Moderne Vollverstärker können deutlich mehr als einfach “nur” Stereosignale verstärken und managen. Ein Vollverstärker, der besonders viel kann, ist der Lyngdorf TDAI-3400. Er lockt beispielsweise mit einer höchst anspruchsvollen Raum-Einmessung (RoomPerfect) und einem so umfassend modularen Aufbau, dass es jedem möglich wird, sich seinen perfekten Verstärker “maßzuschneidern”.
Der schicke Hightech-Amp stellt im Grunde die neueste Evolutionsstufe des schon gut 20 Jahre alten Tact Digitalverstärkers dar, der damals seiner Zeit weit voraus war: mit digitaler Raumkorrektur und Schaltendstufe. Mittlerweile wurde aus Tact Lyngdorf Audio, aber auch der Urenkel-Verstärker basiert noch immer auf den gleichen Ideen. Nur ist halt heute alles auf dem neuesten Stand.
Das Konzept des Lyngdorf TDAI-3400
Der Lyngdorf TDAI-3400 ist eine komplett digital arbeitende Maschine, die entsprechend primär auch digitale Eingänge beziehungsweise Netzwerkschnittstellen bietet. In der Basis-Version – Stichwort: modularer Aufbau – gibt es nur zwei analoge Cinch-Eingänge, das war’s. Die Lautsprecherklemmen beschicken 4-Ohm-Lautsprecher mit bis zu 400 Watt Energie, bei 8 Ohm genau die Hälfte. RS-232 und Trigger erlauben eine Fernsteuerung.
Optional kann man den TDAI-3400 aber mit einem HDMI-Modul ordern, das dann auch Videogeräten Zugang und Umschaltmöglichkeiten bietet. Der HDMI-Ausgang integriert einen Audio-Return-Channel (ARC), welcher den Ton vom Fernseher in die Anlage bringt. Nachrüstbar ist eine Analog-Eingangsplatine, mit drei weiteren Cinch- und einem XLR-Stereo-Eingang. Die neueste Variante dieser Platine, die zum Test noch nicht bereit stand, ersetzt einen Line- durch einen Phono-MM-Eingang.
Die digitalen Anschlüsse bieten ein paar Besonderheiten. Klar sind die Cinch- und Toslink-Anschlüsse für SPDIF dabei. Professionellere Geräte finden einen AES/EBU-Eingang und Fans von Computer-Audio können via USB-Audio den Dänen als externe Soundkarte anmelden. Etwas seltener ist der Digital-Ausgang mit SPDIF zu externem D/A-Wandler, falls gewünscht. Dazu kommen USB-Buchsen vorne und hinten für Sticks und Festplatten.
Ungewöhnlich, aber praktisch ist der Einschub-Schacht für SD-Karten zum Backup aller Parameter. Streaming via DLNA und Roon und den Diensten Spotify und vTuner sowie die Steuerung per App oder Webinterface erledigen Ethernet-LAN-Kabel oder WLAN ohne sichtbare Antenne.
Die Verarbeitung des zeitlosen Industriedesigns ist der Preisklasse entsprechend robust, präzise und beinahe perfekt. Alle Schrauben sind absolut bündig, die Oberflächen super. Doch auch der Lyngdorf TDAI-3400 ist nicht ganz makellos: Die Stecker-Führung der Front-USB-Buchse sticht optisch heraus und der dazugehörende Gummistopfen verdeckt sie nur unvollständig. Dafür gefällt das riesige, kirstallklare und aus Metern Entfernung noch gut ablesbare Matrix-Display.
Die schlanke Fernbedienung wirkt edel und ist praktisch, weil sie sowohl Infrarot als auch Bluetooth verwendet. Haben sich Handgeber und Verstärker einmal per Bluetooth gefunden, ist es egal, wohin man mit der Fernbedienung zeigt, alle Funktionen gehen daher auch, wenn es durch eine Schranktür oder aus dem Nachbarraum keine Sichtverbindung zwischen Amp und FB gibt.
