Der Röhrenspezialist Canor hat gerade einen Lauf: Gleich, was die Slowaken anfassen, wird zu audiophilem Gold. So auch geschehen mit dem neuen Vollverstärker Canor I2.
Man muss vorwegschicken, dass dieser Vollverstärker eine fantastische Grundlage hat: Der neue Canor Virtus I2 basiert zu 100% auf dem AI 1.10 und ist vom Vorgänger kaum zu unterscheiden. Zur Erinnerung: Der AI 1.10 bekam vom Kollegen Bernhard Rietschel nach dem Test die höchsten Weihen zugesprochen. Rietschel schloss sein Fazit mit den Worten: “Jedenfalls kenne ich zu dem Preis dieses Amps nichts Besseres, Schöneres und Unkomplizierteres.” Höchstes Lob aus berufenem Mund.
Nun sitze ich also vor dem Virus I2 und bin auf der Suche nach Unterschieden zum AI 1.10: Ein sehr ähnliches, wuchtiges Gehäuse mit denselben Abmessungen, der gleiche auffällige Drehknopf auf der Front und das nicht zu übersehenden Display. Auch beim Anheben ist kein Unterschied festzumachen: 26 Kilo hier, 26 Kilo dort. Und auch bei der Leistung ist beim teureren Virtus I2 kein einziges Wättchen (Leistung des I2 wie des AI 1.10: 2 x 40 Watt) hinzugekommen. Sollte der Neue einfach nur durch eine Namens-Änderung für eine Preisanpassung – wir reden immerhin von einer Verteuerung um 1.800 Euro – herhalten?
Sagen wir es einmal so: Der Virtus I2 ist dem AI 1.10 noch so ähnlich, dass der großartige (und sehr ausführliche) Beitrag des Kollegen Rietschel auch für den Virtus I2 eine Gültigkeit hat.
Auf der anderen Seite schätze ich die Canor Leute (ich war ja mal für 2 Tage vor Ort) so weit für ihre Bodenständigkeit und Seriosität, dass ein Etikettenschwindel hier nicht zu erwarten ist. Ivan Bosnovic ist der internationale Vertriebsmann der Slowaken und so etwas wie deren Sprachrohr. Er sagt zum neuen Verstärker: “Als Erstes haben wir das Gehäuse neugestaltet, so dass der neue Virtus I2 viel besser aussieht.” Hm, das ist mir jetzt nicht sofort aufgefallen, aber auf den zweiten Blick dann doch: Der Virtus I2 ist natürlich noch als Mitglied der Canor-Familie zu erkennen, aber an den Ecken und Kanten wurde gefeilt. Tatsächlich ist der neue Entwurf harmonischer.
Noch etwas schwerer wiegt der Line-Out (Cinch), mit dem der neue Virtus I2 im Bedarfsfall externe Endstufen ansteuern kann.
Allerdings haben die Slowaken außer ihrer Referenz-Monos Virtus M1 keine Endstufen im Programm. Wer dennoch eine Leistungs-Verdoppelung auf exakt gleichem Niveau (etwa für Bi-Amping) anstrebt, kauft einen zweiten Virtus I2 und degradiert ihn mit Hilfe der pfiffigen Master/Slave-Schaltung zur Mono-Endstufe mit 80 Watt. Wessen Vorstufe der beiden Virtus I2 dann genutzt wird, steht dem Besitzer offen. Doch dieses Feature hatte auch der AI 1.10 bereits. Was also ist technisch wirklich neu?
Die Neuerungen beim Canor Virtus I2
Zunächst einmal die Hauptplatine. Die Entwickler bei Canor haben heute mehr Möglichkeiten und ein größeres Wissen als während der Entwicklungszeit des AI 1.10. Von einem noch gezielteren Einsatz von SMD-Bauteilen und von einem noch weniger Widerstand-belasteten Signalweg ist die Rede. Ich kenne das schon von vielen anderen Produkt-Updates: Man sieht fast nichts und trotzdem klingt gerade dieser Punkt deutlich besser.
