Dass die kleine englische Manufaktur Arcam fein klingende AV-Receiver produziert, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Mit der neuesten Generation wagen sie aber erstmals einen mutigen Schritt hin zu einem komplexen Einmess-System plus Immersive Audio mit Dolby Atmos – und wenn das Update kommt, auch DTS:X. LowBeats hat sich die große Maschine angehört: den Arcam AVR850. Sein kleiner Bruder Arcam AVR550 unterscheidet sich vorrangig in Preis sowie Bauart und geringerer Potenz der integrierten Endstufen.
Rein äußerlich sehen sich die neuen Arcam Receiver sehr ähnlich, sie gleichen auch ihren Vorgänger-Modellen. Schaut man nur auf die Datenblätter, bekommt man bei Arcam in Relation zu asiatischen Mitbewerbern bei einem Preis von 5.500 Euro eine recht sparsame Ausstattung für’s Geld. Aber wie wir Nerds wissen, ist eine lange Liste an Funktionen qualitativ wenig aussagekräftig.
Hauptsache, die für einen selbst wichtigen Punkte sind alle vorhanden. Und letzteres dürfte bei Arcam für praktisch alle in Frage kommenden Kunden der Fall sein, denn primär geht dem Engländer jedweder Schnickschnack ab.
Einzig einen in der Auflösung weniger eingeschränkten integrierten Mediaplayer hätte ich mir gewünscht, denn der ist in der Tat etwas spärlich geraten. Er stellte im Test keine Cover dar und spielt nur Standard-Auflösungen. Damit taugt er als Internetradio und für gerippte CDs prima, für moderne High-Res-Dateien leider nicht.
Der eigentliche Knaller, von Dolby Atmos, einem modernen, aktuellen HDMI-Board und der gewohnt edel anmutenden Verarbeitung einmal abgesehen, ist aber das neue Einmess-System, das die Briten bei den DSP-Spezialisten von Dirac aus Schweden lizensiert haben. Dirac Live heißt hier die Produktfamilie der Lautsprecher- und Raumkorrekturen und löst den bisherigen sehr simplen Einmess-Automaten ab.
Die Handhabung gerät nun zwar deutlich komplexer als der bisherige Ritsch-Ratsch-Klick-Automatismus, aber die Flexibilität und klangliche Qualität sprechen eine völlig neue Sprache. Warum ist das so wichtig?
Integrierte Einmess-Systeme müssen mit dem Speicher und der Rechenkapazität von Signal-Verarbeitungschips auskommen, die eigentlich nicht als Laborgeräte gedacht sind.
Es ist gar nicht möglich, das gesamte Mess-Signal des Mikrofons zu analysieren. Aufwändigere und genauere Analyse-Systeme müssen also in einen separaten Computer ausgelagert werden, der dann Speicher und Rechenpower für das gesamte Signal bietet.
In diesem Falle nutzt man für Dirac einen gewöhnlichen Windows- oder Apple-PC oder -Laptop, auf dem die von der Arcam-Homepage geladene Software installiert wird. Im Download-Paket enthalten ist auch jeweils die neueste Firmware für den Receiver, den man zuvor auf den aktuellsten Stand bringen sollte.
Dann installiert man Dirac Live für Arcam auf dem Computer-Rechner und schließt die externe Soundkarte für das mitgelieferte Mess-Mikrofon an. Arcam AVR850 und der Computer mit Dirac müssen im gleichen lokalen Netzwerk angemeldet sein und kommunizieren können, denn Dirac steuert während der Einmessung den Receiver als Quelle für die Mess-Signale.
Bevor man die Messungen beginnt, gilt es zuvor noch die eigene Lautsprecher-Konfiguration und die Voreinstellung des Bassmanagements im Receiver anzupassen, denn das macht Dirac nicht selbst. Die Dirac-Live-Software führt einen (in Englisch) Schritt für Schritt durch das weitere Prozedere.
Hat man beim Einpegeln und Messen an bis zu neun Positionen um den Hörplatz alles richtig gemacht, gelangt man auf die Seite mit der Filterberechnung. Hier lässt sich zum Feinabstimmen und für geschmackliche Präferenzen auf die nachfolgende automatische Berechnung der Korrekturen durch Dirac Live Einfluss nehmen.
