Was haben harte Kerle wie der Schlittenhunde-Rennfahrer Hugh Neff oder die Jungs von Kiss und der Sänger von Rammstein gemeinsam? Wer sich ernsthaft mit Armbanduhren auskennt, dem wäre die naheliegende Antwort „sie sind Weltstars“ zu trivial. Er könnte womöglich auf eine nur Insidern bekannte Marke mit einem schlichten Kürzel verweisen. Sie alle und noch weitere Prominente aus Film, Musik und Sport besitzen Uhren von Vintage VDB. Nun klingt das für sich genommen noch nicht spektakulär.
Traditionsmarken wie Breitling oder Rolex können Legionen von Weltstars auffahren, die ihre Produkte tragen und bewerben. Doch, wenn sich hinter den drei Buchstaben ein Kleinbetrieb aus Thüringen versteckt, der erst vor gut zehn Jahren an den Start ging, dann will Mann einfach mehr darüber wissen. So ging es mir jedenfalls, nachdem ich bei der Munich Time Messe im letzten Herbst durch meinen Kollegen Falk Visarius auf die Marke aufmerksam gemacht wurde. Die VDB-Story ist ein Lehrstück in drei Akten.
Vintage VDB: das Abenteuer wartet mitten in Erfurt
Um dem Geheimnis der bisweilen martialisch wirkenden Uhren mit ihrem mal mehr, mal weniger ausgeprägten Macho-Look auf den Grund zu gehen, muss man sich nach Erfurt begeben. In der Thüringer Landeshauptstadt liegt das Epizentrum der Marke, deren Kürzel für „Vintage Daily Beater“ steht also für Vintage-Uhren, die man jeden Tag tragen kann. Für funktionales Design, für ein robustes Instrument, das auch unter widrigen Bedingungen zuverlässig und präzise die Zeit anzeigt.
Genau so eine Uhr suchte der Gründer Stephan Obst, aber fand sie nicht – zumindest nicht für den Preis, den er sich als Angestellter leisten konnte. Doch dann wurde es am Ende sogar richtig teuer. Der Feinmechaniker wählte einen Weg, den vor ihm schon Pioniere wie Ferdinand Porsche, Dieter Burmester oder Amar G. Bose beschritten: Er beschloss, das Objekt seiner Begierde selbst zu bauen. Zu der Zeit trieb sich der talentierte Tüftler in seiner Freizeit gerne in einem großen Onlineforum zum Thema Uhren herum.
Er begann mit Konstruktionszeichnungen und stellte seine Entwürfe im Forum vor. Dass er sich daraufhin im Zentrum einer kontroversen Diskussion wiederfand, muss erst recht seinen Pioniergeist geweckt haben. Statt aufzuhören, machte er sich wie besessen an die Umsetzung. Schließlich hatte er in den Neunzigerjahren als Rennmechaniker im Team seiner ersten Frau, der bekannten deutschen Rad-Vize-Meisterin Vera Hohlfeld, bereits erfolgreich bewiesen, dass er komplexe Materie beherrscht – etwa durch das leichteste regelkonforme Rennrad der Welt. Dieses immense Wissen floß in seine erste eigene Uhrenkonstruktion mit ein.
VDB 1: Vom Ladenhüter zur Wertanlage
Das war die Geburtsstunde der VDB 1. In der Folge war Obst bereit, sein ganzes beschauliches Leben aufzugeben. Er arbeitete seit 2002 in einem von Radsportlern aus ganz Mitteldeutschland geschätzten Fahrradgeschäft als Mechaniker und genoss unter Profis einen exzellenten Ruf. Dafür ließ er die Chance verstreichen, für ein sehr bekanntes deutsches Radsportteam zu arbeiten. Er wollte nicht aus dem Koffer leben, sondern lieber in seiner Komfortzone bei vertrauten Menschen in Thüringen bleiben. Die blieb ihm schließlich bis heute erhalten. Doch ansonsten krempelte Obst nach einigen Jahren in dem von Wolfgang Kühn, einem der besten DDR-Radsportler, geführten Betrieb sein ganzes Leben um.
