Einmal Titan sein! Titan sein? Titan haben! Wer in den 1980er-Jahren groß geworden ist, oder gerade groß geworden war, hätte für ein „Pärchen“ Quadral Titan getötet. Mindestens. „Die Telefonzelle“ – als das die Lautsprecherbox spöttisch von manchem Neider wegen ihrer imposanten Größe betitelt wurde – war in Wirklichkeit ein Schrank. Ein Möbelstück also. Das behauptet niemand geringerer als Edmond Semmelhaack und der muss es wissen, denn er hat die 1,50 Meter große und 115 Kilogramm schwere Box als einer von zwei „Vätern“ überhaupt erst möglich gemacht. Doch mit der Beantwortung der Fragen, warum der Begriff “HiFi-Möbel” hier sehr bewusst gewählt war, welche Rolle die Frau dabei spielte und warum “50 Jahre quadral” eigentlich ein bisschen geschummelt ist, müssen wir uns noch etwas Zeit lassen.
Zunächst stellen wir die illustre Runde vor, die sich Mitte September zum Thema 50 Jahre quadral im LowBeats Büro einfand. Das waren neben den LowBeats Redakteuren Andrew Weber und Holger Biermann drei Männer, die allesamt extrem eng mit der Marke verbunden waren oder sind. Nämlich der langjährige quadral-Geschäftführer Edmond Semmelhaack die Entwickler-Legende Helmut Schaper und – als Vertreter des “neuen” Zeit – der Quadral-Entwickler Sascha Reckert, der zusammen mit dem (nicht anwesenden) Geschäftsführer Volker Schwerdtfeger das Gesicht des modernen quadral ist.
50 Jahre quadral: die Anfänge
Das Gründungsjahr des Mutterkonzerns war 1972. 50 Jahre quadral? Fast. Erst kommt die all-akustik, ohne die es quadral nie gegeben hätte. Und ohne den Streit mit einem Chef, wäre womöglich selbst die all-akustik nicht gegründet worden. Doch an einem Donnerstag im Frühling (ganz präzise handelt es sich um den 13. April 1972), war es vollbracht, da wurde die all-akustik in das Handelsregister von Hannover eingetragen. Ihre Gründer waren Hans-Dieter Hoffmann, Helmut Pabel, Horst Enders und Friedel Hofmann. Und schon der Firmenname ließ erahnen, dass die Renegaten Großes vorhatten.
Hoffmann kam von der Hannoveraner Boxenschmiede Hansa, mit dessen Inhaber, Hanns Schaefer, der damalige Verkaufsleiter Hoffmann Differenzen hatte, die offenbar nicht zu lösen waren. Jedenfalls nahm er kurzerhand seinen Hut und den einen oder anderen Kollegen mit. Das Ziel der abtrünnigen Mannen: die Produktion von HiFi-Boxen und der Vertrieb importierter Elektronik.
Eine naheliegende Entscheidung, denn zu dieser Zeit boomte HiFi bereits wie verrückt. Fast jeder Teenager konnte es kaum erwarten, das auf harten Kirchenbänken ersessene Konfirmationsgeld (gilt nur für protestantische Gemeinden) in Stereokomponenten zu investieren. Technics hatte im Olympiajahr 1972 bereits den MK-I seines direktgetriebenen Dauerläufers SL-1200/1210 auf dem Markt und auch andere japanische Hersteller wie Denon, Marantz, Sony oder Yamaha waren für Kenner keine Unbekannten mehr.
Da war es ein geschickter Schachzug der all-akustik, nach eigenen Lautsprechern (die unter „all“ und den Handelsmarken „Aera“ und „Weltfunk“ verkauft wurden) sich zwei japanische Edel-HiFi-Marken einzuverleiben – Luxman, Micro-Seiki und später kam noch Sansui dazu. Hoffmann & Co hatten offenbar ein gutes Händchen für die richtigen Marken. Eine Zeitlang jedenfalls hatte die all-akustik den schärfsten HiFi-Stuff im Programm. Auch der spätere Marketingchef von all-akustik/quadral, Edmond Semmelhaack, wurde als Student der Werbekommunikation auf die neu vertriebenen Marken aufmerksam. Heute kaum noch vorstellbar, stieß er 1974 durch eine HiFi-Bestenliste (Autor übrigens: Karl Breh) im Wochenmagazin „Stern“ auf Geräte von Luxman und Micro-Seiki. Dort waren diese in die Top-Kategorie 1 eingeordnet – besser ging es nicht.
