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Cayin CS-6PH
Mit dem CS-6PH hat Cayin die wohl bestklingde Röhren-Phonostufe unter 3.000 Euro am Start. Klanglich ein Traum (Foto: Cayin)

Test Röhren-Phonostufe Cayin CS-6PH: kompromisslos gut

Der Röhren-Spezialist Cayin baut endlich wieder einen eigenen Phono-Vorverstärker für entschlossene Analogfans. Der Cayin CS-6PH kombiniert puristische Schaltungsdetails mit zeitgemäßem Bedienkomfort – und klingt so weich und natürlich, dass dagegen fast die Realität verblasst.

Als einer der größten chinesischen HiFi-Hersteller (zumindest unter denen mit audiophilem Anspruch) entwickelt und fertigt Cayin alles selbst – vom kleinen, feinen Röhrenverstärker aus nur einer Handvoll Bauteile bis hin zum hochkomplexen Digital-Mobilplayer. Da sollte ein Phono-Vorverstärker doch kein Problem sein. Oder vielleicht doch? Tatsächlich sind Phonostufen ein besonders heikles Spezialgebiet im Reich des analogen Schaltungsdesigns. Vor allem, wenn high-endige Qualität gefordert ist. Und ganz besonders, wenn diese mit Röhren erzielt werden soll: Wo an der Anode Hochspannung in dreistelliger Voltzahl anliegt, saftige Heizströme die Kathode zur Rotglut bringen und Phonosignale im Mikrovoltbereich das Steuergitter kitzeln, ist der Tisch nicht nur für feinen Klang bestens gedeckt, sondern auch für alle vorstellbaren Probleme – und viele unvorstellbare noch dazu.

Die Besonderheiten der Cayin CS-6PH

Cayin hat sich also aus gutem Grund Zeit gelassen für eine wirklich ausgereifte, schon vor dem Serienstart vielfach erprobte Schaltung, die nun im CS-6PH vorliegt. Zumal die Chinesen den Komplikationsgrad freiwillig besonders hoch angesetzt haben: Der CS-6PH ist voll MM- und MC-tauglich, mit umfassenden Einstellmöglichkeiten für jede Systemart, und er gehört zu den ganz wenigen Phonostufen am Markt, die auch MC-Signale ausschließlich mit Röhren verstärken. Die Cayin zieht sich also nicht mit einer rauscharmen Transistor-MC-Eingangsstufe aus der Affäre, wie das zum Beispiel der fabelhafte US-Vorverstärker McIntosh C22 tut, der auch in diesem Test als unbestechliche Abhör-Referenz diente. Die Entwickler in Zhuhai in der Sonderwirtschaftszone Guangdong greifen auch nicht zu Eingangsübertragern mit ihrem probaten, zuverlässig rauschfreien Spannungshub – obwohl die hauseigenen Trafoexperten diese sicher in Topqualität hätten wickeln können.

Cayin geht stattdessen den selten benutzten Weg maximaler, siliziumfreier Elektrisierung und lässt die Musik in insgesamt sechs Doppeltrioden zu Kräften und HiFi-gerechter Linearität kommen. Letzteres wird gerne übersehen: Im Bass, wo Platten aus technisch-mechanischen Gründen nur mit stark abgesenktem Pegel geschnitten werden können, kommen auf die nominellen 65dB je Kanal, die der Cayin maximal verstärkt, jene 20 dB obendrauf, die beim LP-Mastering das RIAA-Filter weggebremst hat. Das Gleiche mit umgekehrtem Vorzeichen passiert in den Höhen, die auf der unentzerrten LP bis zu 20dB angehoben sind. Röhren-Vollbeschäftigung herrscht allerdings nur im MC-Modus; MM-Signale stoßen erst in der zweiten Stufe dazu, die den benötigten MM-Gain von 40dB aufweist.

Cayin CS-6PH innen
Nicht übertrieben sparsam: Viele Relais, Marken-Elkos und -Folienkondensatoren bevölkern die vier Einzelplatinen im CS-6PH. Unten rechts das Board für die MC-Impedanzwahl, links daneben die Ausgangsplatine mit zwei Symmetrierübertragern nebst Umschaltrelais (Foto: Cayin)

