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NinaOgot
Fünf spannende, musikalische Highlights hat die Musikredaktion aus dem prallen Angebot des Mai für Sie herausgefiltert. Mit dabei: das zweite Album der Kenianerin Nina Ogot

Die musikalischen Highlights aus dem Mai 2024

Die musikalischen Highlights aus dem Mai 2024 sind dieses Mal besonders breit gefächert. Zum Beispiel mit Konstantin Wecker. Der bayerische Liedermacher, Schauspieler, Poet und Politikermahner blickt auf ein reiches, kreatives Leben zurück – inklusive vieler prominenter Filmkompositionen, die er bewegend live auf dem Münchner Tollwood-Festival als „Soundtrack meines Lebens“ einspielte.

Highlight No. 2 ist Nina Ogot. Sie entführt uns mit ihrem lebendig-sprühendem Afro-Pop-Album „Ukumbu.KE“ in ein hellstrahlendes Rhythmus-Universum – obendrein mit klasse Klang und vielen bunt animierten Videoclips.

Kamasi Washington bestellt sein musikalisches Feld mit Sixties-Jazz, Hip-Hop und Funk-Saatgut auf „Fearless Movement“ – ein unerhört furchtloser, aufregender Psychedelic-Jazz-Mix, der auch das Tanzbein zucken lässt. The Avett Brothers setzten mehr auf klangliche Qualität und ließen sich vom alten Star-Produzenten-Hasen Rick Rubin (Tom Petty) produzieren – das neue, selbst betitelte Album strotzt vor pointiertem Americana-Feeling.

Und zu guter Letzt lässt Billie Eilish als junges Gemüse von gerade einmal 22 Jahren mit „Hit Me Hard And Soft“ ihren dritten Longplayer auf Top-Niveau wachsen. Ein erstaunlich reifes, interdisziplinär-vielmutiges Werk.

Das sind die musikalischen Highlights aus dem Mai 2024:

Wir starten mit Konstantin Wecker. Die Musik des Mannes mit der sonor-energischen Stimme, die er in herrlich verbindlicher Komplizenschaft mit seinem ebenso eher schattig getrimmten Bösendorfer Flügel seit Jahrzehnten in die Welt trägt, kennen wir. Zartbittere Hymnen, politische Kampfansagen, berührende Lyrik, mutige Manifeste. Und vielschichtige Poesie, eingefangen und vorgetragen im Studio und live-haftig. Seine Notenblätter füllte der Münchner über einen Zeitraum von rund 45 Jahren aber auch mit vielen, durchaus prominenten bis berühmten Kompositionen für Film und Fernsehen.

Weckers „Soundtrack“-Archiv ist dabei wohl sortiert mit Werken für Regisseur-Promis wie Margarethe von Trotta, Michael Verhoeven, Peter Patzak oder Helmut Dietl. Und Filmen wie „Die Weiße Rose“, „Liesl Karlstadt und Karl Valentin“, „Apollonia“ oder der Serie „Kir Royal“.

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Konstantin Wecker mit „Der Soundtrack meines Lebens“ erscheint bei Sturm & Klang / Alive als 2CD- oder 3LP-Set. (Cover: jpc)

Zwischen den 30 Stücken erweisen ihm Gäste wie Mario Adorf, Friedrich von Thun oder Jo Baier die Ehre mit kleinen Laudationen, Anekdoten, Poesie und Gedanken. Der Live-Klang überzeugt mit toller Atmosphäre und guter Sortierung des Geschehens, lediglich einige Zwischen-Worte klingen ziemlich dünn.

Ein anrührendes Event und Dokument des 77-Jährigen. In Memoriam seines 1976er Albums möchte ich hier ein „Weckerleuchten“ attestieren. Zu viel des Pathos? Dann nüchterner: Der Mann wird als Realist weiterhin vom Besseren, Gerechteren träumen, sich dafür einsetzen. Und dabei Freude haben. Wie wir. Hoffentlich.

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Nina Ogot scheint kreative Vielseitigkeit mit Löffeln gegessen zu haben: Sie arbeitet als Komponistin, Sängerin, Gitarristin, Dolmetscherin sowie Radio- und TV-Sprecherin. Die Multi-Tasking-Frau aus Nairobi beglückt die Welt bereits seit über 15 Jahren mit ihrer Musik. Am Anfang stand ihr Solo-Debüt „Ninairobi“ von 2008 mit einem herzerfrischenden Cocktail aus fruchtreifen Melodien, zackigen Rhythmen und einer samtigen Stimmbandbreite.