Es sollte nicht lange dauern, da hatte der Student die ersten Berührungspunkte mit der all-akustik – als LKW-Fahrer. Semmelhaack, der während seiner Bundeswehrzeit einen Führerschein für Lastwagen machen konnte, jobbte in den Semesterferien für eine Spedition, die, wie es der Zufall so wollte, auch für die all-akustik Lautsprecher transportierte. Dann ging es für ihn Schlag auf Schlag: Schon 1975 führte er mit der all-akustik auf der IFA in Berlin Boxen vor, schrieb seine Semester-Arbeit über die neu eingeführten Lautsprecher von BIC America (nicht zu verwechseln mit dem französischen Hersteller für Einwegfeuerzeuge und Kugelschreiber) und hatte am 18. Februar 1976 einen Job – Marketingverantwortlicher bei der all-akustik.
Semmelhaack, damals gerade mal 26 Jahre alt, ging gleich in die Vollen. Er brannte für HiFi und präsentierte „HD Hoffmann“ noch im Einstellungsjahr eine Idee: Er wollte eine eigene, hochwertige Lautsprechermarke etablieren. Semmelhaack im LowBeats Interview: „Wir hatten tolles HiFi wie Luxman und Micro Seiki, aber keine adäquaten Lautsprecher dazu. Die BIC-Lautsprecher passten nicht zu deutschen Ansprüchen. Also musste ein eigenes Brand her, eine eigene Marke.“ Hoffmann ließ sich überzeugen und gab grünes Licht, neben den „all“ genannten Boxen, eine weitere Marke einzuführen – die Geburtsstunde von quadral.
Die erste Serie wurde die quadral-aq-Reihe – Lautsprecher bis 1000 D-Mark. „Die schwarze Serie“, wie Semmelhaack sie noch heute nennt. Die Werbemaßnahmen damals waren andere. Ganz andere. „Sex sells“ heißt es nicht erst seit Hugh Hefners „Playboy“ und auch der Titel des Stern-Magazins von 1974, das den jungen Semmelhaack erstmals mit Produkten der all-akustik in Berührung brachte, zeigte damals eine unverhüllte Brust. Wie auch immer es zu der Anzeigenkampagne kam, sie bildete auf zwei aufeinanderfolgenden rechten Seiten in einer 1977er-Ausgabe der HiFi Stereophonie drei übereinandergestapelte Boxen der „schwarzen Serie“ und ein danebenstehendes weibliches Model mit schwarzer Hautfarbe ab. Auf der ersten Seite züchtig bekleidet – Model im Kleid, Box mit Frontblende. Dazu der Satz „… wetten, dass Sie wissen wollen, was sich dahinter verbirgt?“
Auf der nächsten Seite sah man die Dame dann nackt und auch der Lautsprecher offenbarte, was sich hinter seiner Hülle verbarg – blanke Chassis. Vollendet wurde die Werbebotschaft mit dem Satz: „… quadral sounding arc können sich nicht nur sehen, sondern auch hören lassen. Wollen Sie mehr sehen? Dann schreiben Sie uns.“ Das Model war übrigens ein Mitglied der damals populären Les Humphries-Singers, wie Semmelhaack im Interview verriet und auch, dass man sich das dazu passende große Poster für drei D-Mark in Briefmarken nach Hause schicken lassen konnte, was gern und häufig genutzt worden sein soll.
Die Kampagne verfehlte ihre erwünschte Wirkung nicht. Obwohl die Printwerbung nur ein einziges Mal geschaltet wurde (Semmelhaack: „Mehr konnten wir uns gar nicht leisten“), ging die Marke quadral 1977 erstmals so richtig ab. Zu dieser Zeit produzierte Luxman sogar HiFi-Einstiegskomponenten unter dem Namen quadral. Semmelhaack: „1978 hatten wir ein Set aus Tuner, Verstärker und Kassettendeck, das waren Einstiegsgeräte, die wir nicht unter dem Namen Luxman verkaufen wollten“. Luxman war als Edelmarke aufgebaut worden, die nicht beschädigt werden sollte. Dass sich das Blatt bald massiv wenden sollte und quadral selbst als Edelmarke wahrgenommen würde, konnte der Marketingchef noch nicht wissen.
