Die höchsten Feingeister sind auch im höchsten Maß empfindlich. Wer entreißt dem guten Tonabnehmer die maximalen Details? Der Weltmarktführer Pro-Ject stellt mal eben die mit Abstand vielseitigste Phonovorstufe im noch bezahlbaren Bereich vor. Man fragt sich natürlich: Braucht man all diese Einstell-Möglichkeiten? Doch je länger wir die Pro-Ject Phono Box RS2 im Test hatten, umso deutlicher wurde: Es ist gut, sie zu haben. Denn im analogen Mikrokosmos kann jede noch so feine Verbesserung (in diesem Fall durch optimale Anpassung) ein großer Schritt nach vorn bedeuten.
In der deutschen Sprache gibt es das schöne Sprachbild – „etwas auf die Goldwaage legen“. Bedeutet in der Regel: Hier werden kleinste Gramm bewertet und eben wie Gold behandelt. Es muss sein. In unserem Geschäft insbesondere bei Phono-Vorverstärkern.
Die müssen nicht nur die Informationen aus der Rille entzerren. Sie sollen vor allem winzige Signale auf eine verwertbare Strom-Ebene heben. Bei Moving Magnets sind wir noch entspannt – da strömen 1 bis 5 Millivolt an die Buchsen. Bei der Moving-Coil-Fraktion brauchen wir keine Lupe, sondern ein Mikroskop – hier kann man maximal 0,1 bis 0,5 Millivolt abgreifen. Ein Nichts, ein Hauch. Zudem sollten wir je nach System über die besten Werte bei dem Abschlusswiderstand (in Ohm) und der Kapazität wissen (in Pikofarad). Wenn Ihnen der Sinn danach steht, könnten wir an dieser Stelle noch einige mathematische Formeln für die Diplom-Ingenieure unter uns bereitstellen. Doch wir wollen auf dem Teppich bleiben. Die Kurzfassung: Die kleinen Signale aus der Rille wollen behandelt werden wie flirrende Geister. Wer an seiner Phonovorstufe die richtigen Einstellungen vorgibt, ist der König des Vinyl-Klangs.
Im Umkehrschluss: Je mehr Feinheiten uns eine gute Phonostufe zur Hand gibt, desto besser kann unser Lieblings-Abnehmer klingen. Der Ideal-Abnehmer braucht eine Justage, dann nach zwanzig Jahren kommt vielleicht ein neuer Abnehmer und entsprechend ein neues Ideal. Ich sage mal mutig: Der typische Vinyl-Hörer wird fünf Systeme in seinem Leben verschleißen und ausprobieren. Wir als Tester stehen auf der Gegenseite. Wir schrauben wöchentlich Testmuster ein.
Hineingeschaut: Die Technik der Pro-Ject Phono Box RS2
Genau jetzt nehme ich beispielsweise eines meiner Lieblingssysteme in die Hand. Das Ortofon Black zum Geburtstag von Ludwig van Beethoven. Es ist das aktuell edelste und teuerste MM-System, das ich derzeit zu Hause habe. Ein Blick auf Seite drei der Bedienungsanleitung: Wir legen 1,5 Gramm auf, stellen den Wahlschalter auf MM und dazu noch 47 kOhm und 150-300 pF. Das ist alles kein Hexenwerk. Aber ein paar konzentrierte Minuten sollte man sich Zeit nehmen.
Pro-Ject inszeniert diese Feineinstellungen auf die Front. Sieht super aus und gibt das gute Gefühl, dass man alles mit ein paar Drehungen und Druckknöpfen im Griff hat. Man kann die Balance zwischen linkem und rechten Kanal vorgeben – was absolut sinnvoll ist. Dazu gibt es drei Druckknöpfe hart rechts. Die erlauben uns nicht nur, in dem meistgenutzten Standard RIAA zu entzerren, sondern auch das alte Decca-Format zu bedienen. Wabern die Membranen, weil der Bass sich der Kontrolle entzieht? Dann klicken wir den Subsonic-Filter an.