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Nina Ogot „Ukumbu.KE“ erscheint bei Hey:blau Records als CD (Cover: jpc)

Äußerst sympathisch und musikalisch beflügelt auch ihr neues Album. Auf „Safari“ grooven sich Chor und Handclaps mit blitzblanken Bläsersätzen ein, auf „Zawadi“ frönt die Bassgitarre herrlich Ninas energetischer Stimme und immer wieder holen uns beschwingte Melodien und Harmoniegesänge ein. Jazzige Einsprengsel wie auf „Imara“ zeigen die Vielseitigkeit der Kenianerin. Was auch die sehr präsenten und schlau eingepassten Bläser beweisen: Die stammen weitgehend aus deutschem Munde, eingefangen im Horus Sound Studio Hannover – ein vielschichtig groovendes, teils sogar klassisch angehauchtes Unterfangen, das die afrikanischen Vibes unterstützt oder geschickt konterkariert.

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Nina zitiert dabei gerne traditionelle Weisen wie beispielsweise die Taarab-Melodik aus dem Osten Kenias. Ihre Texte spiegeln dabei nicht nur eitel Sonnenschein des kenianischen Alltags, sondern auch Themen wie Straßenkinder, so im Hymnenhaften „Chokoraa“. Zudem engagiert sich Nina für soziale Angelegenheiten, so als Botschafterin für „Treasures Of Kenya“ („Schätze Kenias“), die ihren Fokus auf die Bewahrung von Natur- und Kulturschätzen des Landes legt. Auch der Klang beschwingt – mit packender Bassdynamik und prima Auflösung.

Videoclip z „Safari“

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Kamasi Washington spielt seit seinem 13. Lebensjahr Saxofon, Musik macht er seit 20 Jahren, ab 2015 meist auf dem Sonnendeck des Avant-Garde- und zeitgenössischem Jazz nebst Post-Bop-Pool und Funk-Bar. Ein Songschreiber, Saxofonist und Bandleader, der vor seinem phänomenalen Debüt von 2015 „The Epic“ schon mit vielen Promis wie Snoop Dogg, McCoy Tyner oder George Duke spielte. Und in seinem Kollektiv West Coast Get Down. Ach ja: 2018 steuerte er den Soundtrack zu Michelle Obamas Filmdokumentation „Becoming“ von Regisseurin Nadia Hallgren bei.

KWashington Cover qobuz
Kamasi Washington „Fearless Movement“ erscheint bei Young Records / Indigo als 2 CDs, 2 LPs sowie als Stream oder Download, z.B. auf qobuz.com

Auch jetzt geht die Post ab: Mit KollegInnen wie Stil-Mixer Andre 3000, Funk&Soul-Mann George Clinton, R&B- und Elektro-Jazz-Crack Thundercat oder Westcoast-Rapper Terrace Martin. Die Gästeliste wäre noch viel länger. Das Ergebnis: vogelwild. Ein fantastisches, akustisches Wimmelbild, am Ende doch wohl sortiert und verdichtet arrangiert. Ein mitreißendes Song-Bouquet, das reich an Facetten und Earcatchern begeistert. Wenn man so will Jazz 3.0. Das Klangbild hält da mehr als prima mit – dank wuchtigem Bassdruck, leuchtendem Farbspiel und schöner Transparenz.

Videoclip: „Prologue“

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The Avett Brothers hatten prominente Hilfe: Ricky Rubin funkelt schon lange im US-Musikbusiness. Der 61-jährige Rauschebart-Vollblutmusiker und -Produzent mischte über rund 40 Jahre bei Promi-KollegInnen wie den Red Hot Chili Peppers, Mick Jagger, Johnny Cash, AC/DC, Donovan, Melanie C, Neil Diamond, Metallica oder eben Tom Petty prägend mit. Namedropping, Ende. Na gut, einer noch vielleicht: Zum 90. Geburtstag lud Country-Ikone Willie Nelson The Avett Brothers zum Konzert im renommierten Hollywood Bowl ein. Eine Ehre.

Die Brüder Scott (Vocals, Banjo) und Seth Avett (Vocals, Gitarre) reiten auf ihrem neuen Album namens „The Avett Brothers“ wieder im relaxten Americana-Sattel hinaus in die Prärie. Rubin sorgt für die klare Struktur, fokussiert im Spannungsgeld zwischen Indie-Country, Duett-Gesang und Folk-Rock.

