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Rotel RA-6000 Front
Soll die Brücke zwischen der klassischen Linienware und den Komponenten der hochpreisigen MICHI-Komponenten schlagen: der Rotel RA-6000 für 4.500 Euro (Foto: Rotel)

Test Vollverstärker Rotel RA-6000: das Beste aus 60 Jahren

Bei Rotel gab es immer die Zweiklassengesellschaft: das gemeine Verstärkervolk und die Nobel-Linie MICHI. Doch vor zwei Jahren schlugen die Japaner eine Brücke zwischen den beiden Schichten: Der Vollverstärker Rotel RA-6000 sieht zwar sehr volksnah aus, erfreut aber das Herz des Audiophilen durch viele Technik-Anleihen der teuren MICHIs…

Wir haben mehr mit unseren japanischen Freunden gemein, als wir denken. So rufen die Japaner „kanrek!i“, wenn der 60. Geburtstag ansteht. Das ist der „diamantene“ Geburtstag. Wer es in Deutschland schafft, 60 Jahre verheiratet zu sein, feiert seine „diamantene“ Hochzeit. In Fernost bekommen dann die Jubilare eine rote Weste und einen roten Hut. Das basiert auf einer über tausendjährigen Tradition. Alle Geburtstage vorher sind nebensächlich. Aber der Diamantene galt eben vor tausend Jahren als das Finale des Lebens.

2021 ist Rotel 60 Jahre alt geworden. Denkt aber nicht daran, von der High-End-Bühne abzutreten. Seit gefühlten Ewigkeiten stand Rotel Seite an Seite mit Bowers & Wilkins im Vertrieb, auch in Deutschland. Fast ein Treueschwur. Im Sommer dann eine überraschende Wende: ATR Audio Trade, neuerdings in Eltville beheimatet, bringt die Elektronik in den deutschen und schweizerischen Fachhandel – und weltweit stellt sich Rotel neu auf.

Eines der spannendsten Geräte aus dem Programm ist der RA-6000, ein Vollverstärker eben der Diamond-Serie (4500 Euro). Wer genau hinschaut, könnte auf den ersten Blick ernüchtert sein: Das ist doch ein Zwillingsbruder des RA-1592MKII – der preislich deutlich tiefer liegt und schon seit einigen Jahren auf dem Markt präsent ist. Die Knöpfe sind sehr ähnlich, die Position des Lautstärkereglers, allein die Seitenwangen wirken aufgehübscht. Auch die Rückseite bedient das Déjà-vu. Die Differenz von 1.700 Euro macht uns stutzig. Im Automobil-Geschäft würde man von einem „Facelift“ sprechen – der netten Verwandlung der Außenhaut, ohne tiefere Eingriffe in das Innenleben. Doch ganz so simpel tickt man bei Rotel nicht. Treffender ist der Vergleich der Plattformen. So ist der Touareg von VW in der Basis identisch mit dem Cayenne von Porsche. Doch das Lebensgefühl in beiden Fahrzeugen könnte nicht unterschiedlicher sein.

Rotel RA-6000 mit FB
Der Rotel RA-6000 in seiner barocken Pracht mit den Kühlkörper-Ansätzen links und rechts der Front. Das Bild zeigt auch die Multi-Funktions-Fernbedienung, die von der Haptik her eher in die 1.000 Euro-Klasse gehört… (Foto: Rotel)

Rotel RA-6000: die Technik, die Familienbande

Der RA-1592MKII ist in der Plattform identisch mit dem RA-6000. Aber die Innenleben sind unterschiedlich. Rotel sucht das Bindeglied – von den Basismodellen bis zur Edelserie mit dem Namen „MICHI“. Da markiert der X3S2 die höhere Ausbaustufe bei den Vollverstärkern (der X5S2 liegt noch darüber). Ein komplett anderer Entwurf, weit entfernt vom RA-6000. Da spürt man die Moderne, die Hand eines Designers, die Reduzierung – bei 7000 Euro. In diesem Sinne ist der RA-6000 deutlich näher am „alten“ Rotel-Ideal von grundehrlicher Klangkraft zum noch erschwinglichen Preis und einem eher rustikalen Design. Beim Blick unter die Haube sind die drei, RA-1592MKII, RA-6000 und Michi X3S2 klar als Geschwister zu erkennen. Hinter der Frontblende liegt ein großformatiger Trafo, der sicherlich ein Viertel des Innenlebens einnimmt und das Grundgewicht bestimmt. Beim RA-1592MKII wird dieser in einem faradayschen Käfig verpackt, beim RA-6000 verkapselt Rotel den Trafo umfassend zur Abschirmung. Dann ein Aufbau der Signalwege in doppeltem Mono. An den Seiten liegen die Kühlkörper.