Mit zum Lieferumfang gehören ein professionelles Messmikrofon für die RoomPerfect Raumeinmessung und löblicherweise auch ein ausgewachsenes Mikrofonstativ, um das Mikrofon auch präzise und entkoppelt positionieren zu können. Die umfangreichste und übersichtlichste Kontrolle über alle Detail-Einstellungen erhält man, wenn man das Webinterface verwendet.
Zum alltäglichen Benutzen werden die meisten User sicher zur Fernbedienung oder der App greifen. Die bietet auch am ehesten Look & Feel des physischen Gerätes inklusive des riesigen Lautstärke-Drehreglers mit “Schwungmasse” und entsprechendem Nachlauf. Die App zeigt auch Streaming-Info zum laufenden Titel oder Radiosender, sobald man aber auf das Symbol zur Konfiguration tippt, öffnet sich das Webinterface. Einige Impressionen zur Bedienung hier in der Slideshow:
Die Konfigurationsmöglichkeiten können sich wirklich sehen lassen. Eingänge lassen sich zuordnen, umbenennen, in Pegel und Klang-Voreinstellung anpassen und sogar für Videoausgabe verzögern, um Lippensynchronität herzustellen.
Hilfreich: Bei der Erstinbetriebnahme erscheint ein ausführlicher Fragenkatalog zur Konfiguration und konfiguriert die komplexe Maschine praktisch von selbst.
Was diesen Verstärker so flexibel macht, ist die Möglichkeit, frei definieren zu können, was man mit den analogen Hochpegelausgängen macht. Man kann sie als “normale” Vorverstärker-Ausgänge konfigurieren oder eben auch ein vollwertiges Bassmanagement mit einem oder zwei Subwoofern konfigurieren. Der Vorteil des Lyngdorf TDAI-3400: Man kann alle Paramter, also von der Signalzuordnung über die Filtercharakteristik und -Flankensteilheit, bis Pegel und Verzögerungen frei einstellen. Der Nachteil: man muss es wirklich alles “zu Fuß” machen; der Prozessor erlaubt diesbezüglich keine Auto-Konfiguration wie man sie von modernen AV-Receivern her kennt.
RoomPerfect: Einmessung und Klangtuning
Mit der hauseigenen RoomPerfect Prozedur ist das Einmessen auf den Raum leicht verständlich und führt den Anwender in fünf Schritten zum Ziel. Das Messmikrofon wirkt im Vergleich zu den Joghurtbechern, die man bei den meisten AV-Receivern im Beipack bekommt, professionell und robust. Das XLR-Kabel reicht auch quer durch sehr große Räume und selbst der notwendige Adapter auf Miniklinke ist gut verarbeitet.
Das Standard-Prozedere sieht wie immer eine möglichst exakt am Stammhörplatz positionierte erste Messung vor, die heißt hier “Focus Position”. Anschließemd sollen nach Anleitung mehr oder weniger zufällige Positionen im Raum gemessen werden, auch nahe bei, aber nie direkt an Grenzflächen – also Wänden, Ecken oder Böden. Nach jeder Messung meldet RoomPerfect, wie gut sein “Room Knowlegde” jeweils ist, wie gut also der Raum erfasst sei. Gesagt, getan.
Meine ersten praktischen Versuche im akustisch optimierten LowBeats Testkino fanden mit den großen Vollbereichs-Standlautsprechern Heco CelanGT 902 statt. Für mich nicht ganz nachvollziebar, versucht das RoomPerfect die typische Auslöschung im Bass durch die Reflexion an der Rückwand “aufzufüllen”, was ja ein Ding der Unmöglichkeit ist. Fast 15 Dezibel verstärkt er in diesem Bereich – wie sich nachmessen lies. Entsprechend polternd klang der Bassbereich dann auch und zum Glück kann die Heco ein Pfund Energie wegstecken…
Die Endstufe und die Tieftöner jedenfalls hatten gut zu schaffen. Ich wiederholte die Einmessung und hielt Rücksprache mit dem Vertrieb. Im Detail der Messungen erkennt man auch, dass RoomPerfect sogar versuchte, die Erstreflexion des Fußbodens im Grundton zu kompensieren. Irgendwie kommt das System nicht gut mit meinem Raum zurecht.