Beim neuen Virtus I2 kommt nun aber auch noch eine restlose Abschirmung in Form einer soliden Edelstahlabdeckung des Eingangstransformators hinzu. Auch die Ausgangsübertrager wurden komplett neugestaltet – was den Slowaken lockerer von der Hand geht als den meisten anderen Röhren-Anbietern, denn sie haben ein eigenes Wickelwerk. Folgt man Bosnovic, haben diese neuen Ausgangstrafos mit am deutlichsten zur Klangverbesserung geführt.
Und dann ist da halt noch der Erfahrungsschatz, den die Canor-Leute bei der Entwicklung der Virtus M1-Mono-Endstufen gewonnen haben. Vor allem die Erkenntnis, dass es nicht allein auf eine geniale Schaltung ankommt, sondern dass auch die Mechanik wesentlich auf den Klang einwirkt. Also haben sie das Gehäuse des AI 1.10 intensivst auf Resonanzen untersucht und dann mit verschiedenen, Vibrations-hemmenden Kunstgriffen das Gehäuse auf Virtus-Niveau gehievt.
Bewährtes in verbesserter Umgebung
Wer die durchweg unproblematischen Komponenten von Canor kennt, der ahnt, dass auch der neue Vollverstärker keine Diva sein wird. Und er ahnt ebenfalls, dass die Röhrenbestückung aus ganz normalen, supergut verfügbaren Röhren besteht: Wir finden eine Doppeltriode des Typs 12AX7 als Eingangsstufe und zwei weitere Doppeltrioden vom Typ 12AT7 als Treiberröhren. Die Leistungsverstärkung erfolgt pro Kanal mit einem Paar der ebenfalls sehr gewöhnlichen Tetrode KT88.
Chef-Entwickler und Canor-Mitbesitzer Zdenek Brezovjak weiß über Röhren alles – auch über exotische. Doch angesprochen auf die KT88 kommt er ins Schwärmen: über ihre Universalität, ihre Robustheit, ihre Langlebigkeit und nicht zuletzt über die gute Verfügbarkeit und das exzellente Preis-/Leistungsverhältnis.
Bei einem Besuch im Canor-Werk zeigen die Slowaken gern, welchen Aufwand sie um die Röhren treiben: jede KT88 wird mindestens 200 Stunden eingebrannt, dann gemessen und diese Ergebnisse dokumentiert und archiviert. Der Hintergrund ist folgender: Die Röhren (die sich ja immer leicht unterscheiden) werden für den perfekten Klang immer paarweise selektiert. Geht mal eine kaputt, wird in der Dokumentation nachgeschaut und der Besitzer bekommt eine Ersatzröhre, die der kaputten sehr, sehr ähnlich ist. Ich kenne nur wenige Firmen, die einen solchen Aufwand treiben.
Praxis
Nach dem Einschalten vergeht eine knappe Minute, dann steht der Virtus I2 vollständig zur Verfügung. Dimmt man das Display nicht komplett, sind die eingeschalteten Funktionen sehr gut lesbar.
Auch die Endstufe des Virtus I2 läuft in reinem Class A, um Übernahmeverzerrungen zwischen den Gegentakt-Hälften zu vermeiden. Gleichwohl wird der neue Canor nicht sonderlich warm, aber ein zweites Gerät oben draufstellen ist trotzdem (eigentlich immer) eine schlechte Idee – allein schon wegen des Wärmestaus.
