich etwas nach links in die Last hinein und beschleunigt den Teller fast so ansatz- und geräuschlos wie ein Direktantrieb.

Hörtest

Auch im Klang des Vertere findet man sich immer wieder an sehr gute Direktantriebe erinnert: Die Tonhöhe steht felsenfest, der Klang hat eine ungeheuer straffe, aufrechte Spannung, die andere Laufwerke selbst mit identischer Drehzahl im Vergleich minimal runtergepitcht wirken lässt. Tonhöhen und darauf aufbauende Harmonien gewinnen eine wundersame Eindeutigkeit, feine Tempo-Akzente wirken signifikanter, fast vergrößert. Auch langsame Stücke ohne vordergründige Rhythmik profitieren davon enorm: Lisa O’Neills poetisches Folk-Songwriting auf „All Of This Is Chance“ (Rough Trade – RT0356 LP) etwa springt dem Hörer nicht ins Gesicht, sondern lässt aus den Drone-Harmonien von Concertina, Streichern und Harmonium, etwas Gitarre und O’Neills herber Stimme eine stille Gravitation entstehen. Der Vertere erhöht dabei das Gewicht jeder gesungenen Textzeile, unterstreicht die Phrasierung der Sängerin wie ein akustischer Leuchtmarker – ein untrügliches Zeichen für überragende Feindynamik.

Andererseits wirken mächtige Pianoakkorde wie die auf Keith Jarretts „Dark Intervals“ stabil und massiv, wie man sich das von einem schweren Masselaufwerk wünschen würde – aber selbst da nicht immer bekommt. Der Antrieb läuft absolut geräuschlos: Was an Geräuschkulisse auszumachen ist, stammt aus der Rille selbst und ist somit unvermeidlich – aber auch dieses Rillenrauschen und -murmeln kann durch Beiträge des Spielers so oder so eingefärbt und moduliert werden.

Keith Jarrett „Dark Intervals“ Cover
Keith Jarretts „Dark Intervals“ wurde am 11. April 1987 in der Suntory Hall in Tokio aufgezeichnet (Cover: JPC)

Auf dem Vertere rauscht Vinyl so rein und fast weiß, dass man dem Medium das fast nicht mehr vorwerfen mag – solange es nicht zu laut wird wie auf manchen neueren Recyclingvinyl-Pressungen. Andererseits ist die Dynamik der Musik fast explosiv präsent und greifbar: Der Vertere kann knochentrocken zuschlagen und überrascht immer wieder mit Passagen, die man zu kennen meinte, aber nicht so mitreißend in Erinnerung hatte. Und das passiert nicht nur einmal, sondern bestätigt sich hier im Hörraum über Monate immer wieder: Dynamik und Timing dieses Spielers sind atemberaubend. Und daran ist das Laufwerk entscheidend beteiligt. Der Vorgänger spielte auch schon herrlich groovy, aber die neue Motorsteuerung der S-Klasse schafft noch mehr Ordnung und Struktur.

Der Tonarm Groove Runner S

Und dann gibt es ja noch den neuen Arm, den Groove Runner S. An dem liegt es, dass ich den DG-1S liebend gerne dauerhaft hierbehalten würde – während ich den Ur-DG-1 trotz aller Qualitäten letztlich doch auch gerne wieder einpackte. Denn der neue Arm klingt nicht nur besser – dazu kommen wir gleich – sondern schafft im Praxisverhalten einen Riesensprung vom brillanten, aber leicht zickigen Sonderling mit erhöhtem Aufmerksamkeitsbedarf zur verlässlichen Führungskraft, die jedes ihr anvertraute System reproduzierbar und dauerhaft zu Spitzenleistungen anleitet.

