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Sennheiser HD 820 Test Aufmacherbild
Geschlossener Over-Ear-Kopfhörer Sennheiser HD 820; 2.400 Euro (Foto: Sennheiser)

Test Over-Ear-Kopfhörer Sennheiser HD 820 – der Geniestreich

Optische Ähnlichkeiten mit erfolgreichen Kopfhörern sind beim hier vorgestellten Sennheiser HD 820 keineswegs zufällig, sondern beabsichtigt. In der Tat ist Sennheisers neuer Edelhörer als geschlossene Alternative zum weltweit renommierten Open-Ear-Duo HD 800/800 S gedacht. Diese Transformation gelang den Kopfhörer- und Mikrofonspezialisten aus Hannover nicht nur optisch äußerst ästhetisch, sondern auch in akustischer Hinsicht absolut brillant – doch dazu später mehr.

Zunächst mal ein kurzer, geschichtlicher Rückblick: Ende der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts stellte Sennheiser mit dem legendären HD 414 den weltersten offenen Kopfhörer vor. Der war in der Tat eine technische und klangliche Revolution. Er besaß kompakte, nach außen hin offene Hörschalen, in denen dynamische Mikrofonkapseln als Wandler fungierten. Darum lagen dem HD 414 noch zu Beginn der 70er-Jahre DIN-Übergangsstecker bei, um die Hörschalen nach dem Abziehen vom Kopfbügel auch als Mikrofone nutzen zu können.

Sennheiser HD 414 classic box
Mit dem Sennheiser HD 414 begann der klangliche Siegeszug der offenen Kopfhörer. Hier eine Originalverpackung von 1971 (Foto: J. Schröder)

Wer den Sennheiser HD 414 einmal hörte, konnte sich fortan nie wieder mit den üblichen geschlossenen, meist ziemlich plärrig klingenden Hörern abfinden. Folglich wurde der HD 414 zum absoluten Verkaufsschlager. So existieren glaubhafte Aussagen, dass der Handel mit HiFi-Zubehör erst durch ihn so richtig an Fahrt aufnahm. Selbst in auf Klangqualität bedachten Plattenläden konnte man den HD 414 an der Hörtheke als hochwertigen Stielhörer antreffen.

Doch was war es eigentlich, was den Sennheiser HD 414 so deutlich besser klingen ließ als die gesamte Konkurrenz? Lediglich anzumerken, als offener Hörer erspare er sich den „Gehäuseklang“, wäre in der Tat zu trivial. Sein Klanggeheimnis war vielmehr das grundsätzlich andere Prinzip, nach dem seine Schallwandler akustisch ans Ohr koppeln – nämlich auf eine Art und Weise, die anatomisch bedingte Resonanzen in Ohrmuschel und Gehörgang nicht wie ein geschlossener Hörer hörbar unterstützt.

Geht es allerdings darum, nach außen hin möglichst „geräuschlos“ zu hören – oder umgekehrt – von außen eindringenden Störschall zu reduzieren, sind geschlossene Hörer naturgemäß im Vorteil.

Sennheiser HD 820: Technik

Für ebendiese Anwendungen entwickelte Sennheiser nun den HD 820. Sein Ziel: Die klanglichen Tugenden der offenen mit den praktischen Vorzügen der geschlossenen Bauweise zu kombinieren. Welche Herausforderung dies für die Sennheiser-Entwickler bedeutete, zeigt folgender Test. Besitzer offener Kopfhörer können diesen leicht selbst durchführen. Setzen Sie den Hörer auf und wählen einen Musiktitel mit Bläsern oder weiblichem Gesang – möglichst mit Bandbegleitung. Bei laufender Musik bewegen Sie nun Ihre beiden Handteller aus größerem Abstand (etwa 40 cm) allmählich in Richtung linker und rechter Hörschale. Auffällig dabei: Je näher Sie mit den Handtellern den Wandlersystemen kommen, desto plärriger und vordergründiger werden obere Mitten und Präsenzbereich.

Der gleiche Effekt stellte sich ein, würde man beispielsweise einem Sennheiser HD 800 S durch simples Überstülpen von Gehäuseschalen zu einem geschlossenen Hörer umfunktionieren. Physikalischer Hintergrund: Arbeiten die Schallerzeuger beim offenen Hörer als Schnellewandler auf eine niedrige akustische Impedanz, so „sehen“ dieselben Wandlersysteme bei geschlossenen Gehäusen eine hohe akustische Impedanz – was die Ohrresonanzen von Concha-Höhle und Gehörgang hörbar hervortreten lässt (Näheres zu diesem spannenden Thema finden Interessierte im Ratgeber Kopfhörer Equalizer sowie im Technik-Wiki HRTF – Head Related Transfer Function).