Der spätere Chefentwickler, Helmut Schaper, stand zu dieser Zeit noch bei Revox-Rink in Lohn und Brot, einem Hersteller für Schul-Tonstudios. Wie er im Gespräch mit LowBeats verriet, brannte er schon damals für HiFi und den Boxenbau, aber erst als Revox die Produktion 1979 von Hannover in den Hochschwarzwald verlegte, bewarb er sich bei quadral – eine simple Stellenannonce gab den Ausschlag und er wurde eingestellt.
Ein Glücksgriff für den Lautsprecherhersteller, wie sich bald rausstellen würde, denn von Akustik verstand der Mann viel. Schapers erster Auftrag: Die aq-Serie testfähig machen, denn der Marketingchef wollte nicht nur sexy Anzeigen, sondern gute Presse in den Fachmedien. Helmut Schaper modifizierte die Weiche, so dass die verwendeten Treiber von Ciare und Valvo (Philips) nun optimal aufeinander abgestimmt waren, das Modell mit Hornlautsprecher (aq-7) flog ganz aus dem Programm. Schaper augenzwinkert: „Die aq-7 war beratungsresistent. Die hat nichts mehr angenommen.“
Die Presse besprach die Lautsprecher gut, doch Semmelhaack wollte mehr. Er wollte mit quadral in höhere Sphären aufsteigen, die Boxen-Oberklasse und der Erfolg der „schwarzen Kisten“ spülte genug Geld in die Kasse, um etwas Neues, noch nie dagewesenes zu entwickeln. Der Chefentwickler Helmut Schaper hatte dazu bereits eine Idee im Kopf: Eine Transmissionline-Box bauen. Doch wie bei allen großen Ideen, stieß Schaper zunächst auf Widerstände: „Ich habe das Thema Transmissonline immer wieder in der Firma diskutiert und eines Tages habe ich, ohne noch jemanden zu fragen, einfach angefangen, die zu bauen.“ Immerhin hatte er auch einen wichtigen Fürsprecher: „Anfangs gab es nur eine Person, die dahinterstand, das war Herr Semmelhaack. Für alle anderen war ich ‚Schapers Buddelkiste‘. ‚Der sitzt schon wieder in seinem Sandkasten‘ hieß es dann immer.“
Schließlich ließ man den Chefentwickler in seiner „Buddelkiste“ werkeln. Fast im wahrsten Wortsinne. Ein Jahr forschte, sägte und maß er in seinem „Sandkasten“, bis er nach einem Jahr ein Ergebnis präsentieren konnte. Schaper dachte vieles neu und traute sich was. Er hatte seinen Traum von einem einmal gefalteten Transmissionline-Gehäuse umgesetzt. Damals waren Boxreflexboxen der Hit und heute sind sie (gefühlt) Standard. Transmissionline-Boxen gelten und galten als kompliziert und teuer in der Umsetzung. Allerdings haben sie auch den Vorteil, dass sich der Bass perfekt abstrahlen lässt, die Impulsfestigkeit ist im Idealfall optimal. Sie verwenden den von der Rückseite abgestrahlten Schall des Basstreibers, um diesen für den Tiefbass zu nutzen – das eigentliche Basschassis wird somit entlastet. Der Grund: Die Luftsäule, die in der Line steckt, wird zum Schwingen angeregt. Vereinfacht ausgedrückt funktioniert das wie bei einer Orgelpfeife: Je tiefer der Ton, desto länger muss die Orgelpfeife – beziehungsweise hier die Transmissionline – sein. Schaper hat sich nicht gescheut und neue Maßstäbe gesetzt. Seine Philosophie: „Je mehr ich falte, desto weniger funktioniert die Transmissionline vom Grundprinzip her.“ Also faltete er den Kanal innerhalb des Gehäuses nur einmal und das hat geklappt – bis heute ist die Titan eine Ausnahmeerscheinung bezüglich dieser Umsetzung.