Die ersten 25dB sind besonders knifflig, weil das ankommende Signal extrem leise ist. Nur wenige Röhrentypen arbeiten für diese Aufgabe rauscharm genug – und selbst von denen nimmt der Hersteller nur ausgesucht gute Exemplare. Cayin verwendet fürs erste Röhrenpaar eine relativ moderne, erst in den 1950er Jahren entwickelte Bauform: die Spanngitterröhre, hier als Typ 6922 von Electro Harmonix. Wer welche findet und bezahlen kann, darf an ihrer Stelle auch Valvo-, Philips- oder Telefunken-Originale einstecken, die dann unter den deutschen Bezeichnungen ECC88/E88CC laufen. Gemeinsam ist diesen Röhren ihr besonders feines, straff und dicht auf einen winzigen Spannrahmen gewickeltes Gitter, das einen besonders kompakten und damit effizienten Aufbau der Triodensysteme erlaubt. Der wiederum senkt das Rauschen, erhöht die Effizienz und macht die Röhre unempfindlicher gegenüber mechanischen Einflüssen. Die gefürchtete Mikrofonie, bei der Röhrenschall und andere Vibrationen aus der Umgebung mitverstärken, ist beim CS-6PH jedenfalls nicht stärker ausgeprägt als bei vielen reinen MM-Röhrenphonos.

Für bestmöglichen Schutz – sowohl mechanisch als auch gegen elektrische Störfelder – stecken alle Signalröhren des Cayin unter Blechhülsen, die sie zudem mit einer Spiralfeder sanft in ihre Fassung drücken. Dank Bajonettverschluss sind diese Hülsen mit einem Dreh entfernt und geben die weiterführende Bestückung des Phono-Preamps preis: Nach den Spanngitter-Doppeltrioden für MC folgt je Kanal eine ECC83 vom slowakischen Hersteller JJ. Auch diese Doppeltriode aus aktueller Produktion ist, anders als die historischen Vorbilder gleicher Bezeichnung, in Spangittertechnik ausgeführt. Ihre zwei Triodensysteme übernehmen die MM-Verstärkung sowie die RIAA-Entzerrung und geben das Signal an zwei 12AT7 weiter, deren Doppelsysteme jeweils eine niederohmige Kathodenfolger-Ausgangsstufe bilden. Wobei „niederohmig“ hier 200Ω bedeutet, ein für Röhrenverhältnisse schon sehr guter Wert, der verfärbungs- und störfreies Zusammenspiel mit praktisch allen Vor- und Vollverstärkern gewährleistet und auch längere Kabelstrecken erlaubt.

Cayin CS-6PH Röhren
Das Beste aus den 70ern: RCA-Gleichrichter aus New-Old-Stock-Vorräten versorgen die im Hintergrund aufgereihten Röhren mit Anoden-Hochspannung (Foto: B. Rietschel)

Zwei weitere, etwas größere Röhren erheben sich ganz links auf dem Chassis unbehelmt über das Doppeltrioden-Sixpack: 22DE4, Made in USA bei RCA und folglich locker 50 Jahre alt. Unbenutzt sind Röhren praktisch unbegrenzt haltbar. Weshalb Cayin, wenn besonders lupenreine Anodenspannung gefragt ist, gerne zu diesen Gleichrichterröhren greift, von denen es immer noch üppige New-Old-Stock-Bestände gibt.

Zusätzlich zum Cinch- gibt es am Heck einen symmetrischen XLR-Ausgang samt kleinem Kippschalter, der ihn aktiviert. Die Cinchbuchsen verstummen dann – es gilt also entweder / oder. Aber dafür kommt aus den XLR-Buchsen dann auch ein echt symmetrisches Signal heraus: Die Ausgangsröhren werden dabei auf die Primärwicklungen zweier gekapselter Symmetrierübertrager geschaltet. Die haben jeweils zwei Ausgänge, an denen einmal das originale und einmal das gespiegelte Signal anliegt – ein perfektes symmetrisches Paar also, und durch den Übertrager zudem galvanisch von der gesamten Schaltung stromaufwärts entkoppelt. Der XLR-Ausgang ist dem unsymmetrischen mindestens ebenbürtig, wobei der vorzuziehende Signalweg vom angeschlossenen Verstärker abhängt. Im Test speiste XLR meinen Sennheiser-Kopfhörerverstärker HDVD 800, der mit dem Kopfhörer HD 800S des gleichen Herstellers schlicht atemberaubend spielte: eine farbintensive, hochgenau auflösende Privat-Abhöre, die zuverlässig dafür sorgt, dass selbst bei kniffligen Tonabnehmerjustagen der Genuss nicht zu kurz kommt. Der Cinch-Ausgang hing meist am Vorverstärker McIntosh C22, der mit der Endstufe MC275 aktuell meine Tannoys antreibt. XLR ist an der McIntosh zwar auch vorhanden, bringt klanglich aber keine Vorteile.