Vertere DG-1S Tonarm
Sieht wild aus, funktioniert aber brav: Der Vertere-Tonarm Groove Runner S bietet einer nahezu unbegrenzten Auswahl von Systemen passende Arbeitsbedingungen (Foto: Vertere)

Ich habe wie gesagt etliche ausprobiert und alle genossen: klar differenziert in Charakter und individuellen Stärken, dabei stets auffällig abtastsicher und sauber. So klingen Tonabnehmer in Armen, die sie wirklich in Ruhe arbeiten lassen. Das erinnert an den gerade getesteten Well Tempered Arm, der es ja auch schafft, nahezu komplett aus dem Geschehen zu verschwinden und selbst bescheidene Systeme verblüffend sicher und selbstbewusst auftreten lässt. Der Vertere wirkt wacher, straffer und im Bass knackiger, hat dafür nicht ganz die opulente Raumweite des Well. Aber diese besondere Offenheit, diesen weiten Headroom, der den Talenten des Tonabnehmers viel Raum zur Entfaltung lässt, zeigen sie beide.

Vertere DG-1S mit Audio Technica OC9
In dutzenden Abtasterwechseln bewährt: Die flache Armverkabelung aus Leiterbahnfolie ist robust und endet in gutsitzenden, leicht aufzusteckenden Federhülsen. Im Bild spielt das Audio-Technica AT-OC9XEN, das auch hier sehr gut funktioniert und die wohl günstigste empfehlenswerte MC-Option für den Spieler darstellt (Foto: B. Rietschel)

Es gibt auch technisch zumindest entfernte Parallelen: Wie der Well Tempered arbeitet auch der Vertere ohne herkömmliche Tonarmlager. Hier wie da wälzt und gleitet nichts, wenn sich das Armrohr über die Platte schwenkt und der Abtaster aufs Vinyl herabsinkt. Wobei der Vertere Groove Runner S neben klassischen Lagern gleich noch das Armrohr verschwinden lässt. Und es durch einen flachen, breiten Träger aus attraktiv zweifarbigem Polymer-Laminat ersetzt, das sich wunderbar fräsen und gravieren lässt. Beim neuen Arm hat der englische Hersteller das nur drei Millimeter starke Material auf einem großen Teil der Fläche aufgedoppelt, die beiden Lagen dann vernietet und verklebt – nicht ohne bei der Gelegenheit die vier Tonarmkabel-Adern aus Leiterbahnfolie dazwischen einzulaminieren. Die resultierende Tonarmwaffel fühlt sich wesentlich substanzieller an als beim Vorgängermodell. Ihre effektive Masse ist in weiten Grenzen variabel – hier kommt ein weiteres Feature des Vertere-Arms ins Spiel: Ausbalanciert wird der Arm nämlich nicht mit einem, sondern mit zwei Gewichten.

Vertere DG-1S Tonarmlager
Das eigentliche Gegengewicht hängt verschieb- und arretierbar hinterm Lager am Armbalken, das zweite, kleinere in einer langen Schiene verschiebbar davor (Foto: Vertere)

Mit diesem Arrangement lässt sich nicht nur die Auflagekraft feinfühlig verstellen, sondern auch die effektive Masse des Arms: Rückt das kleine Gewicht weiter vor und das Gegengewicht entsprechend weiter hinter, hat man beim gleichen effektiven Auflagedruck mehr Massenträgheit. Der Verstellbereich ist groß und korrekt gewählt: Mit MCs wie MMs, harten wie weichen Systemen gab es stets einen Punkt irgendwo auf dem Verschiebeweg (der praktischerweise mit einer Skala versehen ist), an dem sich geringe Schlingerneigung und optimaler Klang trafen.

Das herauszufinden ist zwar etwas mühsam, weil man für jede Veränderung der effektiven Masse beide Gewichte verschieben und die Auflagekraft dann neu einstellen muss. Aber es lohnt sich und hält die elektronische Tonarmwaage bei Laune, die man für den DG-1S ohnehin zwingend braucht. Wir haben die Ortofon DS-3 verwendet, weil sie exakt auf Höhe der Plattenoberfläche misst. Das ist beim Groove Runner S sinnvoll, weil er wie alle Arme mit tieferliegendem Schwerpunkt bei vertikaler Auslenkung eine gewisse Rückstellkraft erzeugt.