Helmut Schaper zu den Details: „Egal, wie viel ich falte, ich habe bestimmte Problembereiche, die zu einer leichten Welligkeit oberhalb der eigentlichen Resonanzabstimmung führen. In der Regel im Bereich zwischen 40 und 100/150 Hertz. Das konnte ich damals aber relativ gut eliminieren, indem ich Dämmmaterial einfügte.“ Schaper stellte Versuche an und fand heraus: „Wenn ich etwa 100 Prozent Luftvolumen habe, dann reduziere ich das freie Luftvolumen um 20 bis 40 Prozent mit Dämmmaterial, damit verlängert sich rein elektrisch die mechanische Länge der Line, weil innerhalb des Dämmmaterials – physikalisch gesehen – die Schallgeschwindigkeit sinkt. Das habe ich einfach empirisch ermittelt: Wie kriege ich das mit der Einmalfaltung hin, um eine möglichst geringe Welligkeit zu haben?“ Darüber hinaus hatte er einen fünfeckigen Kanal konstruiert, der allerdings nur in der ersten Generation der Titan umgesetzt wurde.
Schaper: „Warum habe ich das bei der Titan 2 nicht mehr gemacht? Ich habe es ausprobiert und habe schlicht und einfach festgestellt, dass zwischen der Theorie und der Praxis ein gewisses graues Feld besteht. Und dieses graue Feld kann ich mit bestimmten Maßnahmen beeinflussen. Mit der Dämpfung, durch die Länge, wie auch immer. Aber unterm Strich konnte ich zwischen einem fünfeckigen Kanal und einem einfachen Kanal keinen Unterschied feststellen. Weder messtechnisch, vom Impulsverhalten, noch vom Hören her. So war ab der zweiten Generation der Kanal nur noch einfach ausgeführt.“
In der Box steckten ein 33er-Bass und ein Mittelton-Konus von Isophon und ein bis dahin nur als externer Lautsprecher erhältlicher Magnetostat von Technics. Ein hervorragender, aber launischer Hochtöner, der schwierig zu händeln war und der von Schaper erst auf Trab gebracht werden musste. Denn für den Einsatz sollte das Beste, was der Markt hergab, eingesetzt werden und das war eben dieser teure Magnetostat, an den sich kein anderer europäischer Hersteller gewagt hatte. Bis 1980. Helmut Schaper dazu: „Dass das Ding problematisch war, habe ich erst dann gemerkt, als ich die ersten zehn Stück hatte. Die Folie des Hochtöners ist auf einen kleinen Alurahmen aufgespannt, dessen Leiterbahn mäanderförmig ist und wenn die Folie nicht zu 100 Prozent verzugsfrei da drauf ist und nicht die richtige Spannung hat, dann kommt da Grütze raus. Ich habe dann aber Methoden gefunden, den Hochtöner einzusetzen, indem wir jedes einzelne Chassis manipuliert, eingemessen, eingerauscht und erst dann in die Box eingebaut haben. Wenn sie dann liefen, dann liefen sie ab zwei Kilohertz fehlerfrei. Aber eben nicht von alleine.“
Somit geriet die Titan I groß, vielleicht nicht ungewöhnlich groß – „Telefonzellen“ gab es auch in den 1980ern schon im Boxenbereich – aber doch überraschend groß. Der Name Titan, war dann schnell gefunden. Semmelhaack: „Als wir damals gemeinsam vor dem ersten Holzmuster aus rohen Spanplatten standen, da war auf einmal der Name da: Titan.“ Auf einen passenden Namen konnte man sich also schnell einigen, und doch waren die ersten Reaktionen des quadral-Teams wenig freundlich. Unisono hieß es, dass die Teile unverkäuflich seien. Semmelhack: „Der Sperrholzschrank, der bei Herrn Schaper in der Entwicklungsabteilung stand, war von der Optik her natürlich vollkommen unverkäuflich. Also haben wir erstmal einen Designer rangelassen.“ Hier kommt nun die eingehend erwähnte Rolle der Frau ins Spiel. Von Haus aus war quadral bereits in der Lage unterschiedliche Holz- und Beiztöne ab Werk anzubieten. Doch das war dem Marketingchef nicht genug, er wollte in Erfahrung bringen, was bei Menschen, die sich zu Hause neu einrichten gefragt war. Das führte ihn zu einem der größten Möbelhersteller in Deutschland, zu Hülsta in Westfalen.