Cayin CS-6PH Anschlüsse
Im Alltag sehr praktisch: Separate Anschlüsse für MM und MC erlauben es, zwischen zwei Spielern direkt umzuschalten. Die zusätzlichen XLR-Ausgänge klingen hervorragend und speisten im Test einen symmetrischen Kopfhörerverstärker (Foto: B. Rietschel)

Über den XLR-Ausgang kommen Cayins talentierte Trafobauer also doch noch zu Ehren, denn die Übertrager sind natürlich hausgemacht. Was nebenbei auch für den EI-Kern-Netztrafo gilt, der in einem MC-Phonoteil natürlich ganz besonders störarm sein sollte. Die Verarbeitung des Phono-Vorverstärkers ist hervorragend wie immer bei Cayin: Das Stahlblechgehäuse ist sehr sorgfältig in dunklem Metallic-Grau lackiert, alle Röhren sitzen in soliden, direkt mit dem Chassis verschraubten Keramikfassungen, und im Gehäuseinneren erfreuen akkurate Freiverdrahtung und vier hochwertig bestückte Platinen das Auge. Alle Schaltvorgänge erfolgen mit Relais, von denen allein 14 Stück im Gerät verteilt sind. Es ist also egal, ob Besitzer oder Besitzerin einen Kippschalter umlegen, am massiven Alu-Drehknopf drehen oder eine der fünf Tipptasten an der Front betätigen: Umgesetzt wird der Befehl stets langzeitstabil und schonend mit gekapselten Goldkontakten.

Einzustellen und auszuwählen gibt es einiges. Das beginnt mit den zwei separaten Eingängen, die parallel belegt sein dürfen. Wer zwei Spieler hat, von denen einer mit MM- und einer mit MC-System ausgerüstet ist, kann also per Knopfdruck zwischen den beiden wechseln. Magnetsysteme schließt der Cayin mit den standardisierten 47 kΩ und einem von zwei wählbaren Kapazitätswerten ab. Die Auswahl ist so überschaubar wie praxisnah: Unter 47 Picofarad braucht man eigentlich nie, über 100pF nur selten – sollte das wirklich mal nötig sein, lassen sich durch Parallelschalten weiterer Kondensatoren jederzeit höhere Werte erzielen. Auch die MC-Abschlussimpedanz ist bequem via Frontplatte zugänglich – als Drehknopf mit fünf Rasten, die Widerstände zwischen 47Ω und 1000Ω zuschalten. Je nach Ausgangsspannung des verwendeten MC-Systems ist außerdem die Verstärkung zwischen „low“, „mid“ und „high“ umschaltbar, was 57, 61 und 65dB Gesamtverstärkung entspricht. Als Option für beide Systemarten steht ferner ein Rumpelfilter bereit, der vor allem die weich aufgehängten Bässe moderner Kompaktboxen wirksam vor sinnlosem Flatterstress schützt.

Cayin CS-6PH Anpassung
Komfortabler geht‘s kaum: Die MC-Abschlussimpedanz wählt man per Drehknopf, den Verstärkungsfaktor mit dem Tipper daneben (Foto: B. Rietschel)

Als sehr praktisch hat sich im Test der Mute-Schalter erwiesen, leicht auffindbar als erste der fünf Tipptasten. Die Funktion ist vor allem dann Gold wert, wenn man Spieler und Phonoteil etwas abseits der restlichen Anlage positioniert hat. Warum man das tun sollte? Weil es oft einfach viel besser funktioniert und besser klingt. Plattenspieler landen ja meist ganz oben auf dem zentralen Rack, wo sie irgendwie hinzugehören scheinen, seit in den 70ern die HiFi-Türme mit Rauchglastüren das vormachten. Das ist aber genau die Position, an der nicht nur Trittschall seine maximale Wirkung zeigt, sondern auch die Netzteile der darunter stehenden Geräte für besonders gründliche elektromagnetische Durchseuchung sorgen. Oft gibt es nur wenige Meter weiter paradiesisch ruhige Plätze vor tragendem Mauerwerk, wo der Spieler auf einem Wandhalter in der Form seines Lebens spielen würde. Wo er zudem exakt in der richtigen Höhe nicht nur perfekt zugänglich wäre, sondern zugleich auch besser geschützt vor Kinderhänden, Haustiertatzen und anderem potenziellen Unheil. Da Phonokabel generell kurz sind und auch bleiben sollten, sind diese Plätze technisch sauber nur mit separaten Phonoteilen erreichbar. Denn anders als den sensiblen Tonabnehmerströmchen ist es dem fertig vorverstärkten Musiksignal völlig egal, ob es einen oder fünf Meter zur Anlage zurücklegen muss.