Besser klappte das, wie mir der Vertrieb aus eigener Erfahrung bei Kunden bestätigte, wenn man sich nicht an die Anleitung hält und stattdessen nur eine “Focus Position” und wenige Messpunkte der direkt benachbarten Sitzpositionen kombiniert. So klang es wesentlich homogener und aufgeräumter, das Gepolter verschwand. Übrigens: Übersteuerungen bei Verstärkungen im Equalizing verhindert der Lyngdorf mit einem automatischen Limiter ganz vorbildlich.
Das klanglich beste Ergebnis aber lieferte der Versuch mit den kleinen Heco CelanGT 302 Kompaktlautsprechern plus potentem CelanGT Sub 322 Subwoofer. Konfiguriert auf 80Hz Trennfrequenz mit manuell angepasstem Pegel und Laufzeit wurde dann RoomPerfect darüber eingemessen. Dieses macht wie zuvor eine reine zweikanalige Über-Alles-Korrektur, keine separate Behandlung des Subwoofers. Das ergab nun wirklich einen ausgewogenen Klang – unabhängig davon, ob per Gehör oder per Messung.
Einer der Gründe, warum es nun so überlegen klang, war sicherlich der Umstand, dass ich in dieser Konfiguration den Subwoofer für die Basswiedergabe von vornherein günstiger positionieren konnte. Es ist meine alte These: Satellit plus Subwoofer lösen Probleme, die sich mit Vollbereichslautsprechern oft nicht in den Griff bekommen lassen.
Der Einmessvorgang von RoomPerfect ist vollautomatisch und die Korrekturen sind nicht weiter editierbar. Das und auch alle geschmacklichen Korrekturen regelt bei Lyngdorf ganz pfiffig das sogenannte “Voicing”. Hier sind gut ein Dutzend sinnvolle Frequenzgangskurven gelistet, die mit der automatischen Korrektur der Messung kombiniert werden. Man kann das “Voicing” in einem übersichtlichen Editor mit je acht parametrischen Filtern sehr weitreichend und gleichzeitig sehr exakt justieren. Es lassen sich vorhandene Voicings modifzieren und sogar eigene neue anlegen und benennen. Ein mächtiges Werkzeug. Damit ließe sich selbst die dramatische Überkompensation des ersten RoomPerfect Versuchs “reparieren”.
Der Lyngdorf TDAI-3400 im Hörtest
Doch genug Technisches. Einmal eingemessen und konfiguriert bedient sich der Lyngdorf TDAI-3400 kinderleicht. Quelle wählen, laut/leise drehen, viel mehr braucht es nicht. Gerne mal das Voicings umschalten. Ob man nun lieber die Regler am Gerät, die Fernbedienung, die App oder ein Webinterface benutzt, ist reine Geschmacksache. Wer Spotify, vTuner, lokales Streaming via DLNA oder Roon benutzt, hat das Maschinchen ohnehin darüber bereits im Griff, inklusive automatischer Eingangswahl.
Ein klanglicher Vergleich der Eingänge und Signalarten zeigte, dass zum einen das HDMI-Board überraschend gut klang und weniger in der Qualität abfiel, als beispielsweise von AV-Receivern gewohnt. Ein Beleg für gutes Entfernen von HDMI-typischem Jitter. Die digitalen Audio-Eingänge gaben sich nicht viel und das analoge Edelbord mit den zusätzlichen Cinch- und XLR-Eingängen ist audiophil eine in der Tat lohnende Investition, denn die zwei serienmäßigen Cinch-Pärchen klangen im Vergleich etwas nüchtern.
In Sachen Lebendigkeit lag DLNA-Streaming vom lokalen Server noch vor dem USB-Audio-Eingang, wenig überraschend getoppt vom Zuspielen via Roon mit dem RAAT-Protokoll. Roon ist denn auch der einfachste Weg, exotisches Material wie DSD zuzuspielen. Denn prinzipbeding kann ein Signalprozessor mit digitalen Filtern nur PCM verarbeiten. Und Roon konvertiert in Echtzeit klanglich ganz hervorragend.