Edmund Semmelhaack: „Ich wollte von Hülsta wissen, welche Oberflächen denn gefragt sind und bin da hingefahren. Der damalige Marketingchef von Hülsta hatte sich richtig Zeit genommen und mir alles erklärt, mich durch die Ausstellung geführt. Und er hat mir einen entscheidenden Begriff vermittelt, WAF – den “Womans Acceptance Factor”. Sein Argument damals: Möbel müssen der Frau gefallen. Nur die Möbel, die der Ehefrau gefallen, kommen in die Wohnung. Das gilt auch für Lautsprecher, leuchtete mir dann ein, auch die sind ein Teil der Wohnungseinrichtung. Und dass besonders ein so großer Lautsprecher wie die Titan Probleme bezüglich des WAF bereiten würde, war uns natürlich von vornherein klar. Also wollten wir die Titan so möbelmäßig‘ aussehen lassen, wie es nur irgendwie ging.“
Ein Designer erhielt somit den Auftrag, das 1,5 Meter hohe, 54 cm breite und 50 cm tiefe Gehäuse in einen WAF-Schrank zu verwandeln. Mission gelungen, denn ein Jahr später gab es für die Titan und die kleinere Schwester Vulkan einen Designpreis. Von Anfang an war Semmelhaack zudem klar, dass es eine Reihe von Modellen von groß bis klein, in verschiedenen Preisklassen, geben musste, diese Reihe erhielt bei quadral den Namen „Phonologue“. Schon im Rahmen seiner Studienarbeit zu BIC America hatte er gelernt, dass der Handel ein Sortiment brauchte, ein einzelner Lautsprecher für einen Fachhändler zu wenig sei. Dieses Wissen setzte er nun auch bei der Phonologue-Reihe ein. So entstanden neben der Titan, die Vulkan, Altan und Montan.
Die Händlerreaktionen waren positiv, endlich waren adäquate Lautsprecher zu den Produkten von Luxman und Micro Seiki erhältlich. Eine Hürde war also genommen. Aber auch die Kunden wurden neugierig: Eine solch stattliche “Männerbox” gab es von den arrivierten, deutschen Herstellern wie Arcus, Braun, Canton, Heco oder MB Quart nicht. Die fielen aus allen Wolken und wurden nervös. Sie ahnten, dass sie einen Trend verschlafen hatten und versuchten, rasch nachzuziehen; die Arcus TL 1000, die Pilot Concorde 1000 und die MB Quart Reference waren Beispiele solcher Versuche. An den Erfolg der Titan sollte keine von ihnen heranreichen.
Natürlich war es für den Erfolg der Firma extrem hilfreich, dass die Titan auch von Deutschlands HiFi-Testern in ihrer ganzen Größe wahrgenommen wurde. Allerdings nicht von allen. Mit der breiten Brust der Titan und dem hohen Händlerzuspruch im Gepäck reisten Schaper und Semmelhaack im Herbst 1981 nach Stuttgart zum damaligen HiFi-Magazin No.1, der Audio. In freudiger Erwartung lieferten sie ein Pärchen Titan ab und hofften – nach einer Woche des Testens – auf ein auf überragendes Ergebnis. Es kam anders. Audio Chefredakteur Hannes Scholten befand die Titan als klanglich zu leichtgewichtig – und ließ zwei ziemlich verdutzte und enttäuschte Männer auf der Straße stehen.
“Schwanz einziehen oder einen weiteren Versuch unternehmen?”, beschrieb Semmelhaack diesen Moment – und entschied sich für einen zweiten Versuch. Die stereoplay war ja unter dem gleichen Verlagsdach und deren Redakteure erkannten sofort die Audio-Fehleinschätzung: Die Titan war einfach zu gut für ihre Zeit. Und weil man damals der Audio in herzlicher Abneigung verbunden war, machte die stereoplay gleich ein richtiges Fass auf: Die Titan wurde aus dem Stand Referenz-Lautsprecher der Spitzenklasse 1. Wir sprechen also von ganz oben. Und sie sollte diesen Status recht lange halten: Sie, aber auch die kleineren Vulkan, Wotan & Co führten über lange, lange Zeit etliche Bestenlisten der stereoplay an.