Er verkaufte sogar seinen Opel Zafira, um das nötige Startkapital für sein Leben als Uhrenhersteller aufzutreiben, obwohl seine zweite Frau Tanja gerade schwanger war. Wie wir heute wissen, ging diese Wette auf die Zukunft auf. Doch danach sah es zunächst überhaupt nicht aus. Kein Mensch wollte ihm seine erste Kreation zum regulären Preis abkaufen. Obst hatte gerade formal seinen Job im Fahrradgeschäft gekündigt und hielt sich vor allem mit dem Gründerzuschuss am Leben. Im Gespräch mit Familie und Freunden ließ er keinen Zweifel: „Ich will das machen.“ Manch einer versuchte, ihn davon abzubringen, Einmal hieß es „Lass das! Bist Du verrückt?“ Mal hieß es: „Ausgerechnet Uhren, die gibt es heute an jeder Ecke. Wenn ich bei Aral für 100 Euro tanke, kriege ich auch eine Uhr.“ Solchen Kritikern entgegnete Stephan Obst: „Ihr wisst nicht, was eine gute Uhr ist.“
Ein Freund mit Marketingerfahrung bot an: „Wenn Du das willst, ich bin frei im Moment. Ich helfe Dir ein bisschen. Aber ich möchte wissen: Willst Du einfach nur Uhren bauen, oder willst Du eine Marke etablieren? Für den ersten Weg brauchst Du nur Dich selbst. Das Internet wird immer stärker, es gibt heute Plattformen, wo Du geile Sachen, die Du produziert hast, einstellen kannst.“ Obst entgegnete: „Ich will schon eine Marke“ – eine wichtige Erkenntnis auf dem Weg zum Erfolg.
Der Aufstieg der Marke aus Thüringen gestaltete sich allerdings anfangs immer noch mühsam. Zunächst lag der Fokus auf Deutschland. Doch selbst dieses beschränkte Gebiet erwies sich als schwieriges Terrain. Keine der acht VDB 1 mit DDR-Glashütte-Spezimatik-Werk ließ sich zum vollen Preis von 2.600 Euro verkaufen. Potenzielle Käufer stellten sich die Frage: Gibt es die Firma in zwei Jahren überhaupt noch? Wie ist das dann mit einer Reklamation?
Gründer haben’s schwer
Der Entrepreneur überlebte nur über den Gründerzuschuss. Heute bezahlt man für eine VDB 1 zwischen 10.000 und 12.000 Euro. Stephan Obst kaufte vor zwei Jahren sogar eine zurück – für fast 9.000 Euro. Denn für ihn selbst blieb ursprünglich keine übrig. Anfangs musste er, wenn er Material eingekauft und verbaut hatte, auch jede Uhr verkaufen.
Im Rahmen der Presse- und PR-Arbeit kam es zu Szenen, die Stephan Obst als Nachtreten empfand. Er schickte eine Pressemeldung an eine Koryphäe bei einem führenden Uhrenmagazin. Die barsche Antwort: „Wenn sie mir eine korrekte und wunderbare PM schicken – das können ja schon viele nicht – über eine Bahnhofsuhr mit einem Ledergürtel dran, dann glauben Sie doch wohl nicht, dass ich darüber berichten werde.“ Das saß.
Obst schmunzelt: „Heute ist dieser Mann bestens informiert, was wir tun. Aber ich habe ihm nie gestattet, über uns zu schreiben. Einmal im Jahr fragt er, warum ich so nachtragend bin.“
Vintage VDB startet durch
Trotz aller Startschwierigkeiten war Entwickler Obst zufrieden mit seinem Erstlingswerk. Er hatte Zuspruch erhalten. Nicht viel, aber immerhin. Nach dieser Erfahrung kam es im engsten Kreis zu Diskussionen um die Ausrichtung von Vintage VDB. Stephan Obst schwebten weiterhin handgefertigte Kleinstauflagen vor. Seine Unterstützer warnten: „Kann man machen, überleben wir aber nicht.“
Obst ächzte: „Ich will eine Uhr in Handarbeit herstellen und jetzt heißt es, ich soll 500 Stück machen? Das schaffe ich doch gar nicht. Das Jahr hat doch nur 365 Tage.“
Seine Sorge: „Dann wird doch die Uhr wie das, was ich schon kaufen kann. Das ist nicht meine Uhr!“ Ein Freund, der Obst im Marketing unterstützte, forderte jedoch mehr Vielfalt und eine niedrigere Einstiegsschwelle. Er wählte dazu einen Vergleich mit Einstiegsdrogen: „Wie willst Du jemandem harten Stoff verkaufen, wenn er vorher nicht einmal gekifft hat?“
Der drastische Vergleich zeigte bei Stephan Obst die gewünschte Wirkung. 2010 entstand daraus die Philosophie der drei Säulen von VDB, die sich selbst in der Dreiteilung auf der Website spiegelt.