Die Auswirkung der vertikalen Position auf die Auflagekraft hält sich beim Groove Runner S aber in absolut unkritischen Grenzen. Der alte Arm reagierte stärker, weil da auch das Lager eine gewisse Elastizität beitrug. Das gehört zu den Dingen, die beim Neuen klar besser gelungen sind: Die Lagerung ist im Grundprinzip genauso elegant wie zuvor, lässt dem Arm aber noch mehr Freiheit und ist in allen Parametern noch reproduzierbarer einzustellen. Statt klassischer Kugel- oder Gleitlager verwendet der Groove Runner S eine mehrteilige Spannseilkonstruktion: Horizontal schwenkt der Arm um einen senkrecht aufgespannten Nylonfaden, für die vertikale Bewegung ist er an zwei kurze Schnurstücke aus Kevlarfaser angebunden. Die Handhabung unterscheidet sich kaum von „normalen“ Armen, außer dass die selten so reibungs- und geräuschfrei in alle erlaubten Richtungen beweglich sind. Auch das Antiskating trägt keine zusätzliche Mechanik bei: Der Nylon-Tragfaden erzeugt die gewünschte Kraft durch eine leichte Verdrillung quasi nebenbei. Das Antiskating ist mit einem Drehknopf oben auf dem Lagergehäuse einstellbar – und auch das funktioniert gut und reproduzierbar – auch wenn sich manche Nutzer:innen statt unterschiedlich großer Punkte vielleicht eine Skalierung mit Zahlen gewünscht hätten.

Am neuen Arm ist endlich auch der Azimuth in weiten Grenzen feinfühlig einstellbar – und bleibt in der gewählten Position, unabhängig von anderen Faktoren wie etwa der Auflagekraft. Oder der Tonarmhöhe, die klassisch nach Öffnen einer Klemmschraube an der Armbasis variabel ist. Beim Wiederanziehen der kleinen Inbus-Madenschraube ist übrigens kein Bären-Drehmoment nötig: Der Armsockel besteht aus Kunststoff, die Schraube ist klein und entsprechend spitz. Sobald ein Widerstand spürbar wird, ist sie eigentlich schon fest genug. Eigentlich müssen sich Käuferinnen und Käufer darüber auch erstmal keine Gedanken machen. Denn ab Werk wird der DG-1S zumindest in Deutschland nur als Komplettspieler mit vormontiertem Tonabnehmer geliefert. Dann besteht der Aufbau aus dem Entfernen der Transportsicherung, dem Aufsetzen des Tellers, gefolgt vom Anbringen des Gegengewichts und der Einstellung der Auflagekraft. Ach so, und den Riemen muss man natürlich auflegen, was trotz des flachen Tellers recht einfach geht, weil er satt und stabil in seiner Nut am Tellerrand einrastet. Und dann kann man schon die mitgelieferten Vertere-Kabel anschließen und Musik hören. Mit dem Seriensystem, einem Vertere Magneto, klingt das bereits enorm lebendig, obenrum spritzig-lebendig und im Bass markant. Das Magneto ist unübersehbar ein Audio-Technica-Gewächs, das in Japan nach Vertere-Wünschen gebaut wird. Es entspricht technisch weitgehend – bonded-elliptische Nadel, Gehäuse-Bauform, elektrische Werte – dem AT-VM520EB und passt tatsächlich ganz hervorragend in den Spieler. Zumindest als Startausrüstung.

Vertere Magneto
Das Magneto kostet allein 400 Euro und gehört zum Komplettset des DG-S1 (Foto: Vertere

Ich bin normalerweise sehr zurückhaltend, wenn es um teure Systeme geht – aber zumindest mittelfristig hat der Vertere dann doch etwas Besseres als das Magneto verdient. Ruhig auch etwas viel Besseres, wenn das monetär machbar ist. Denn der DG-1S bringt Edelsysteme so zum Singen, dass jegliche Zweifel ob der teuren, zugleich vergänglichen Anschaffung schnell dahinschmelzen. Die vielen teuren MCs, die an überforderten Armen nur ein Schatten ihrer selbst sein dürfen, weil wieder irgendjemand glaubt, der Klang entstünde allein im Tonabnehmer – hier, am vorderen Ende des Vertere-Tragflügels, über dem timing-genauen Laufwerk, ist ihr wahres Zuhause.