Doch als Volumenmodell war die Titan eigentlich nie gedacht gewesen. Semmelhaack: „Wir nahmen an, dass wir die Titan nicht in nennenswerten Zahlen verkaufen. Doch mit dem Titel stereoplay-Referenz, wuchs die Nachfrage erheblich, was uns vor logistische Probleme stellte. Ich habe die Lautsprecher zum Teil selber zum Händler gefahren.“ Denn und das wurde bisher noch gar nicht erwähnt: Die Titan war auch preislich ein Hit, sie kostete zum Start „nur“ 8600 D-Mark das Paar.
Bis 1984 wird die Titan I gebaut, dann folgt die Titan II. Helmut Schaper verabschiedete sich von seinem fünfeckigen Kanal (siehe oben) und auch der Hochtöner von Technics wurde ersetzt, dem Mutterkonzern Matsushita (Panasonic) wurde die Produktion zu teuer. Da war guter Rat teuer, doch Schaper wusste sich zu helfen, er hatte ja oft genug Hand an den Magnetostaten gelegt. Schaper: „Da habe ich mit unserem Haus- und Hoflieferanten Ciare angefangen zu überlegen, ob wir so ein Ding selber bauen können. Schließlich haben wir mit Hilfe der Firma Tonegen in Japan (Tonegen Electric, Osaka, OEM-Hersteller von Lautsprechertreibern, heute Foster Electric, Tokio) den 800er quasi kopiert. Jedoch nicht mit einem schweren Ferrit-Magneten, sondern mit Neodym-Stäbchen. Das sah äußerlich zwar genauso aus, war aber so leicht, dass man das Teil keinem Kunden in die Hand geben wollte. Der hätte gedacht, dass sei eine leere Smarties-Box. Bei der fünften Generation haben wir mit Philips zusammengearbeitet. Die hatten eine Technik, wo sowohl das Basismaterial wie auch die Art und Weise, wie sie die Leiterbahn draufgebracht hatten, eine extrem hohe Standfestigkeit gewährleisteten und zudem Hochtemperaturfähig waren.“
Bis 1990 wurden 2.000 Titan verkauft, die Vulkan ging um den Faktor vier mehr über den Ladentisch. Bei den Regallautsprechern waren es sogar über 10.000 Exemplare. Quadral hatte es geschafft, die einst aus der all-akustik geschaffene Marke stand nun für sich selbst, denn 1992 wird aus dem Label quadral das Unternehmen quadral.
Doch der Name quadral wurde nicht nur nur für noble Lautsprecher genutzt, sondern auch für zugekauftes Equipment genutzt. So fand man den Brand auch auf Faxgeräten, Computerzubehör und Satellitenschüsseln. Wie Edmond Semmelhaack erklärte, war dieser Schritt der Wiedervereinigung Deutschlands und der Öffnung osteuropäischer Märkte geschuldet: “Da ist alles gekauft worden, auf dem der Name quadral gedruckt war.”
Im Westen nahm man dies jedoch auch durchaus als Verwässerung der Marke war. Wie auch immer: quadral wuchs. 1992 schloss man sich der stetig wachsenden Surround-Bewegung an, nicht nur durch das Angebot von Dolby-Surround-Kits auch ein eigener Surround-Verstärker wurde gemeinsam mit einem asiatischen Partner entwickelt, der quadral Logic Five. 16 kg, schwer und 3500 D-Mark teuer sorgte er mit 100 Watt Leistung an den Front- und 30 Watt an Center- und Rearlautsprechern für reichlich Dampf. 1994 folgte auch ein kleineres Set aus Receiver und Boxen, der quadral Logic One. Dass der Fachhandel stets ein breites Portfolio von quadral an die Hand bekommt, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte von quadral. Deshalb war auch das Produktportfolio der Hannoveraner immer sehr bodenständig: Phonoloue war das Aushängeschild, aber der Erfolg in der Breite fand in der Mittelklasse bei Serien wie Rondo oder Argentum statt.