Ein weiterer Nachteil üblicher, geschlossener Hörer ist, dass sie mit ihren nach außen gewölbten Gehäuseschalen innere Schallreflexionen wie ein Hohlspiegel fokussiert auf die Wandlersysteme zurückwerfen. Man kann sich leicht vorstellen, dass die ultradünnen Membranen der Wandlersysteme für solche rückwärtigen Reflexionsattacken kein nennenswertes Hindernis darstellen, sprich: Sie dringen nach vorne durch. Das aber führt zu unangenehmen Frequenzgangeinbrüchen im gehörkritischen Spektrum, hervorgerufen durch Kammfiltereffekte.

Glänzender Trick: Der Glasreflektor beim Sennheiser HD 820

Der Sennheiser HD 820 hingegen geht den genau entgegengesetzen Weg. Er verwendet spezielle Schallreflektoren, die durch ihre nach innen hin konvexe Oberfläche Gehäusereflexionen geschickt an den Wandlersystemen vorbeilenken – hinein in zwei separate, ringsum angeordnete Absorberkammern. Ausgefuchst dabei ist nicht nur die elliptische Formgebung der Reflektoren, sondern auch der Werkstoff: Damit ihre Wirkung auch bis zu hohen Frequenzen hin vollständig erhalten bleibt, sind diese als „schallharte Wand“ aus ultrastabilem Gorilla-Glas gefertigt.

Sennheiser HD 820 diffraction housing
Diffraktionsgehäuse nennt Sennheiser die Ear Cups des HD 820 – hier dargestellt als Schnitt: 1. Elliptoider Schallreflektor aus ultrahartem Gorilla-Glas; 2. von der Membran abgestrahlte Schallwellen; 3. vom Reflektor in die Absorberkammern umgelenkte Schalreflexionen, 4. als Fließwiderstände ausgelegte Absorberelemente, gefertigt aus feinstmaschigem Metallgewebe (Grafik: Sennheiser)

Ein weiterer Geniestreich beim Sennheiser HD 820 sind die Absorberelemente, welche die von den Reflektoren an den Wandlersystemen vorbeigeleiteten Reflexionen aufnehmen. Versehen mit einem extrem feinmaschigen Metallgeflecht, wirken diese wie akustische Perlatoren: Auf effiziente Weise wandeln sie Schalldruck in Schallschnelle und entlassen die Luftmoleküle hernach quasi wirkungslos in den ohrankoppelnden Innenraum. Somit kann der Sennheiser HD 820 vollständig auf textile Dämpfungselemente verzichten.

Kopfhörer-Spezls haben es bereits bemerkt: Mit diesem Konzept könnte man den Sennheiser HD 820 durchaus als „offenen“ Kopfhörer mit geschlossenem Gehäuse bezeichnen. Somit kann er die gleichen, beinahe schon legendären 56-Millimeter-Ringradiatorwandler verwenden wie seine berühmten Brüder HD 800 und HD 800 S – beste Voraussetzungen also für offenen, transparenten Klang.

Sennheiser HD 820: Praxis

Auch in anderer Hinsicht überrascht der Sennheiser HD 820. Trotz seines recht imposanten Formats bringt er kaum 10 Gramm mehr auf die Waage als seine offenen Brüder HD 800 und 800 S. Mit 412 Gramm zählt der HD 820 dabei nicht gerade zu den Leichtgewichten. Durch seine gleichmäßige, großflächige Gewichtsverteilung sowie den angenehmen Anpressdruck macht sich das in der Praxis jedoch kaum bemerkbar. Auch bei ausgedehnten Hörsessions bleibt er stets ein angenehmer Partner.

Sennheiser HD 820 left side
Trotz seines stattlichen Formats trägt sich der Sennheiser HD 820 auch über längere Zeiträume hinweg sehr angenehm (Foto: Sennheiser)

Seinem exklusiven Anspruch wird der Sennheiser HD 820 auch hinsichtlich Ausstattung und Verarbeitung gerecht. Gleich drei hochwertige, textilbedämpfte Anschlusskabel mit Silber-plattierten OFC-Kupferleitern liegen ihm bei: mit Standard-6,3-Millimeter-Klinkenstecker; dem neuen, symmetrisch beschalteten 5-Pol-Pentaconn-Stecker sowie dem gleichfalls symmetrisch beschalteten 4-Pol-XLR-Stecker. Hörerseitig erfolgt der Anschluss wie bei seinen Brüdern mittels robuster, 3-poliger Steckverbinder vom Mühldorfer Spezialisten ODU. Ohnehin selbstverständlich, dass der Sennheiser HD 820 komplett in Deutschland gefertigt wird. Jedem Hörer liegt zudem ein individuell erstelltes Frequenzgang-Protokoll (Lautheits-Diffusfeld-entzerrt) als PNG-Grafik auf einem USB-Stick bei, auf dem sich auch die Bedienungsanleitung findet.

Der Sennheiser HD 820 im Hörtest

In der Tat kann ich mich zu den Glücklichen zählen, die auf eine langjährige Hörerfahrung mit den beiden offenen Sennheiser-Hörern HD 800 und HD 800 S zurückblicken können. Immerhin ist letzterer auch offizieller Referenzhörer bei LowBeats. So interessierte mich denn auch zunächst mal nicht so sehr die absolute Qualität, sondern die Frage: „Wie dicht kommt der geschlossene Sennheiser HD 820 an den offenen HD 800 S heran?“ Möglichst große Ähnlichkeit war ja schließlich eine wesentliche Intention seiner Entwickler.