Sehr lobenswert ist dabei die sehr feinauflösende Korrektur auch für den Subwoofer und flotte Berechnung der Korrekturen. In der getesteten Version ließen sich die Höhenkanäle noch nicht entzerren, sie gehen lediglich in die Justage für Laufzeit und Lautstärke mit ein.
Großartig ist, dass Dirac Live nicht schlicht den Frequenzgang gerade biegt – und das sehr schmalbandig aufgelöst – sondern insbesondere das Zeitverhalten der Lautsprecher kompensiert, auf das unser Gehör sogar empfindlicher reagiert als auf den Frequenzgang. Zeit- und Phasenfehler produziert praktisch jeder Lautsprecher mehr oder weniger, im Gegensatz zu einem guten Mikrofon.
Dank Dirac Live bekommt man auch verschiedene Lautsprecherkonstruktionen, etwa Center und Standlautsprecher, klanglich ähnlicher als nur mit der Frequenzgangsbiegerei. Zuletzt werden die berechneten Filter als Datei in den Receiver übertragen. Fertig!
Fertig? Leider nein. Filter und Laufzeiten setzt Dirac perfekt. Die Pegel aber stimmten bei den meisten Versuchen nicht. Insbesondere die Lautstärke des Subwoofers passte eigentlich nie. In der Kommunikation mit befreundeten Händlern und dem Vertrieb ließ sich das als lästige Eigenart verifizieren. Die Pegel muss man tatsächlich von Hand per Pegelmesser und Analyser nachtrimmen.
Ebenfalls etwas unstimmig ist, dass Dirac nur seinen eigenen Speicherplatz einstellt, will man etwas ohne Dirac abspielen oder, wie für diesen Test notwendig, vergleichen, muss man sämtliche Einstellungen für den Bypass-Betrieb manuell abgleichen. Selbst dann gibt es noch die Hürde, dass man nicht einfach die Einstellungen für Delay und Level von Dirac übernehmen kann, denn Dirac gibt die Laufzeit in Millisekunden an.
Das muss man zunächst als Differenzen in Metern umrechnen und man kann auch die Pegel nicht einfach kopieren, denn die unkorrigierten Lautsprecher sind meist ein paar Dezibel lauter oder leiser als mit Diracs Bearbeitung. Das Ganze ist also ein Fall für den Fachmann.
Es gibt aber auch ein paar leicht verständliche audiophile Leckerbissen im Arcam AVR850. So lässt sich beispielsweise für jede Quelle bestimmen, wie schnödes Stereo wiedergegeben werden soll.
Voreingestellt entspricht das der allgemeinen Lautsprecherkonfiguration, man kann aber auch die Hauptlautsprecher alleine verwenden, den Subwoofer ungefiltert parallel ansprechen oder das Bassmanagement verwenden.
Flexibler geht es nicht und man kann es beispielsweise für einen audiophilen CD-Spieler anders konfigurieren als für Blu-ray. Überhaupt lassen sich ungewöhnlich viele Parameter vom gewählten Eingang abhängig konfigurieren. Das ermöglicht einige Individualisierung und Vereinfachung in der Handhabung.
Chic, aber nicht sehr tiefreichend ist die Handhabung über die App geraten. Musik streamt man besser über UPnP/DLNA-Software oder direkt aus einem kompatiblen Service wie Spotify.
Dann aber konnte es wirklich mit dem Hören losgehen und ab dieser Stelle hört auch jedes Gemecker auf. Etwas, das schon beim ersten Ausprobieren positiv auffiel, ist die Klangqualität des Arcams via HDMI. Ein Vergleich mit dem integrierten Streamer oder konventionellem Digital-Eingang ergibt nur wenig Klangunterschiede, was belegt, wie gut das Videoboard die Audiosignale aufbereitet.
Der Klang
Das Processing selbst ist auf Standard-Codecs beschränkt und bot im Testgerät noch die alten DTS-Varianten. Das DTS:X Update stand noch nicht zur Verfügung. Dolby Atmos aber war integriert und funktionierte tadellos.