Und es gab auch Rückschläge: Ein großer Faktor beim Umsatz für all-akustik/quadral war die Marke Fuji, ein japanischer Hersteller für Audio- und Videokassetten, dessen Vertrieb sich die all-akustik neben Sansui in den 1980ern gesichert hatte. Tapes waren in den 1980er und 1990er-Jahren ein absoluter Verkaufsrenner. Zu dieser Zeit hatte quadral über 200 Mitarbeiter, allein mit Kassetten setzte das Unternehmen 80 bis 100 Millionen D-Mark jährlich um. Dann wurden sie Opfer des eigenen Erfolgs. Semmelhaack: „Der Kassettenmarkt war ungemein erfolgreich: ein Massenartikel, ein Verbrauchsartikel. Leider entschlossen sich die Fuji-Kollegen 1995 dazu, den Vertrieb selbst zu übernehmen. Das war mit allen Sachen, die wir als Import machten immer so. Das war bei Luxman so, das war bei Sansui und weiteren Marken so. Immer wenn wir zu erfolgreich waren, dann übernahmen die Asiaten den Vertrieb selbst.“
Erstmal in seiner Geschichte musste quadral schrumpfen, statt wachsen. Semmelhaack: „Die Firma hat immer von der Breite gelebt, wir hatten ein breites Sortiment und die Kosten hatten sich immer auf alle Marken verteilt. Das war auch ein Grund, weshalb wir bei den Lautsprechern immer sehr attraktive Preise machen konnten. Der Lautsprecher allein musste nicht die gesamte Verwaltung und auch nicht den gesamten Vertrieb tragen.“
Ein weiterer Einbruch erfolgte in den 2000er-Jahren. Quadral hatte dank seines Invests in Surround die MP3-Welle recht unbeschadet überstanden, doch dann kam der Import von TV-Geräten. Ein neues Segment. Die chinesische Marke Hisense wurde für Deutschland aufgebaut. Rückblickend gibt Edmund Semmelhaack zu, wurde sich zu viel um die neue TV-Marke gekümmert und zu wenig um das Kerngeschäft, die Lautsprecher: “Das Thema quadral ist in dieser Zeit ein bisschen unter die Räder gekommen, bis dann, als die Marke gut angenommen war, nun die Chinesen ‚Vielen Dank für eure Vorarbeit‘ sagten und den Vertrieb selbst übernahmen. Da stand dann damals die Firma ohne das Beiwerk von Elektronik da, es war nur noch der Lautsprecher übrig.“
Helmut Schaper hatte da das Unternehmen aus privaten Gründen bereits verlassen. 2006 erschien die umstrittene Titan VII, für deren Akustik der bekannte Lautsprecherentwickler Bernd Starck (später Burmester) verantwortlich zeichnete – jedoch nicht für die Optik. Ein Pyramidenstumpf mit dickem Bauch und Längsstreben vor dem Bass, von WAF keine Spur.
Es kriselte im Unternehmen und unter den Mitarbeitern. Auch Sascha Reckert, der von 2004 bis 2006 in der Lautsprecherentwicklungsabteilung tätig war, verließ die Firma. Zitat: „Es war damals nicht klar, wo es mit quadral hingehen würde, welche Schwerpunkte gelegt werden. Aber als es 2009 eine Umstrukturierung im Management gab, neue Ideen, neue Produkte, da gab das bei mir den Ausschlag da mitmachen zu wollen.“
Es war Edmund Semmelhaack, der noch einmal Gas gab. Er setzte sich mit den Altgesellschaftern zusammen und fragte, ob sie an einer Neustrukturierung interessiert waren. Waren sie, was auch bei der Kreditgebenden Hausbank Vertrauen erweckte. Semmelhaack: „Mit Hilfe der jungen Generation, haben wir quadral innerhalb von einem Jahr wieder flottbekommen. Mit neuen Ideen, mit neuen Produkten und einer ganz engagierten Mannschaft.“ Der „Alte“ hatte es also wieder geschafft, den Laden auf Trab zu bringen. Es entstanden neue, Design-orientierte Produkte, wie die schlanke Chromium-Style mit Bändchenhochtöner. Eine neue Aurum-Serie und auch eine neue Titan kam auf den Markt, die Titan VIII.
