Der neue Volvo V60 ist eine Augenweide und zudem eine Lösung für alle, denen der Volvo V90 zu groß und zu teuer ist. Mit einer Länge von knapp 4,8 Metern und Preisen ab rund 40.000 Euro senkt er die Hemmschwelle, sich beim Autokauf in einer eher durch Vernunft geprägten Klasse in erster Linie von Emotionen leiten zu lassen. Doch ganz so einfach wollte es Volvo seinen potenziellen Kunden doch nicht machen. Es bleibt die Gretchenfrage: Wie hältst Du es mit dem Sound?
Normalerweise ist die Sache einfach: Wenn dir das Geld nicht wehtut, nimmst du deinen Volvo mit dem auch optisch sehr appetitlich dargebotenen Sound-System von Bowers & Wilkins. Doch diesmal betrieben die Schweden schon beim Infotainmentsystem Sensus Connect mit High Performance Sound Pro by Harman/Kardon für 840 Euro einen Aufwand, der in dieser Fahrzeug-Klasse zahlreiche Top-Ausstattungen blass wirken lässt. Vor allem setzen sie auf die Kombination von Dirac Unison und Dirac Live Verfahren, mit denen sich nicht nur der individuelle Impuls- und Frequenzgang jedes einzelnen Lautsprechers, sondern auch die Impuls- und Frequenzantworten aller Lautsprecher innerhalb des gesamten Soundsystems optimieren lassen.
Maximale Basspräzision dank Dirac
Dirac Unison bietet außerdem ein völlig neuartiges Bassmanagement, das sich automatisch an Fahrzeuginnenraum und Lautsprecher anpasst. Das führt zu einer Basswiedergabe, die viel differenzierter und straffer ist, als es bisher in einem Fahrzeug möglich war. Die von der Universität im schwedischen Uppsala entwickelte, von Harman applizierte Software erzielt ihre überragenden Ergebnisse durch die Verbindung von aktiver Auslöschung unerwünschter Töne, Schallfeldsynthese und Raumkorrektur.
Damit wirbelt der neue Volvo V60 nicht nur die Modellhierarchie durcheinander, sondern auch das Verhältnis zwischen den High-End-Anlagen von Bowers & Wilkins und den Budget-Lösungen von Harman Kardon. Ein erster Hörcheck im neuen Volvo Showroom in Mailand im Rahmen der AES-Tagung, wo Volvo gemeinsam mit Dirac einen Einblick in zeitgemäße Sound-Tuning-Prozesse im Automobilbau vermittelte, ließ aufhorchen. In Sachen Klangfarbentreue, Staging und ganz besonders im Bass wilderte Harman im Revier der britischen Lautsprecherschmiede, deren Systeme sonst die Krönung eines jeden zeitgenössischen Volvos sind. Hans Lathi, der für den V60 zuständige Audio-Verantwortliche bei Harman, ließ durchblicken, dass die Geometrie des V60-Innenraums mit ihren scheinbar idealen Abmessungen Anteil am herausragenden Klangergebnis trägt.
Harman Kardon mit überragender Bass-Performance
Nach dieser statischen Demo, die sich nur auf das Harman Kardon System bezog, war ich umso gespannter, in Köln kurz darauf den Volvo V90 nicht nur mit diesem erschwinglichen System auf der Straße zu testen. Hier stand auch die Top-Ausstattung von B&W zur Ausfahrt bereit. Doch zuerst nahm ich mir einen Volvo V60 T6 AWD mit Harman Kardon vor, der sich mit 310 PS aus 2.0 Litern Hubraum, unterstützt von einem kleinen Kompressor und einem Turbolader, flott bewegen ließ. Bei gleichbleibendem Tempo spürte ich kaum etwas vom Motor, beim starken Beschleunigen klang er dafür für einen Wagen dieser Klasse recht kernig. Doch Kraftentfaltung und Straßenlage sei Dank machte der straff, aber nicht unbequem gefederte V60 wirklich Spaß, auch wenn er selbst im Dynamik-Modus nicht nach der Klassenkrone in Sachen Sportlichkeit griff. Dazu fehlte es nach meinem Geschmack vor allem der leicht synthetisch wirkenden Lenkung in langgezogenen, schnellen Kurven an Präzision und Rückmeldung.
Am wohlsten fühlte sich der mit Allradtraktion im Überfluss gesegnete Volvo V60 T6 AWD beim zügigen, gleichmäßigen Fahren. Da kommt auch das schlicht schicke Ambiente mit hochkant stehendem Zentralbildschirm und den von mir schon oft als ikonisches Design positiv hervorgehobenen Luftaustrittsdüsen zur Geltung. Und natürlich erst recht die ausgezeichnete Harman-Kardon-Anlage. Sie beherrschte einfach jede Klangdisziplin und jede Musikart.
Ob fette, aber extrem differenziert und knackige Elektrobeats (Crooked – Feat. Kwame von JaySounds) oder akustisches Schlagzeug (“Money” von David Gilmour Live At Pompeii) auf dem Programm standen, machte keinen Unterschied. Ob leise, laut oder sehr laut, auch nicht. Saubere und natürliche Stimmen sowie feinzeichnende Höhen haben heute viele ab Werk erhältlichen Marken-Sound-Systeme. Doch so eine packende, tiefreichende und präzise Basswiedergabe ist extrem rar. So homogen das von mir sehr geschätzte B&W-Sound-System des V90 auch klingt, in der Tieftonpräzision kommt das satt und eher weich abgestimmte britische Sound-System mit dem neuen Harman-Highlight im Volvo V60 nicht mit.