Auch der neue Upmixer Dolby Surround machte seine Sache gut. Wem bei Musikwiedergabe zu viel in den Center-Lautsprecher gezogen wird, kann man dies per Center Spread deutlich mindern. Und insbesondere für Anwender, die sehr leise hören wollen oder müssen, arbeitet die regelbare Dynamikkompression Dolby Volume wirkungsvoll und klanglich unauffällig.
Der Grundcharakter des Arcam AVR850 gleicht dem voriger Modelle mit seiner glockenklaren, sehr fein texturierten Abbildung, die mit oder ohne Dirac Live Korrekturen als angenehme Durchzeichnung und irgendwie unangestrengt empfunden wird. Dabei klingt er nicht einfach hell oder höhenbetont, sondern bietet einfach eine federleichte Spielfreude.
Mit aktivem Dirac Profil fokussiert sich die Abbildung abermals und vor allem die Attacke gewinnt an Knackigkeit, was musikalisch beispielsweise den klassischen Aufnahmen von The Modern Jazz Quartet mit Milt Jacksons warmem, glockigem und impulsivem Vibraphon deutlich zu Gute kommt. Das gilt natürlich genauso für den richtigen Crunch bei Actionfilmen, wo der eine oder andere Schuss oder das gruselige Knarren einer Tür im Dunkeln noch plastischer kommen und dadurch mehr Gänsehaut erzeugen.
Aber auch die Trennung zwischen Musik, Dialog und Filmmusik gelingt dank des Aufräumens der Phasenlagen mit Dirac deutlicher. Auch die sieben Class G Endstufen von Arcam haben daran Ihren Anteil, denn diese Schaltendstufen passen sich in Echtzeit dynamisch an die Leistungsanforderungen an.
Sie klingen wunderbar crisp, aber ohne jede Schärfe und schieben auch ganz unten im leistungshungrigen Basskeller stets quasi beliebig Energie durch die robusten Lautsprecherklemmen.
Genau an dieser Stelle zeigte sich dann wieder, dass bei den meisten Receivern die Endstufen die sperrigsten Hemmschuhe darstellen und warum der scheinbar so teure Arcam sein Geld eben wert ist.
Fazit: Kristallklarer, impulsiver Klang dank Dirac Live
Der Arcam AVR850 bietet die aktuellen Standard-Decoder mit Dolby Atmos und erwartet noch ein DTS:X Update. Ein wenig Luxus versprechen Dolby-Optionen wie Dolby Volume, Steuermöglichkeiten per App und ein einfacher, aber sehr gut klingender Streaming-Player. Das Video-Board ist auf der Höhe der Zeit mit HDMI 2.0a und ARC.
Die Verarbeitung der Hardware wirkt edel. Kernpunkte neben einer sehr sauberen Signalverarbeitung sind die feinauflösenden und dabei kraftvollen Class-G-Endstufen und die Lautsprecher- und Raumkorrektur Dirac Live. Das Einmessen ist aufwändig und mit manuellem Nacharbeiten verbunden. Kann der Arcan also der aktuell beste 3D-Receiver sein?
Nicht für jedermann. Aber für denjenigen, der sich auskennt, dessen Hauptaugenmerk dem guten Ton gilt und der nicht jedes Ausstattungs-Feature braucht, das sich die fleißigen japanischen Entwickler der Mitbewerber gerade wieder ausggedacht haben, eindeutig: JA! Die klangliche Performance des Arcam AVR 850 ist herausragend und sicher das Beste, was sich aktuell mit einem AV-Receiver erzielen lässt.
Bewertungen:
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Klingt sehr feindynamisch und räumlich |
| Dirac Live Entzerrung |
| Streamingplayer sehr simpel |
| Einmessung umständlich |
Vertrieb:
GP Acoustics GmbH
Kruppstr. 82 – 100
45145 Essen
www.arcam.co.uk
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Arcam AVR850: 5.500 Euro
Mehr von Arcam:
Test Arcam rBlink – der Nachrüst-Bluetooth-Empfänger
Galerie Arcam AVR850
Hardware
Das Bildschirmmenü und die App
Die Dirac Live Kalibrierung