Die Antwort lautet: Wirklich überraschend nahe – hinsichtlich Luftigkeit und dem typisch detailreichen, angenehmen Klangcharakter vermitteln beide Hörer ein nahezu gleichwertiges Feeling, was bei sphärischen Titeln wie „Refuge For Scarcities“ von Man In A Room wunderbar deutlich wurde. Allein das wäre bereits Ehre genug für den Sennheiser HD 820: Schließlich ist er damit der erste geschlossene Hörer, der annähernd dasselbe Klanggefühl vermittelt wie ein offener.

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Natürlich gab es auch Unterschiede zwischen den Gebrüdern Sennheiser. Die äußerten sich vor allem in tonaler Hinsicht. Hierbei handelte es sich jedoch eher um individuelle Charaktereigenschaften denn um gravierende Abweichungen in Sachen Neutralität. Was die Tieftonwiedergabe der beiden Hörer betrifft, bietet sich eine Analogie zur Lautsprecherwelt an: Vergleichbar einem großflächigen Dipolstrahler „atmete“ der offene HD 800 S im Bassbereich tief durch. Der geschlossene Sennheiser HD 820 hingegen ließ wie ein ausgewachsener Standlautsprecher mit großem Tieftöner Fülle und Punch verspüren. Welche „Wesensart“ man hier bevorzugt, ist tatsächlich eine Frage des persönlichen Geschmacks und der Hörerwartung. Qualitativ liegen beide Sennheisers jedenfalls auf gleich hohem Niveau – und verursachten bei entsprechend bassintensiven Tracks wie dem hypnotischen „Everything Connected“ von Jon Hopkins einen wahren Tiefenrausch (Achtung – es besteht akute Suchtgefahr!).

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Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Sennheiser-Brothers zeigte sich in den mittleren Lagen im Bereich von etwa 1 bis 3 Kilohertz. Hier trug der HD 820 etwas dicker auf als der HD 800 S, was ihn bei hierfür empfänglichen Tracks – etwa der Phil-Collins-Big-Band-Version von „Sussudio“ – vordergründiger erscheinen ließ. Der HD 800 S agierte hier eine Spur neutraler.

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Mit seiner fulminanten Basswiedergabe und den direkten Mitten bewies der Sennheiser HD 820 insgesamt einen äußerst involvierenden, „intimen“ Klangcharakter. Sein offener Bruder HD 800 S hingegen wirkte vergleichsweise etwas asketischer, sachlicher – jedoch nicht in räumlicher und dynamischer, sondern in tonaler Hinsicht. Beide Hörer haben jedenfalls ihren Reiz – und genauso war es von den Sennheiser-Entwicklern ja auch gedacht.

Sennheiser HD 820: Fazit

Einst erfand Sennheiser den HD 414, der mit seiner offenen Bauweise die Kopfhörerwelt revolutionierte. Exakt 50 Jahre später erfindet Sennheiser jetzt mit dem HD 820 den geschlossenen Kopfhörer neu – nunmehr ohne dessen prinzipbedingte Nachteile. Diese symbolträchtige Wiederholung der Geschichte zeugt nicht nur von der Innovationskraft der Sennheiser-Entwicklungsabteilung, sie ist auch der klare Beweis, dass echte klangliche Fortschritte stets auf grundlegenden Verbesserungen beruhen.

Mit seinem Diffraktionsgehäuse gelingt es dem Sennheiser HD 820 tatsächlich, das für offene Kopfhörer typische, weiträumig-transparente Klangbild bei geschlossener Bauform zu erzeugen – was man durchaus als kleine Revolution bezeichnen kann. Als „Headliner“ ist der Sennheiser HD 820 fraglos ein noch recht exklusives Vergnügen. Doch ist bereits absehbar, dass seine Technologie zukünftig auch in gemäßigtere Preisregionen Einzug halten wird. Gäbe es den LowBeats HiFi-Innovationspreis 2018, so sähe ich den Sennheiser HD 820 klar auf dem ersten Platz.

Sennheiser HD 820
2018/11
Test-Ergebnis: 4,8
Überragend
Bewertung
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Transparent-räumlicher Klangcharakter wie ein offener Kopfhörer
Involvierend lebendige Spielweise
Ausgezeichneter Tragekomfort
Drei hochwertige Anschlusskabel im Lieferumfang

Vertrieb:
Sennheiser GmbH & Co. KG
Am Labor 1
D-30900 Wedemark
www.sennheiser.com

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Sennheiser HD 820: 2.400 Euro

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Autor: Jürgen Schröder

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Toningenieur, R&D-Spezialist und das (mess-)technische Gewissen von LowBeats. Kümmert sich am liebsten um Wissens-Themen, Musik und den spannenden Bereich zwischen Studio und HiFi.