Hörtest

Ein und derselbe Plattenspieler kann durch den Phono-Preamp also schon deshalb klanglich zulegen, weil damit ein günstigeres Anlagen-Setup möglich ist. Ein Gratis-Effekt, der erstmal noch nichts mit der Qualität des Cayin-Preamps zu tun hat. Die kommt aber noch obendrauf, und sie bedeutet keine reine Verbesserung, sondern fast schon eine Transformation des Analogklangs. Mit 2.680 Euro ist der CS-6PH drastisch teurer als zum Beispiel ein Gold Note PH-5, der gerade frisch angekommen und installiert war. Und der Gold Note – der einen eigenen, noch folgenden Test wert ist – macht bereits alles so richtig, dass ohne direkten Vergleich keine große Steigerung mehr vorstellbar ist: praktisch rauschfrei, obenrum Gold-Note-typisch wunderbar fein und agil, dabei stets ausgewogen und vollmundig in der Gesamtbalance. Und obendrein sehr komfortabel per Touchscreen konfigurierbar. Aber der Cayin erschafft dann doch noch eine ganz andere Klangwelt, in der Klangfarben und -konturen weich und ohne jede Künstlichkeit ineinander über- und auseinander hervorgehen, als würden sie von einem großen, musikalischen Fabeldrachen ganz behutsam in den Hörraum gehaucht, statt aus den Hornhochtönern und hart aufgehängten 25er-Pappbässen meiner Tannoys herausposaunt zu werden.

Auch mit dem hochauflösenden Sennheiser-Gespann ist im Cayin-Klang zu keinem Zeitpunkt und mit keiner Platte irgendein Anflug von Härte oder Anstrengung nachweisbar. Zugleich ist der Mittelhochton aber völlig transparent, ein offenes Fenster über die volle Höhe und Breite des vorstellbaren Klangfarbenraums, wo die meisten anderen Preamps zumindest an den Rändern kleine akustische Spitzengardinen drapieren. Klar, dass das wieder ausgerechnet einem Röhrenphono gelingt: Dieses unforcierte, zugleich hochdynamische Fließen der Musik zeichnet auch gute Röhren-Vollverstärker oft aus, ganz besonders Eintakt-Trioden wie den Cayin CS-805A, der mit dem 6PH nun endlich auch einen adäquaten hauseigenen Zuspieler hat.

 

Es gibt natürlich auch Nicht-Cayins mit ähnlichen Qualitäten – und wiederum ganz eigenen, besonderen Attraktionen. Umgekehrt könnte man natürlich auch nach individuellen Schwächen suchen und diese beschreiben, aber die richtig guten Exemplare haben nun mal keine wirklichen Schwächen, sondern eher Charakter. Ein Canor PH-1.10 etwa bleibt nach wochenlangem Einsatz als muskulös, großformatig und energisch-präsent in Erinnerung. Der Luxman E-250 – preislich mit dem Cayin vergleichbar – als vornehm seidig mit besonders liebevoll herausgearbeiteten Mitteltonschattierungen. Ein Lehmannaudio Decade überrascht mit tiefer Transparenz, die sich hinter einem im ersten Eindruck betont nüchtern-sachlichen Ton öffnet. Mein alter Roksan Reference Phono – weiterhin erhältlich als Caspian RPP – beeindruckt eher mit kraftvollem Groove und donnerndem Tiefbass. Der Cayin fügt diesem Stilspektrum eine weitere Facette hinzu: Er schafft von allen genannten den glattesten, natürlichsten Flow und malt Klangbilder mit unerreicht feiner, nämlich nicht mehr als solcher wahrnehmbarer Körnung. Davon profitieren vor allem die Raumabbildung und die Klangfarbentreue enorm: Der Cayin erweckt Studios, Konzertsäle, aber auch künstlich erzeugte Akustiken mit großer Suggestivkraft zum Leben und lässt den Instrumenten und Stimmen darin gefühlt mehr von ihren charakteristischen Oberton-Fingerabdrücken.