Das Lyngdorf Team scheint die Filter für RoomPerfect verbessert zu haben. Denn entgegen früheren Erfahrungen mit diesem System, ließen sich dieses Mal kaum noch Dynamikeinbußen oder eine abgeflachte räumliche Abbildung zwischen RoomPerfect-Wiedergabe und Bypass ausmachen. Das spricht klar für die Qualität der Filter. Gleiches gilt für die “Voicings”. An der eigentlichen Qualität der Wiedergabe wie Feindynamik und Reichtum an Klangfarben machten “Neutral” (keine Korrektur) und verschiedene Voicing Varianten keinen Unterschied, nur die tonale Balance änderte sich wunschgemäß. Genauso soll das sein.
Nachdem die Wiedergabe bei derlei variablen Geräten nun aber prinzipbedingt sehr vom Kalibrieren und der jeweiligen Konfiguration abhängt, ist eine Charakterisierung schwierig, kann man doch fast jeden Geschmack auf Knopfdruck bedienen. Ob man es nun ausgewogener, klarer oder fülliger mag: Der Lyngdorf macht dank Voicing Filtern fast alles möglich.
Was bleibt, sind der sehr geschmeidige Grundcharakter und die vor allem in der Breite gestaffelte Raumabbildung. Hinzu kommt ein tendenziell eher dunkles Timbre, das aber auch für angenehm warme Klangfarben verantwortlich zeichnet. Im Hochton bildet der TDAI-3400 selbst sehr feine Texturen ab, klingt dabei aber überraschend sanft und nie harsch. Der Bass profitiert von den für den Alltag praktisch unendlich potenten Schaltendstufen, die sehr kontrolliert auch störrische Tieftonmembranen in die gewünschte Position schieben.
Fazit: Ein audiophiler Streaming-Vollverstärker
Der Lyngdorf TDAI-3400 verkörpert modernes, digitales High End, wie es im Buche steht. Dabei erfüllt er audiophil keineswegs “digitale Stereotype”: Er klingt im Gegenteil tendenziell eher sanft, geschmeidig und fein, fernab aller Vorurteile. Dabei hat er mächtig Kraft mit bis zu 2x 400 Watt und gute Kontrolle mit seinen Endstufen.
Die Hardware im geometrisch klaren Industriedesign ist bestens verarbeitet und das Bedienkonzept mit Bluetooth-Fernbedienung, App und Webinterface auf der Höhe der Zeit. Praktisch alle analogen und digitalen Schnittstellen dieser Welt von HDMI über Toslink bis USB, von DLNA bis RAAT sind vorhanden; wer hier kein Signal bekommt, ist selbst schuld.
Die automatische Einmessung per RoomPerfect erwies sich im ersten Moment etwas zickig. Doch wenn man weiß, wie man mit Filtern umzugehen hat und erst recht, wenn man einen oder zwei Subwoofer verwenden möchte, bekommt man hier eine paradiesische Spielwiese mit allen Freiheitsgraden für perfekten akustischen Feinschliff. Für Anfänger ist das allerdings nichts, die müssen sich einen Händler oder Kumpel suchen, der den Lyngdorf TDAI-3400 für sie einrichtet. Doch einmal fertig, ist die Handhabung im Alltag kinderleicht und der reine Genuß.
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Hohe Leistung, geschmeidiger Klang |
| Bluetooth-Fernbedienung, App, Webinterface |
| Modularer Aufbau, zeitloses Design, präzise verarbeitet |
| Konfigurierbare Ausgänge inkl. Bassmanagement |
Vertrieb:
DREI H Vertriebs GmbH
Stormsweg 8
22085 Hamburg
Deutschland
www.3-h.de
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Lyngdorf TDAI-3400: 4.999 Euro
mit HDMI integriert: 5.399 Euro
optionale Analog-Eingänge: 400 Euro
Ebenfalls mit Streaming und Raumeinmessung oder Bassmanagement:
Test: Denon DRA-800H Stereo-Receiver mit HEOS Streaming/Multiroom
Test: Nubert nuControl und nuPower D Vor-/Endverstärker-Kombi
Test Trinnov ST2-HiFi: die Raumkorrektur-Sensation