Entsprechend neugierig war ich auf die Kombination aus neuem Volvo V60 und Bowers & Wilkins. Doch das Erste, das mir positiv auffiel, war der 190 PS starke D4 Diesel, dessen 8-Gang-Automatik lange nicht so hektisch beim kleinsten Tritt aufs Gaspedal herunterschaltete wie beim zuvor gefahrenen Benziner. Das kam der Ruhe im Fahrfluss und in der Akustik ebenso zugute, wie dem Ansprechverhalten, das durch solche Gangwechselarien letztlich konterkariert wurde.
Doch was war mit dem Sound-System los? So sehr ich mich auch bemühte, die 3.300 Euro Aufpreis für das Infotainmentsystem Sensus Connect mit Premium Sound by Bowers & Wilkins herauszuhören, so marginal erschienen mir die Unterschiede. Dabei reden wir von 13 Lautsprechern inklusive dem in die Rohbaukarosserie integrierten 20-cm-Subwoofer mit Air Woofer Technology gegen 15 High-End-Lautsprecher, angetrieben von einer 1.100-Watt-Class-D-Endstufe. Zum B&W-System gehören neben Tieftönern mit Karbon/Zellulose-Membranen die markanten gelben Kevlar-Mitteltöner und die Nautilus-Hochtöner mit Aluminium-Kalotten. Der Center bedient sich eines 2-Wege-Systems mit einem direkt auf die Zuhörer gerichteten Hochtöner, der Scheibenreflexionen vermeidet.
So knapp war Bowers & Wilkins noch nie vor den günstigeren Harman-Kardon-Systemen, weder bei Volvo noch bei BMW, die im 5er und 7er ebenfalls auf beide Marken setzen. Schließlich steht hinter beiden Lösungen Harman Automotive, die auf Achse auch B&W vertreten. Schon allein daher sollte der Abstand gewahrt bleiben. Nur weiß niemand besser als High-Ender, dass der Glaube Berge versetzen kann, vor allem wenn man etwas Teures gegen etwas Günstiges hört.
B&W: Liebe auf den zweiten Ton
Ja, es klang hier und da mit Bowers & Wilkins noch eine Spur feiner. Doch dafür so viel Geld ausgeben? Während ich mich mit der Frage nach dem fairen Fazit beschäftigte, fiel mir auf, dass die Klimaanlage ganz schön ballerte. Um einem Schnupfen vorzubeugen, ging ich in die Tiefen der Menüs – direkter Zugriff, womöglich über Tasten, wäre ja altmodisch – und fand, dass der Ventilator trotz moderater Temperatureinstellung auf vollen Touren lief.
Das brachte die entscheidende Wende beim Klang. Jetzt kamen immer mehr Feinheiten zum Vorschein. Und zwar von noch tieferem, satterem Bass über farbenprächtigere Mitten bis zu noch feineren, nuancierteren Höhen. Dieser Effekt stellte sich nicht nur besonders deutlich mit klassischer Musik oder Jazz mit Naturinstrumenten heraus. Selbst Hip-Hop ertönte mit einem Mal noch packender, kraftvoller, einfach intensiver.
Jedenfalls – gerade im Bassbereich, wo sich sonst bei Car-Audio-Systemen besonders deutliche Unterschiede zwischen maximalem und überschaubarem Audio-Aufwand zeigen, schnitt das ausgesprochen günstige Harman Kardon Sound-System gegen die High-End-Lösung besonders achtbar ab.
Fazit Volvo V60 mit B&W vs Harman Kardon
Eigentlich reichen beim Harman Kardon High Performance Sound Pro, das mit dem kontaktfreudigen Infotainment Senus Connect mit 12,3-Zoll-Touch-Display und Smartphone-Integration nur 840 Euro Aufpreis kostet, fünf Sterne gar nicht aus. Für preisbewusste Audiophile ist es das Mega-Schnäppchen auf dem Markt.
Das Sensus Connect mit Premium Sound by Bowers & Wilkins ist da diesmal nur das Sahnehäubchen auf diesem Genuss. Es empfiehlt sich nur für jene, die den Aufpreis von 3.300 Euro wirklich übrighaben und bereit sind, für die letzten Nuancen noch einmal das Dreifache draufzulegen. Doch diese Luxussorgen plagen jeden Gourmet, ganz gleich, ob es sich um Wein, Speisen oder High-End-Anlagen fürs Wohnzimmer oder Auto handelt. Im Vergleich zum Wettbewerbsumfeld lohnt sich die Ausgabe allemal, denn da kommt der 3er BMW, dessen Harman Kardon Surround System ich mal im Leihwagen off records hören konnte, nicht mit.
Einfacher als die Frage Harman Kardon oder Bowers & Wilkins lässt sich für meinen Geschmack die Frage nach den Motoren beantworten: Auch wenn Volvo markenintern den Diesel als Auslaufmodell betrachtet, ist der elastische, schaltfaul zu fahrende D4 der adäquate Antrieb für den Volvo V60 und nicht der von hektischen Gangwechseln geprägte, etwas vulgär wirkende T6 AWD Benziner. Und wer dieser Empfehlung folgt, hat ganz nebenbei mehr gespart, als der Aufpreis fürs superbe B&W-System kostet.
Bewertung
AnlageAutoFahrspass |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Natürliche Stimmwiedergabe, gute Auflösung, tiefreichender, differenzierter, dabei brottrockener Bass |
| Breite, tiefe und dabei stabile Hörbühne |
| Vergleichsweise sehr moderater Aufpreis für den Harman Kardon Sound |
| Benziner fällt selbst bei leichter Beschleunigung durch hektische Schaltvorgänge auf |
Vertrieb:
Volvo Cars Deutschland
Köln
www.volvocars.com
Preis (Herstellerempfehlung):
Volvo V60 T6 AWD ab 49.500 Euro, Sensus Connect mit Harman Kardon High Performance Sound Pro 840 Euro.
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