2011 kamen die jährlich neu aufgelegten Serienuhren in einer limitierten Auflage von 100 bis 200 Exemplaren (heute 100 bis 120) ins Portofolio. Diese werden in Handarbeit bei Vintage VDB von Stephan Obst und einem weiteren Mitarbeiter zusammengebaut. Ihre Gehäuse und Lederbänder kommen jedoch von Zulieferbetrieben aus der Region, die sonst allerdings nichts mit Uhren zu tun haben.
Die Vintage-Werke werden von selbständigen, hochqualifizierten Uhrmachern bearbeitet, von denen einer zu den erfahrensten und besten im ganzen Land zählt. Obst ist kein Uhrmacher, er macht Gehäuse und Zeiger. Außerdem baut er die ersten fünf Prototypen, dann fertigt ein deutscher Partner aus der Metallindustrie nach diesem Vorbild die Seriengehäuse. 2012 entstanden dann noch auf Basis dieser Serienuhren erste modifizierte Ableger in ganz kleinen Auflagen. Die Lederbänder kommen wie die meisten Teile aus der Region, in dem Fall vom Maßschuhmacher Mario Thieme („Jakob F.“) aus Erfurt.
Drei Säulen des Erfolgs
Die zweite Säule sind die reinen Handmade Uhren, bei denen nur die Werke aus Altbeständen stammen. Die werden bei VDB in Erfurt auf 150 Quadratmetern wie die Prototypen in Handarbeit gebaut. Früher handelte es sich bei den Antrieben um Fundstücke, inzwischen kennt Stephan Obst die nötigen Kanäle, um an Restbestände von Vintage-Werken heranzukommen, die teilweise sogar von VDB weiterentwickelt werden.
Die dritte Säule sind die Custom made Watches – eine VDB-Spezialität, die ganz nach Kundenwünschen als Einzelstücke entstehen. Dabei bestimmen Werk und Material den Preis, der zu 50 Prozent im voraus bezahlt werden muss. Danach entstehen auf Basis bestimmter Eckdaten die ersten Entwürfe, die Form von Gehäuse und Lünette sowie die Farbe des Zifferblatts und die Art des Bodens visualisieren. Der Kunde, der dafür ungefähr mit dem 15fachen Preis der günstigsten Serienuhren rechnen kann, bekommt jeden Schritt bis zur Fertigstellung seines Einzelstücks anhand von Fotos dokumentiert.
Stammkunden bekommen allerdings auch die Chance, sich für weniger als die Hälfte eine Serienuhr individualisieren zu lassen.
In einem Punkt hört bei Vintage VDB allerdings die Individualisierung auf: Das 28er-Band ist zentraler Baustein der VDB-DNA. Oft wurde Obst bedrängt, doch mindestens ein Modell mit 26er-Band machen. Doch er wich nie von seiner Linie ab. Heute ist das 28 mm breite Band ein Markenzeichen.
Die Ernte des Erfurter Entrepreneurs
Selbst die wohlüberlegte Fokussierung auf die drei Säulen reicht nicht aus, den Aufstieg von VDB vollständig zu erklären. Bei VDB ist man überzeugt: „Ohne das Internet und die sozialen Netzwerke würde es uns nicht geben.“ Deutschland blieb ein schwieriges Pflaster. Potenzielle Kunden quälten sich ungeachtet der Produktvielfalt mit Vorbehalten und mangelndem Vertrauen. In der Situation besann sich Obsts PR-Berater auf seine Auslandserfahrungen. Er wusste, dass deutsche Produkte im Ausland immer noch einen wahnsinnig guten Ruf genießen. So erschien es für VDB einfacher, durch Verkäufe außerhalb des Landes einen Sprung nach vorne zu machen und dann mit dem Rückenwind stärker zurück nach Deutschland zu kommen. Obst ist überzeugt „Es ist leichter, in Amerika deutsche Produkte zu verkaufen und es ist lukrativer, weil die Wertschätzung da ist. Der Amerikaner liebt Geschichten, liebt Made in Germany.“
Auch fragten die Amerikaner nicht gleich, ob Stephan Obst auch wirklich selber Uhrmacher ist. Und dann war da ja noch die Sache mit den besseren Hälften der Thüringer Uhrenpioniere. Cash musste kommen.