Rotel RA-6000 innen
Konsequenter Dual-Mono-Aufbau mit gekapseltem Trafo (Foto: Rotel)

Wir haben direkt in der Eltviller Firmenzentrale nachgefragt. Offizielles Statement: Die Architektur und die Signalführung stammt aus dem Michi X3, zudem gibt es die gleichen Slit-Foil-Kondensatoren. In diesem Kontext ist der RA-1592MKII klar abgeschlagen, er lebt noch im Katalog, agiert klanglich aber eher als Steigbügelhalter für den RA-6000.

Was aber alle drei vereint, ist die maximale Kraftausbeute bei 350 Watt an vier Ohm in klassischer A/B-Transistoren-Schaltung. Wir fanden im gesamten LowBeats Referenzlager keinen Lautsprecher, den der RA-6000 nicht adäquat ausgereizt hätte. Und ebenfalls legt sich Rotel aus dem Fenster, wenn es um die digitale Wandlung geht. Die organisiert und beherrscht im RA-6000 ein Chip von Texas Instruments mit dem Kürzel PCM5242 – 32 Bit und 384 Kilohertz sind möglich, das ist die Garantie auf lange Lebensjahre, weit in die audiophile Zukunft gedacht. Aber nicht vom Ethernet-Eingang täuschen lassen – der ist nur für eine mögliche Steuerung und Software-Updates gedacht. Kurz: Der RA-6000 kann nicht streamen. Es braucht also einen aktiven Rechner, der über den USB-Port im Rücken angeschlossen wird. Auch der USB-Eingang auf der Front kann zu einem Missverständnis führen. Der ist dafür gedacht, beispielsweise ein iPhone zu verkuppeln, das dann als aktiver Player fungiert.

Rotel RA-6000 Rear
Ein Verstärker auf dem Weg in die Moderne: mit 7 Digitaleingängen, aber auch mit 4 Analog-Eingängen plus Phono-MM (Foto: Rotel)

Eine kritische Frage muss erlaubt sein: Warum bietet Rotel in seiner Diamond-Serie noch einen CD-Player an? Der kann nur CD, nix SACD, wandelt aber mächtiger mit einem ESS Sabre-Chip auf zwei mal vier gebündelten Kanälen. Der Player kann auch extern als Wandler befeuert werden, aber nicht als Streamer. Das ist im Kern also eher ein Upgrade für die Besitzer von großen CD-Sammlungen.

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Macht auch als Gespann eine gute Figur: RA-6000 mit CDT-6000. Der  CDT ist dabei kein reiner „Transport“, sondern hat – wie auch der Verstärker – einen DAC eingebaut (Foto: H. Biermann)

Wobei die Stand-Alone-Inszenierung des Vollverstärkers nach meinem Geschmack stärker ist. Drei Cinch-Eingänge stehen neben einem Paar XLR-Buchsen. Wer Vinyl liebt, stellt einen Plattenspieler mit MM-System dazu, auch das wandelt der RA-6000.; MC-Systeme brauchen eine externe Phono-Stufe.

Natürlich versteht der RA-6000 auch Bluetooth in aptXT HD, wenn es mal schnell gehen soll. Müssen wir über MQA oder MQA Studio reden? Das kann der RA-6000 auch, aber das Thema ist durch den Ausstieg von Tidal und weitere Verwerfungen eher die Nische einer Nische auf der einsamen Insel – siehe Beitrag.