Mit seinen 40 Watt pro Kanal (sowohl an 4- als auch an 8-Ohm-Lautsprechern) bietet er zwar keine üppige, aber in den meisten Fällen doch ausreichende Kraftfülle. Die schiere Wattmenge wird eh meist überschätzt, weil wir in der Regel ja nur im überschaubaren Pegelbereich hören. Aber natürlich kommt man dem Virtus I2 entgegen, wenn der Lautsprecher einen gehobenen Wirkungsgrad, also reale 88 Dezibel pro Watt/Meter (die Katalog-Angaben der Hersteller liegen meist deutlich über der Realität) oder mehr. Wir machten die meisten Hörtests mit der FinkTeam Borg und den neuen Thorens Schallwänden HP600. Vor allem die Thorens sind echt laut – das passte also richtig gut.
Die Anschlüsse am Canor Virtus I2 sind – wie bei fast allen Röhren-Amps überschaubar: 5 x Hochpegel (Cinch) plus ein Vorstufen-Ausgang (ebenfalls Cinch). Die XLR-Zugänge sind für den Kontakt mit einem weiteren Virtis I2 zuständig, wenn der Besitzer ein Bi-Amping-Modell fahren will.
Ganz kurz angesprochen werden muss noch die Möglichkeit zur Betriebsart-Umschaltung: Triode oder Ultra-linear? Wer mehr auf den warmen “smoothen” Röhrenklang steht und Wirkungsgrad-starke Lautsprecher sein Eigen nennt, wird wahrscheinlich immer die Trioden-Einstellung wählen, obwohl dabei sich die Leistung in etwa halbiert. Dafür erhält man ein Signal, das ausschließlich mit geradzahligen Oberwellen klirrt – für unser Ohr also überwiegend “schön” klingt. Aber man sollte nicht voreingenommen sein. Tatsächlich hörten wir überwiegend im Ultra-linear-Modus, weil der durch einen Kunstgriff eine Art lokale Gegenkopplung darstellt und hörbar mehr Durchzug und Agilität zeigt. Es ist tatsächlich eine reine Geschmacksfrage zwischen zwei recht unterschiedlichen Klangcharakteristika. Ich sage mal lapidar: Schön, wenn man bei Bedarf umschalten kann…
Hörtest
Wir hatten den AI 1.10 für einige Wochen im Hörraum, wir haben die große Hyperion- Vor-/Endstufen-Kombination seit Monaten als Referenz: Die Erwartungen waren also sehr groß, zumal sich selbst die zurückhaltenden Slowaken ziemlich stolz auf ihren auf Virtus-Niveau gesetzten Vollverstärker zeigten.
Was vor allem die größeren Canor-Verstärker immer auszeichnet, ist diese völlig lässige Kraftentfaltung. Und auch der Virtus I2 schüttelt seine Leistung absolut unberührt-schnell aus den Röhren. Viele andere Röhren-Amps klingen schön, weich, zart und vielleicht etwas mollig. Auch der Virtus hat diese zarten und schönen Momente. Aber er kann auch dynamisch und und unverblümt druckvoll. Als HiFi-Fan ist ja man immer auch der Suche nach jenen Komponenten, die besonders dicht am “Echten” sind, den Ton einer Geige besonders genau treffen, Gitarrensaiten ganz leicht ausschwingen oder Stimmen eben noch ein bisschen natürlicher klingen lassen.
All das macht der Canor Virtus I2 in Perfektion. Hätte ich ihn nicht gegen die große Referenz-Kombination der Slowaken gehört, hätte ich gesagt: es geht kaum besser. Doch die drei Zentner-schweren Vor- und Endstufen haben dann doch noch mehr Souveränität und Ausdruck. Bei kleineren und normalen Pegel aber ist der Vollverstärker schon ganz schön dicht dran…
Ich hatte leider keine Möglichkeit, den AI 1.10 gegen den Virtus I2 zu hören, also musste ich über Bande spielen: Den AI 1.10 hatte vor wenigen Monaten mal im Vergleich zu einem Luxman L-507Z, aber auch zu unserer Vollverstärker- Referenz, dem Westend Audio Monaco, hören können. Gleiches tat ich nun mit dem Virtus I2.