Hier klingt ein Lyra Delos weich, elegant und wunderbar offen. Ein 2M Black von Ortofon zeigt, was es neben Schwarz noch alles an Farben draufhat. Das Skyanalog P2 lieferte eine berückende Mischung aus tonaler Süße und kerniger Dynamikstruktur. Ganz fabelhaft auch das Thorens TAS 1500, mit dem ich manchmal hadere, weil es mit seinem MicroLine-Diamanten gerne etwas hell wirkt. Hier nicht, eher im Gegenteil: Wenn These Arms Are Snakes auf „Easter“ (Jade Tree 82214-1) ihren komplexen Hardcore-Postrock entfesseln, klingt der schlanke Schliff sogar angenehmer und runder, weil er die heftig clippenden Gitarren- und Bassverstärker der Band nicht auch noch mit zusätzlichen (Abtast-) Verzerrungen veredelt.

Vertere DG-1S mit Skyanalog P2
Freundlich zu Platten und Nadeln: Das glatte PET stellt keine Gefahr für ein versehentlich darauf abgesenktes System dar. Auch die beiden erschwinglichen MCs P1 und P2 von Skyanalog spielten im Vertere-Arm himmlisch (Foto: B. Rietschel)

Das Thorens TAS 1500 ist mit 800 Euro unter den teureren Systemen eher eines der günstigen. Als blitzsauber klingendes, allürenfreies MC würde ich es in „meinem“ (imaginären) DG-1S von Anfang an mitordern – vielleicht hat der Vertere-Händler sogar Verwendung für das damit freiwerdende Magneto…

Aber das Schöne am Vertere DG-1S ist ja gerade, dass man so viele Tonabnehmer empfehlen könnte. Und dass man andererseits schon mit dem Werkssystem enorm dynamisch und temporeich Musik hören kann. Diese Qualitäten wohnen dem Spieler selbst inne und setzen sich mit jedem probierten Abtaster unüberhörbar durch.

Fazit Vertere DG-1S

Der DG-1S ist ein technisch spannender, klanglich durch und durch überraschender Spieler. Der sportlich-schnittigen Optik steht ein großformatiger, stabiler Klang gegenüber, den Spieler in dieser Gewichtsklasse normalerweise nicht erreichen. Das große Verdienst des Vertere ist aber, dass er diese Wucht und Stabilität mit der Dynamik der besten Leichtbaulaufwerke vereint. Und dass durch seinen hoch flexiblen Tonarm nahezu jeder erdenkliche Tonabnehmer sein Potenzial voll ausspielen kann.

Vertere DG-S1
2023/03
Test-Ergebnis: 4,5
ÜBERRAGEND
Bewertung
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Großformatiger, kräftiger Klang mit exzellenter Dynamik, tollem Timing und Tempo
Sehr vielseitiger Arm mit einstellbarer Effektivmasse
Hohe Laufruhe
Tonarmablage und -sicherung gewöhnungsbedürftig

Vertrieb:
Beat Audio
Hainbuchenweg 12
21224 Rosengarten
www.beat-audio.de

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Vertere DG-1S inklusive Magneto: 4.150 Euro

Technische Daten

Vertere DG-1S
Konzept:Plattenspieler mit Riemenantrieb
Vormontierter Tonabnehmer:Vertere Magneto (MM)
Tonarm:Groove Runner S
Besonderheit:DSP-Motorsteuerung
Gewicht:
8,0 kg
Abmessungen (B x H x T):46,9 x 13,0 x 38,4  cm
Alle technischen Daten
Mit- und Gegenspieler:

Test MC-Tonabnehmer Skyanalog P-1 und P-2: low Output, high Potential
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Autor: Bernhard Rietschel

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Bernhard Rietschel ist gelebte HiFi-Kompetenz. Sein Urteil zu allen Geräten ist geprägt von enormer Kenntnis, doch beim Analogen macht ihm erst recht niemand etwas vor: mehr Analog-Laufwerke, Tonarme und Tonabnehmer hat keiner gehört.