Selbstredend können MC- und MM-Tonabnehmer optimal angepasst werden. Wirklich praxisnah ist dabei die Möglichkeit, die variable Eingangsimpedanz- und Balance-Einstellung während des Hörens zu verstellen. Hier wäre eine Fernbedienung natürlich das Allergrößte… Aber es gibt eine andere Kür: Der geneigte Käufer kann zwischen einem Input per Cinch und XLR unterscheiden. Ebenso logisch geht es natürlich auch in Cinch und XLR heraus. Das setzt voraus, dass die Pro-Ject Phono Box RS2 symmetrisch aufgebaut ist. Pro-Ject verzichtet übrigens – weil man durch und durch audiophil eingestellt ist – auf die Zuhilfenahme von Operationsverstärkern. Ganz offenkundig will sich hier jemand elegant in die Königsklasse spielen.
Eine spannende Frage: Könnte man auch ein Luxuslaufwerk mit zwei unterschiedlichen Armen und Tonabnehmern anschließen? Den einen per Cinch, den anderen per XLR? Leider nein. Die Pro-Ject-Box übernimmt auf Klick alle Feineinstellungen, um sie für einen Stromausfall und Ähnliches zu erhalten. Aber die RS2 speichert halt immer die gleichen Werte für XLR- und Cinch-Eingang ab. Ein Anschluss von zwei unterschiedlichen Abtastern widerspräche also der Idee der perfekten Anpassung. Die Bedienungsanleitung spricht daher zu Recht von einem Betriebswahl- und nicht von einem Eingangsschalter.
Konsequenterweise hat Pro-Ject den Transformator ausgelagert. Ein kleines Kästchen mit 20 Volt im Output. Wem das beigefügte, kleine Netzteil nicht genügt, der kann ein Upgrade buchen – die Power Box RS Uni 1-way. Das ist ein stattliches Linearnetzteil mit Schirmung zwischen primärer und sekundärer Wicklung. Das kostet 450 Euro mehr. Aber die Fans schwören darauf, zudem wiederholen wir unseren Einstiegssatz: Hier geht es um winzigste Signale auf der Goldwaage.
Pro-Ject ruft knapp 1.500 Euro für seine Phonostufe auf. Was kann den potenziellen Käufer bewegen? Wer einen Plattenspieler mit XLR-Ausgang hat, der muss angefixt sein. Wer zudem noch per XLR zu seinem Verstärker flutet, der müsste mit fliegenden Fahnen überlaufen, denn der symmetrische Aufbau ist in dieser Klasse ungewöhnlich.
Cinch gehört hier zur Basiseinstellung, doch die wird jetzt gebraucht: Rechts von mir steht ein Linn LP 12, mit dem besagt wunderbaren Ludwig-van-Beethoven-System von Ortofon. Hier geht es nur per Cinch heraus.
Der Klang: Leonard erklärt uns die Welt
Wo sind wir klanglich? Der Pro-Ject gibt sich überaus schlank und schnell. Wie ein Sprinter in der Wüste – der kommende Weltmeister auf der Marathon-Distanz. Ich lasse die Nadel in die Rille sinken. Eine meiner Lieblings-LPs wurde von Sony gepresst: Der alte Leonard Cohen ist auf Tour und sammelt seine Songs from the Road
ein. Das ist bewegende Musik. Man muss ein Herz aus Marmor haben, um hier nicht laut zu seufzen. Vor allem der Raumeindruck ist grandios. Die Aufnahme lauscht tief in die Reaktionen des Publikums hinein. Zwischen euphorischen Rufen und kollektivem Atem ist alles zu erleben.