Hörtest

Jetzt könnte ich lügen. Aber der Name Rotel allein weckt bei mir – und wahrscheinlich vielen anderen Fans der Marke – klare Erwartungen. Die Rotel-Amps unserer Jugend waren schnell, auf Drive ausgelegt und auch bei hohen Pegeln nicht untermotorisiert. Blöder Vergleich: der Golf GTI für die Babyboomer. Da brauchte man weniger einen Führerschein als einen Waffenschein. Gutes Gefühl für alle, die keine Unsummen für High-End ausgeben konnten und noch immer nicht wollen. Der RA-6000 liefert nicht die komplette Werteumkehr, aber er ist gesitteter, reifer. Ich hatte mehr Kanten und dynamische Unerbittlichkeit erwartet, aber der diamantene Verstärker gefällt mir mit seinem Groove und Samt fast besser.

Wie eine Steilvorlage kicken die Rolling Stones den Ball vor das Tor. Das neue Album „Hackney Diamonds“ (wieder einmal die Edelsteine), ist rau, brachial, bis an den Maximalpegel ausgereizt. Andere sollen Balladen säuseln, die Stones lieben es kerniger, in einem Soundideal, das vierzig Jahre jünger klingt.

Rolling Stones - Hackney Diamonds
Hackney Diamonds wird von der Stones-Gemeinde als wirklich großer Wurf gehandelt. Womöglich ist es der letzte…?

Dieses Rotzige ist eigentlich nicht die Welt des Rotel. Wenn Keith Richards immer ein wenig neben dem Rhythmus schrammt, ließ es der RA-6000 nicht nur zu – er liebte es. In den besten Momenten hatte es jene Vitalität, die den noch immer in Familienhand geführten Konzern berühmt gemacht hat. Jetzt aber mit einer Souveränität, die in den Farben und im Sättigungsgrad die Assoziation zu einem Röhrenamp erlaubt. Noch weitergedacht: So könnten die Stones auch über PA-Equipment live auf der Bühne klingen. Die Aufnahme selbst tönt auf schlechten Verstärkern eindimensional, der 6000er gewichtet lebendiger, da gibt es das kleine Beben in jedem Riff.

Bei der Raumabbildung denken viele High-End-Fans, dass hier der Hochtonbereich entscheidend ist. Stimmt zu Teilen, in den offensichtlichen Reflexionen. Doch auch die Präzision des Basses ist gefragt, wenn ein großes, spätromantisches Orchester den Raum flutet. Da zeigte sich der RA-6000 überbordend, mächtig, beherrscht, druckvoll – das sind genau jene Werte, die Anton Bruckner für seine achte Symphonie einfordert.

Bruckner
Wieder ein Meisterwerk von Toningenieur Jean-Marie Geijsen: das Tonhalle-Orchester Zürich unter Paavo Järvi spielt Bruckners Symphonie No. 8

Im Finale wird es laut, aber auch ultra-komplex. Die Themen aller Sätze schichtet Bruckner übereinander – das ist der Gipfelpunkt der symphonischen Architektur, bis heute unerreicht. Die neuste Einspielung ist eine der besten – in Interpretation wie Klang: Paavo Järvi dirigiert das Tonhalle-Orchester Zürich, natürlich auch in High-Res zu haben. Man weiß nicht, ob man schwelgen oder analysieren soll.

Der RA-6000 liebt die Klangwelle, beim MICHI X3 habe ich es erlebt, nun hier der gleiche Effekt bei deutlich kleinerer Investition. Die Tonhalle ist kein einfacher Konzertsaal – für Studio-Aufnahmen, es braucht das volle Publikum als akustischen Dämpfungsfaktor. Also eine Live-Aufnahme? Nein, das ist alles unter Studio-Bedingungen entstanden. Jean-Marie Geijsen war der Mann an den Mikrofonen und am Mischpult, ein Profi mit langjähriger Hörerfahrung, die bis in die goldenen Tage der Philips zurückreicht. Er liebt den hochdynamischen Klang, die klare Staffelung des Orchesters und das lustvolle Eintauchen bis an die Grenzen des Mediums. Selten hat eine Aufnahme so sehr das High-End-Equipment gefordert. Der RA-6000 gab sich als feinseidiger, leicht warm klingender Hasardeur: Mit einer Dynamikbereitschaft, wie ich sie nicht oft von Rotel erlebt habe.