Da war nur ein kleines Problem: „Wir konnten nicht einmal eine Anzeige in der Thüringer Tageszeitung schalten, weil dafür kein Geld da war“, erinnern sich Stephan Obst. Doch die Mischung aus Geist, E-Mails und Internet brachte den Durchbruch. Rückblickend betrachtet VDB die sozialen Netzwerke als Lebensversicherung. Darüber konnten sie Leute erreichen, die sie sonst nur mit einer großen Anzeigenkampagne in den USA erreicht hätten.
VDB zählte fortan wohlhabende Banker auf der anderen Seite des Atlantiks zu seinen Kunden und konnte anschließend auch zu Hause selbstbewusster auftreten. Nun kehrte sich die Situation um, ganz nach dem Motto: „Alles, was aus Amerika kommt, ist gut.“
Vintage VDB – die Uhrenmarke der Stars
Der nächste Schritt zu etwas mehr Glamour waren die Stars, die sich zum größten Teil sogar bereit erklärten, mit ihrer Vintage VDB zu posen. Auch dieser Schritt verlangte einigen Einsatz. Der erste Promi war Fussball-Legende Stephan Effenberg, mit dem VDB über Facebook in Kontakt trat. Die Thüringer boten dem Ex-Mittelfeldspieler an, ihm eine individuelle Uhr zu bauen. Bei einem Kaffee wurde Maß genommen. Doch der Fussballprofi fand mehr Gefallen an der Idee als an den ihm gezeigten Uhren. Nach Fotos von Uhren, die Effenberg gefielen, wurden die ersten Entwürfe gezeichnet und gesimst, bis es schließlich zur persönlichen Übergabe der Maß-Uhr beim selbst gebackenen Apfelkuchen im Haus der Familie Effenberg in München kam.
Die Verbindung mit Effenberg hatte nicht nur mit der Fussball-Affinität der Köpfe hinter VDB zu tun, sondern vor allem damit, dass er ein kantiger Typ ist, der in den Augen der Macher zur Marke passt. Das Kalkül machte sich bezahlt: Danach berichteten der MDR und einige Tageszeitungen über die Armbanduhren aus Erfurt.
Beflügelt durch den Erfolg konnten die aufstrebenden Erfurter einen Star nach dem anderen gewinnen. Sogar Frauenschwarm Johnny Depp trägt VDB, neuerdings auch Lee Majors, den ältere noch aus der TV-Serie „Ein Colt für alle Fälle“ kennen. In der Musikwelt zählen Alice Cooper, ZZ-Top-Frontmann Billy Gibbons, Till Lindemann von Rammstein, The Boss Hoss und die gesamte Hardrock Band Kiss dazu. Den Ausschlag gab Drummer Eric Singer, der sich zunächst nur von sich aus am regen Austausch in der Fan-Community auf Facebook beteiligte. Mit Sophia Thomalla und der Olympiasiegerin und Weltmeisterin Anja Schneiderheinze (Eisschnelllauf und Bobsport) befinden sich sogar tatsächlich zwei starke Frauen unter den VDB-Promis.
Nicht immer nur auf dem Teppich bleiben
Doch nicht nur auf den roten Teppichen dieser Welt hat sich Vintage VDB in weniger als zehn Jahren bestens aufgestellt. Die Männer-Wecker mussten sich auch auf dem Terrain beweisen, für das sie eigentlich konstruiert wurden.
Hugh Neff, der fünffache Yukon Quest Gewinner trug seine Vintage-Uhr beim 1000-Meilen-Schlittenhunderennen 2013 außen über der Kleidung – ganze zehn Tage lang bei -40 Grad. Doch das größte Abenteuer steht Vintage VDB noch bevor: Die VDB P 1070 Deep Sea SE wäre nach offiziell bestätigten Druckkammermessungen des Fraunhofer Instituts Ilmenau in der Lage, am Grund des Marianengrabens dem extremen Druck von 1.200 bar standzuhalten, was einer Wassertiefe von 12.000 Metern unter dem Meeresspiegel entspricht. Und zwar ohne dass die Uhr stehen bleibt oder auch nur ein Tropfen Wasser eindringt. Allerdings steht der eigentliche Stunt mangels Gelegenheit noch aus.
Also, wenn sich unter den Lesern nicht nur Sojamilch-genährte Softies, sondern auch harte Kerle befinden: Die unkaputtbare VDB P1070 Deep Sea SE sucht noch eine Mitfahrgelegenheit in den Marianengraben.
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