Nur der Form halber – und ohne dass das im Hörtest wirklich ein gegenwärtiges Thema gewesen wäre – kann ich auch Bereiche auflisten, wo der Cayin nicht ganz perfekt ist. Sie sind weitgehend bauarttypisch, namentlich ein Hauch mehr Rauschen als bei Preamps mit Übertragereingängen, also etwa dem Canor. Und eine ganz dezente Spur von Restbrumm, weit hinter dem Grundgeräusch der Rille, der kein Röhrenphono wirklich entkommt. Ich habe mit dem CS-6PH MC-Systeme bis hinunter zum Denon DL-103R ausprobiert, das mit 0,25mV Ausgangsspannung schon zu den sehr leisen Systemen gehört: Auch dafür reicht der Rauschabstand des Cayin mühelos aus, wenngleich man bei angehobenem Arm und aufgedrehtem Volume-Regler eben nicht die Grabesstille etwa des hybrid aufgebauten McIntosh-MC-Eingangs erntet, sondern eben ein weiches, unauffälliges Säuseln verkraften muss.

Weniger die klangfarbliche, dafür umso mehr die räumliche Seite seiner Talente konnte der 6PH mit  einer neu eingetroffenen Doppel-LP der texanischen Band …And You Will Know Us By The Trail Of Dead unter Beweis stellen: „XI: Bleed Here Now“ ist ein grandios durchgedrehtes Konzeptalbum zwischen Art- und Hardrock, bei dem Band, Orchester und Chor nicht nur die ganze Stereobasis, sondern gleich die gesamte Grundfläche des Hörraums in Beschlag nehmen, den Hörer also mitunter auch von hinten überfallen. Zumindest wenn man das Album wie vorgesehen über einen Matrixdecoder (ProLogic 2 Music funktioniert hervorragend) und mindestens vier Kanäle wiedergibt.

„XI: Bleed Here Now“
Meisterwerk in 3D: „XI: Bleed Here Now“ wurde in Quadro produziert und mit dem neuen Verfahren QUARK gemastert. Wer über eine Surround-Anlage verfügt, sollte das Album dringend mal mit ProLogic 2 im Music-Modus anhören – die Produktion nutzt dann wirklich den gesamten Hörraum aus (Foto: B. Rietschel)

Wobei man dafür natürlich auch gleich die beiliegende CD verwenden kann, weil die Musik für die Mehrkanal-Rechenkunst ja eh digital vorliegen muss. Pardon. Verblüffend daran ist aber nicht nur die Tatsache, dass 2022 eine für ihre explosiven Liveauftritte berühmt-berüchtigte Band ein Quadroalbum veröffentlicht, sondern dass dieses Album seine 3D-Räumlichkeit selbst bei rein analoger Wiedergabe ein gutes Stück weit bewahrt. Beim Intro „Our Epic Attempts“ etwa sprechen Männer- und Frauenstimmen den Bandnamen in Dutzenden verschiedener Sprachen, und die Stimmen kommen dabei nicht nur aus allen Teilen der Welt, sondern auch aus allen Richtungen des Raums, bis sich aus dem Durcheinander langsam eine Art Karusselleffekt ergibt. Davon liefert der Cayin zusammen mit den abbildungsfreudigen Tannoy-Koaxen auch ohne digitales Processing mehr als nur eine Ahnung. Sondern immer wieder erschreckend konkrete, akkurat platzierte Schallquellen neben und hinter dem Hörplatz. Ein bisschen so wie auf „Amused To Death“ von Roger Waters oder „The Soul Cages“ von Sting, die in den 90ern mit dem kurzlebigen QSound-Verfahren produziert wurden, aber umfassender, deutlicher und klarer. Wow.

Cayin CS-6PH Karate
Warm, weich, ein bisschen rauh und schwebend-jazzig: Karate – hier ihr zweites Vinylalbum „In Place Of Real Insight“ (Southern Records – 18543-1) – spielten Postrock für einsame, spätnächtliche Autofahrten (Foto: B. Rietschel)