The Avett Brothers Cover
The Avett Brothers und ihr Album „The Avett Brothers“ erscheint bei Ramseur-American / Thirty Tigers als CD oder LP sowie als Stream oder Download, z.B. auf qobuz.de

Ihre musikalischen Wurzeln gehen zurück auf Grunge-Ausflüge mit ihrer Band Nemo in North Carolina Anfang des Millenniums. Dann schwenkten sie um und machten auf Landpartie. Gut so. Die Texte passen dazu, spiegeln die kleinen fried- und freudvollen Alltäglichkeiten des Lebens da draußen wider. Schön. Das Klangbild zeichnet sich durch prima Prägnanz, Ortbarkeit und Farbgefühl aus.

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Wem der Stil schmeckt, kann auch mal in ihr Klasse-Album „Emotionalism“ reinhören, das sie 2007 hoch in die US-Charts führte. Das war übrigens auch die Phase als Rick Rubin für die beiden einen Major-Deal mit seinem Label American Recordings einfädelte, ein Unterlabel von Sony BMG/Columbia. Und so schließt sich der Kreis.

Videoclip „Forever Now“

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Billie Eilish legt jedenfalls ein erstaunlich reifes, interdisziplinär-vielmutiges Werk vor, das sie wieder mit ihrem Bruder Finneas im Kosmos von Indie-Elektronik, Alternative-Pop, Singer-Songwriter und Hip-Hop inszeniert. Bereits 2019 steuerte die Kalifornierin ihr Debütalbum „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ schnurstracks auf Platz 1 – wohlgemerkt in 18 Ländern. Mit gerade mal 17 Lenzen auf dem Kalender. Es folgten mehrere Oscar- und Grammy-Weihen.

Was zeichnet Billie aus? Auf alle Fälle eine innere Power, die sie – durchaus auch stellvertretend – für ihre weibliche Generation nach vorne trägt. Nicht einfach den Stinkefinger zeigen, sondern intelligent und vor allem sehr offen, authentisch die Gefühle vieler jüngerer Frauen in Lyrik und Musik transformieren. Eben auch die dunklen und beängstigenden Gedanken und Gefühle. Damit steht sie inhaltlich bei Taylor Swift und Beyoncé. Ohne ein Ranking aufzustellen, überzeugt ausgerechnet die jüngste des amerikanischen Erfolgs-Trios mit äußerst stimmigen Arrangements, teils beeindruckend verspielt, und wie gesagt co-inszeniert und -produziert von Bruder Finneas O’Connell.

Der Opener „Skinny“ entführt mit verträumter Melodienaura. „The Diner“ birgt Anleihen von Massive Attack. Das ist erlaubt. Auch Mozart oder Beethoven haben in ihrer Zeitblase sicherlich von anderen, sagen wir mal, gelernt. „Lunch“ pumpt und pulsiert geradezu ironisch-fröhlich, erinnert ein bisschen an das finnisch-französische Duo The Do oder an die omnipotente Caroline Polachek. Aber Vergleiche braucht Billie Eilish gar nicht. Denn sie setzt weitgehend einfach noch eins drauf.

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Billie Eilish „Hit Me Hard And Soft“ erscheint auf Interscope als CD oder LP sowie als Stream oder Download, z.B. auf qobuz.de

Aber was macht das Spektakuläre aus? Auch die gefühlte oder errechnete Diskrepanz zwischen biologischem Alter und kreativem Output? Fest steht, an dem Großen und Ganzen des Albums werden sich sicherlich nicht nur ausgehende Teenager oder angehende Twens abarbeiten. Weil „Hit Me Hard And Soft“ ein erwachsenes Album ist.

Videoclip zu „Lunch“

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Die Tontechnik, co-assistiert von Billie-Bruder Finneas glänzt durch up-to-date Sound-Imaginationen, überschüttet uns teilweise mit schlau eingesetzten, Soundeinsprengseln, die richtig Spaß machen und teils verblüffen. Mit dabei: Halleffekte, Synthie-Wolken, verhuschte mehrstimmige Vokalsätze. Vor allem über (gute) Kopfhörer ein spannendes akustisches Erlebnis.

 

Billie Eilish
„Hit Me Hard And Soft“
2024/05
Test-Ergebnis: 4,4
SEHR GUT
Bewertungen
Musik
Klang
Repertoirewert

Gesamt

 

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Autor: Claus Dick

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Musikfachmann seit Jahrzehnten, aber immer auch HiFi-Fan. Er findet zielsicher die best-klingenden Aufnahmen, die besten Remasterings und macht immer gern die Reportagen vor Ort.