Die Pro-Ject-Box zeigt das Ganze etwas heller und herrlich punktgenau. Da geht kein audiophiles Detail unter. Auch wirkt das Stereopanorama weit. Zum Vergleich haben wir den kürzlich getesteten Rega Aria MK3 herangezogen – der klingt im direkten Vergleich einen Hauch kompakter, aber auch saftiger. Da schwingen die Saiten der Gitarre mit deutlich mehr Korpus. Wer ist besser? Der Rega wirkte lässiger – auch das ist eine Qualität. Doch der Pro-Ject jagt den audiophilen Werten Dynamik und Präzision mit deutlich größerer Leidenschaft entgegen.
Martha Argerich wird in diesem Juni 80 Jahre alt. Man steht vor dieser Zahl und staunt. Denn die Grande Dame der Klavierkunst strahlt ungebrochene Vitalität aus. Rentenalter? Von wegen. Noch immer tourt Martha Argerich durch die Konzertsäle und Tonstudios. Tipp: Wann immer ihnen eine Argerich-LP auf dem Flohmarkt begegnet – unbedingt kaufen. Es gibt keine Mittelklasse von dieser Frau, alles ein Drahtseilakt mit den besten Dirigenten, Kammermusikern, aber auch Tontechnikern.
Ganz fabelhaft hat die Deutsche Grammophon eine Einspielung der h-moll-Sonate von Franz Liszt aus dem Jahr 1971 aufgelegt und nachgepresst. Alles analog, von den Mikrofonen bis zur Schneidemaschine. Das ist eine Platte der Hochdynamik. Liszt flüstert, Liszt donnert. Vor allem die gewaltigen Oktaven verlangen die höchste Virtuosität. Das wird die am schwersten zu spielende Klaviersonate der Instrumentalkompositionen sein. Genau diese Gefühlswelt trifft die Phono Box RS2 perfekt. Das Brillante liegt ihr, die tendenzielle Helligkeit leuchtet jedes Detail aus. Es flirrt. Aber sie kann auch ultimativ mächtig und hochdynamisch, wenn Martha Argerich wie eine Löwin mit dem Flügel ringt. Erstaunlich diese Kraftschübe, wenn das Klangbild sich plötzlich aus der Boxenebene löst und hoch-dramatisch in Richtung Hörplatz pulsiert.
Fazit Pro-Ject Phono Box RS2
Der führende Analog-Anbieter Pro-Ject wirft bei der Phono Box RS2 nicht nur all seine produktionstechnischen Möglichkeiten in den Ring, sondern auch sein großes Wissen. Heraus kommt die mit Abstand vielseitigste Phonostage dieser Klasse, die diesen Vorsprung auch in den klanglichen Auftritt rettet. Wer bei der LP-Wiedergabe auch das Dynamisch-Akkurate schätzt, liegt mit der RS2 goldrichtig.
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Klingt sehr fein, offen, direkt, präzise |
| Symmetrischer Aufbau im Dual-Mono-Design, XLR-Anschlüsse |
| Mehr Ausstattung gibt es in dieser Preisklasse nicht |
| Überragende Preis/Klang-Relation |
Vertrieb:
ATR – Audio Trade
Schenkendorfstraße 29
45472 Mülheim an der Ruhr
www.audiotra.de
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Pro-Ject Phono Box RS2: 1.499 Euro
Die technische Daten der Pro-Ject Phono Box RS2
Pro-Ject Phono Box RS2 | |
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Konzept: | Phonostufe für MM und MC |
Eingangsimpedanz: | Fix 10 Ohm oder 47kohm, variabel 10 – 1000 Ohm |
Kapazität schaltbar: | 50, 100, 150, 200, 250, 300, 350, 400pF |
Besonderheiten: | Balance-Regler, RIAA- und Decca-Entzerrungen |
Subsonic Filter: | 20Hz / 18dB/Oktave |
Input / Output: | RCA & XLR |
Abmessungen (B x H x T): | 20,6 x 7,2 x 23,0 cm |
Gewicht: | 1,6 Kilo (ohne Netzteil) |
Alle technischen Daten |
Mit- und Gegenspieler:
Test Phonostufe Rega Aria MK3: Herzblut muss sein
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