Der Luxman ist ja der Vorbote einer neuen Serie (Z), die etwas heller klingt und kerniger auftritt, als die Modelle davor. Mit ihm klangen die Aufnahmen agiler, ein Stückweit präsenter und letztendlich war – vor allem bei elektronischer Musik – sein deutliches Mehr an Leistung durchaus spürbar.
Der Canor dagegen gibt sich feinsinniger. Obwohl er weniger Energie in Mitten und Höhen hat, lässt er die Obertöne feiner entstehen und wieder ausklingen. Der Luxman ist ein fantastischer, präzise-natürlich klingender Verstärker, aber der Canor ist noch vielschichtiger, schafft mehr Abstand zwischen den Instrumenten und zeichnet die Abbildungslinien feiner und genauer nach. Beim Vergleich von L-507Z und AI 1.10 war mir dieser Vorteil in den Mitten so nachvollziehbar nicht aufgefallen.
Der Monaco von Westend Audio ist ebenfalls ein Röhren-Verstärker und hat allein schon deshalb gewisse Vorteile bei der Natürlichkeit in den Mitten. Aber der Monaco ist zudem ein äußerst präzise, offen und kraftvoll auftretender Vertreter seiner Art. Einen schummelnden Schmusekurs wird man mit ihm nicht erleben: Er bietet die volle Pracht und Durchsetzungsfreude. Wenn Pauken und Snare-Drums geschlagen werden, dann klingt das mit ihm verdammt realistisch…
So viel Durchzug hat der Virtus nicht zu bieten. Er wirkt freundlicher, ein Saxophon klingt einen Tick zurückhaltender, harmonischer und feiner. Authentisch klingen beide: der Monaco mit der höheren Präzision und dem härteren Druck, der Canor erfreut mit etwas mehr Samt. Was aber ihn aber auch vom Monaco abhebt, ist diese enorme Raumabbildung beziehungsweise deren Tiefe – das hab ich so bislang nur bei der großen Hyperion/Virtus Vor-End-Kombination gehört. Auch der AI 1.10 beherrscht das nicht so beeindruckend.
Fazit Canor Virtus I2
Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust: Der Canor AI 1.10 ist ein grandioser Röhrenverstärker und in seiner Preisklasse von knapp über 7.000 fraglos die beste Mischung aus feinem Röhrenklang, Dynamik und Präzision. Ein Glücksfall, der erfreulicherweise im Programm bleibt.
Der knapp 2.000 Euro teurere Virtus I2 ist äußerlich und von der Schaltung her fast identisch, wurde aber in – so scheint es – wesentlichen Punkten verfeinert. So weit, dass der neue Vollverstärker in seiner gehobenen Preisklasse ebenfalls so etwas wie ein Maßstab ist: Ein unglaublich gut und schön klingender, im besten Sinne universeller Röhrenverstärker, der wegen seiner nochmals besseren Performance ebenfalls die wärmsten Empfehlungen von uns bekommt. Wie gesagt: Canor hat einen Lauf…
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Großvolumiger, dynamischer, natürlicher Klang |
| Großartige Tiefenstaffelung |
| Relativ Boxen-unkritisch |
| Trotz des hohen Preises günstig |
Vertrieb:
IDC Klaassen
Am Brambusch 22
44536 Lünen
www.idc-klaassen.com
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Canor Virtus I2: 8.990 Euro
Die technischen Daten
Canor I2 | |
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Technisches Konzept: | Röhren-Vollverstärker |
Leistung: | 2 x 40 Watt (ultralinear), 2 x 20 Watt (Triode) |
Ein-/Ausgänge: | 4 x RCA, 1 x XLR / 1 x Pre-Out RCA |
verwendete Röhren: | 1 x 12AX7, 2 x 12AT7, 4 x KT88 |
Besonderheiten: | Endstufe Mono-brückbar |
Abmessungen (B x H x T): | 43,5 x 17,0 x 48,5 cm |
Gewicht: | 26,0 Kilo |
Alle technischen Daten |
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