Rotel RA-6000 im LowBeats Hörraum
Neulich im LowBeats Hörraum: Soulnote A-1 und Rotel RA-6000 beim Durchgang an der LS3/5a von Harwood (Foto: H. Biermann)

Womit vergleichen? Wir holten den A-1 von Soulnote aus dem Regal. Mit 3590 Euro sind wir im annähernden Finanzbereich. Kollege Holger Biermann sprach in seinem Fazit von „fein intensiv und musikalisch“: eine enorme Intensität und Präsenz in den Mitten. Der Rotel steht eher auf der Gegenseite, musikalisch ist er natürlich auch, ohne Frage, aber er ist wuchtiger, er schiebt die Kraft von unten. Zudem legt er sich in Anschlüssen, Wandler und Phono-Stufe aus dem Fenster, während der Soulnote sich hier in der Rolle des Spartaners gefällt.

Fazit Rotel RA-6000

Der Rotel MICHI X3 aus der ersten Generation war bei uns auch eine Zeit in der Redaktion. Ich habe ihn als sehr neutral, aber auch als eher ausdruckslos in Erinnerung. Die aktuelle Generation S2 des X3 soll allerdings sehr viel besser sein.

Auch der vergleichsweise neue RA-6000 zeigt deutlich mehr Charakter. Weil er zwar etwas zurückhaltend, aber audiophil mit lustvollem Zugriff agiert. Und weil er nie Zweifel über seine Leistungsfähigkeit aufkommen lässt – was er mit seinem druckvoll-reichem Bass unterstreicht. Mit seinem satt-feinen Klangcharakter hängt er nicht nur den etwas gröber aufspielenden Rotel RA-1592 MKII ab – er ist auch wie gemacht für etwas heller klingende Lautsprecher, beispielsweise die Modelle von Elac oder den früheren Audio Physics.

Unterm Strich bleibt ein bärenstarker Vollverstärker, der zwar optisch eher in die 1980er Jahre des vorigen Jahrhunderts weist, sich vom Klangcharakter aber wunderbar geschmeidig und modern zeigt. Eine klangstarke Bereicherung der Verstärker-Gilde um 4.000 Euro.

Rotel RA-6000
2023/11
Test-Ergebnis: 4,4
SEHR GUT
Bewertung
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Enorm musikalisch fein-geschmeidiger Klang
Große Energiefülle im Bass
Anschluss-Komplettausstattung
Fernbedienung mit Kunststoffgehäuse

Vertrieb:
AUDIO-TRADE Hi-Fi Vertriebsgesellschaft mbH
Schenkendorfstraße 29
D-45472 Mülheim an der Ruhr

Telefon: 0208-882 66 0
Telefax: 0208-882 66 66
E-Mail: [email protected]

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Rotel RA-6000: 4.500 Euro


Die technischen Daten

Rotel RA-6000
Technisches Konzept:Transistor- (A/B-) Vollverstärker mit DAC
Leistung (4 / 8 Ohm):350 / 200 Watt pro Kanal
Analog-Eingänge:4 x Cinch (inklusive Phono MM) und 1 x XLR
Digital-Eingänge:3 x optisch, 3 x Cinch, 1 x USB
Phono-Eingang (MM):
47 kOhm
Ausgänge:
1 x Pre-Out, 2 x Subwoofer
DAC:
Texas Instruments, 32-bit/384kHz
Besonderheiten:Roon, MQA
Maße (B x H x T):43,1 x 14,4 x 42,5 cm
Gewicht:
18,8 Kilo
Alle technischen Daten
Mit- und Gegenspieler:

Test Vollverstärker Soulnote A-1
Auf neuesten Stand gebracht: Rotel A14 Mk-II, Rotel RA 1572 Mk-II, Rotel RA 1592 Mk-II
Test Kompaktbox Harwood LS 3/5a: der BBC-Klassiker für unter 1.000 Euro

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Autor: Andreas Günther

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Der begeisterte Operngänger und Vinyl-Hörer ist so etwas wie die Allzweckwaffe von LowBeats. Er widmet sich allen Gerätearten, recherchiert aber fast noch lieber im Bereich hochwertiger Musikaufnahmen.