Man setzte nun die Titan VIII und die spätere Titan IX auch bei Vorführungen im Heimkinobereich ein, mit Erfolg, denn so Semmelhaack: „Wenn die dann vorne neben einer 3,5 oder 4 Meter breiten Leinwand gestanden hat, dann wirkte die gar nicht mehr so groß. Aber sie machte zum großen Bild einen ganz geilen Klang. Auf Anraten eines großen Heimkinohändlers haben wir die Titan auch noch in einen Centerlautsprecher verbaut. Damit links, rechts, Mitte auf einem Niveau spielten. Das Thema Heimkino ist für quadral in diesen Jahren ein ganz wichtiger Teil unseres Umsatzes gewesen.“
Auch eine neue Elektronikreihe wurde in Auftrag gegeben. 2009 gab quadral den Startschuss für die Entwicklung von Verstärkern und CD-Playern bei Stephan Rath von Meracus. Ab 2012 gab es dann feinstes High-End unter dem Namen Aurum. Leider wurde das Engagement in diesem Segment gestoppt, nachdem man die Vertriebsrechte von Advance Acoustics (Frankreich) bekam. Schade, die Aurum-Geräte waren richtig gut.
2016 übergab Edmund Semmelhaack die Unternehmensleitung, nach genau 40 Jahren Firmenzugehörigkeit. Er blieb noch bis 2020 Gesellschafter in beratender Position, bis er endlich seinen Schreibtisch gegen den Wohnzimmersessel tauschen konnte. Nun hat er auch endlich Zeit zum Musikhören, oder er unterstützt Helmut Schaper beim Aufbau des norddeutschen HiFi-Museums, das wirklich einen Besuch wert ist. Wenig überraschend findet man dort auch eine Quadral Titan…
Die Geschichte von quadral ist hier aber noch nicht zu Ende, auch wenn das Unternehmen 2020 von dem österreichischem Unternehmen Loxone übernommen wurde, das sich auf den Bereich Haus- (oder Hotel-) Automation und -Ausstattung konzentriert hat. Doch Quadral-Geschäftsführer Volker Schwerdtfeger, mit dem wir nach der Gesprächsrunde im LowBeats Büro noch ein Telefon-Interview führten, bestärkt den jetzigen Kurs. Schwerdtfeger: „Wir sind ein HiFi-Unternehmen und das werden wir auch bleiben – als quadral. Das zeigt sich auch daran, dass wir bereits zwei neue HiFi-Serien herausgebracht haben – die Signum- und die Chromium Style. Das wird sich auch weiter daran zeigen, dass wir noch eine neue Aurum-Serie bringen werden – die zehnte Generation sozusagen.“
Wachsen wird quadral nach seiner Meinung auch im Smart-Homebereich, ein Segment, indem sich der Mutterkonzern Loxone etabliert hat. Schwerdtfeger: „Wir haben nun den großen Vorteil, einen starken Partner im Rücken zu haben. Kleines Beispiel: Seit Jahrzehnten sind wir im alten Herrenhäuser Bahnhof untergebracht. Der hat natürlich seinen Charme, aber viele, viele Limitationen. Mit Loxone haben wir bereits mit dem Bau einer optimalen Firmenzentrale nicht weit weg von hier begonnen. Dort haben wir dann perfekte Schulungs-, Ausstellungs-, aber auch Hörräume. Also einfach viel Platz, der uns immer gefehlt hat.”
Und Sascha Reckert ergänzt: “Loxone hat bereits ein gut funktionierendes, smartes Multiroom-System, auf das wir hin entwickeln können. Das heißt, man installiert die Lautsprecher im Loxone-System und hat nun HiFi voll integriert. Das können wir sehr zielgerichtet machen und das wird definitiv ein Teil unserer Strategie sein: HiFi anzubieten, mit dem Benefit, immer ins System einbindbar zu sein. Die Grundlage wird aber immer der passive Lautsprecher sein, den ich an einen Verstärker anschließe.“
Die zehnte Aurum-Generation soll voraussichtlich 2023 erscheinen. Zwei Dinge verriet Sascha Reckert schon vorab: Technisch wird es mal was ganz anderes. Sie wird natürlich schön und gut sein – also eine ordentliche Portion WAF in Bezug auf die Jetzt-Zeit mit sich bringen. Ob es aber auch tatsächlich eine neue Titan geben wird, da ließ sich Entwickler Reckert noch nicht in die Karten schauen: “Wir haben uns noch nicht entschieden, haben ja aber alle Möglichkeiten…”
Zu dem Kaffeekränzchen im LowBeats Büro brachte Semmelhaack einen kleinen Teil seines Archivs mit. Hier ein kleiner Eindruck per Bewegtbild:
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