Mit „normalen“ Platten fällt auf, dass keine davon wirklich normal klingt, sondern jede auf ihre Art besonders. Bestimmte bassarme 80er-Jahre-Produktionen bleiben allerdings flach, da hilft wohl der beste Spieler und die sensibelste Phonostufe nichts. Aber „In Place Of Real Insight“ der US-Band Karate zeigt via Cayin einfach besonders deutlich diese warme, dunkle Energie, die fast alle Platten dieser Band durchflutet. Hier ist tatsächlich Elektronik am Werk, die beabsichtigt und gezielt Spuren im Klang hinterlässt. Aber nicht in der Anlage, sondern im Studio. Da hört man nicht nur Drums, Gitarrenverstärker und Gesangsmikros, sondern spürt förmlich den Strom, der durch ausladende Analogmischpulte und Regale voller Vintage-Studioequipment geflossen sein muss. Das Studio, das Karate 1996 oder ‘97 nutzten, war Fort Apache in Boston, von Musikern gegründet, im DIY-Ethos gewachsen und bereits zehn Jahre zuvor entscheidend mitverantwortlich für den Sound zahlloser junger Indie- und Grungebands. Die Pixies nahmen dort „Come On Pilgrim“ auf, Radiohead ihre ersten Alben, oder auch – mit den Gründern Sean Slade und Paul Q. Kolderie am Pult – Dinosaur Jr. ihr drittes Album „Bug“, das den Tester im Herbst 1988 an der Neuheiten-Reinhörstation in der Karstadt-Musikabteilung traf wie ein Blitz. Ich weiß noch, was lief, als ich den Kopfhörer aufsetzte: „Yeah We Know“, der letzte Track auf Seite 1.

Das Grinsen, mit dem ich Minuten später, die Platte im Rucksack, zu meinem Rad lief, hatte etwa die Breite der Karlsruher Kaiserstraße. Anfang 2023, erschreckende 34 Jahre später, erzeugt der wunderbare Cayin CS-6PH mit dem Vertere DG-1S und einem Skyanalog P-2 vornedran und der Sennheiser-Kopfhörerkombi am symmetrischen Ausgang erneut ähnliches Entzücken. Nicht, indem er irgendwas hinzufügt. Sondern indem er weniger weglässt. Das ging mir nachher noch bei ganz vielen Platten ähnlich: Vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren gekauft oder gerade erst ausgepackt. Und jedes Mal das Gefühl: Ah, gut, dass ich die auch habe…

Fazit Cayin CS-6PH:

Einen reinen Röhren-Phono ohne Übertrager und dennoch MC-tauglich zu bauen, ist eine Herausforderung, die Entwickler schon aus sportlichen Gründen reizt. Der Cayin zeigt, dass diesem selten genutzten Bauprinzip auch ein ganz besonderer, duftig-natürlicher Klang innewohnt. Dass im Gegenzug der Rauschabstand zwar sehr gut, aber nicht unübertroffen ist, akzeptiert man angesichts der sagenhaften Transparenz und Neutralität dieses Phono-Preamps ohne zu zögern – zumal die durchdachte Ausstattung dem CS-6PH überragende Praxistauglichkeit verleiht.

Cayin CS-6PH
2023/01
Test-Ergebnis: 4,7
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Hochauflösender, körnungsfreier, sehr verzerrungsarmer Klang
Sinalweg ohne Transistoren oder Übertrager, dennoch sehr guter MC-Rauschabstand
Sehr komfortabel anpassbar, je zwei schaltbare Ein- und Ausgänge
Bauartbedingt für einen Phono-Pre recht hoher Stromverbrauch (ca. 60 Watt)

Vertrieb:
Cayin Audio Distribution GmbH
An der Kreuzheck 8
61479 Glashütten-Schlossborn
Telefon: 06174-9554412
www.cayin.com

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Cayin CS-6PH: 2.680 Euro

Technische Daten

Cayin CS-6PH
Konzept:Single-Ended MM-/MC- Röhren-Phonostufe
Röhren-Bestückung:2 x 6922, 2 x 12AX7, 2 x 12AT7, 2 x RCA22DE4
Eingänge:1 x RCA
Ausgänge:1 x RCA, 1 x XLR
Ausgangspannung (MM / MC):200 mV / 200 mV
Abmessungen (H x B x T):36,0  x 17,7 x 30,9 cm
Gewicht:11,5 Kilo
Alle technischen Daten
Mit- und Gegenspieler:

Test Vor-/Endstufenkombi McIntosh C22 MK V AC / MC 275 AC
Test Phonostufe Canor PH 1.10: dem Himmel so nah
Test Phonostufe Luxman E-250: Samt und Seide
Test MC-Tonabnehmer Skyanalog P-1 und P-2: low Output, high Potential

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Autor: Bernhard Rietschel

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Bernhard Rietschel ist gelebte HiFi-Kompetenz. Sein Urteil zu allen Geräten ist geprägt von enormer Kenntnis, doch beim Analogen macht ihm erst recht niemand etwas vor: mehr Analog-Laufwerke, Tonarme und Tonabnehmer hat keiner gehört.