Wer hätte das gedacht, als die High End Society mit ihrer 1982 in Düsseldorf aus der Taufe gehobenen Messe 2004 von Neu-Isenburg nach München abwanderte? Der Umzug aus dem Nobelhotel ins Messe-Zentrum MOC bekam dem Branchentreff Nummer 1 so gut, dass wohl jeder das Thema Kempinski Gravenbruch abgehakt und unter “schönen Erinnerungen” abgespeichert hatte. Doch nun das: Auf “heiligem Boden” fand nach fast 20 Jahren mit den „Frankfurter HiFi Tage 2023“ wieder eine Messe für hochwertige Audioprodukte statt.
Natürlich hatte ich mich auf der gemeinsamen Anreise mit dem Testerkollegen Falk Visarius von den HiFi IFAs auf dem Beifahrersitz seiner Elektro-Sportlimousine ausgiebig mit der Frage beschäftigt, was einen nach der Reanimation der HiFi-Show mit anderen Mitteln und Namen an dem historischen Ort erwarten würde? Schließlich hielt sich in der Branche die Begeisterung für die Süddeutschen HiFi Tage, die wenige Wochen zuvor in der Nähe von Karlsruhe vom selben Veranstalter organisiert worden war, vorsichtig gesagt, in Grenzen. Unter vorgehaltener Hand liebäugelte der eine oder andere größere Aussteller deshalb noch kurz zuvor mit dem Ausstieg aus der Messe am Main.
Frankfurter HiFi Tage 2023: full house
Am Ende kamen aber alle Aussteller, die zugesagt hatten. So blieb nur die Frage, welche und wenn ja, wie viele Besucher (das Gendern kann man sich bei Audiophilen ohne staatlich geförderte Frauenquote definitiv sparen) am letzten Oktober-Wochenende in das im Landhausstil erbaute Hotel vor den Toren der Main-Metropole kämen? Eigentlich hatten wir keine hohen Erwartungen – außer an das Ojo de Agua, jenes mit Yello-Frontmann Dieter Meier verbundene Steakhouse in Frankfurt, das wir im Anschluss an den Messerundgang besuchen wollten. Für mich kam noch eine weitere Motivation hinzu: Ich bin ein nach Stuttgart abgewanderter Isenburger (ich war jung und brauchte das Geld). So gesehen musste die Messlatte nicht allzu hoch liegen, um mit Falk als Fahrer die Reise ins Nobelhotel anzutreten.
Steak verhinderte Mistake
Im Nachhinein könnte man glatt von einer glücklichen Fügung sprechen. Wir fanden nur einen Parkplatz in der hintersten Ecke des großen Schotterareals hinter großen Pfützen. So konnte Falk endlich mal seinen Cross Over im Gelände erleben und es machte sich eine gewisse Vorfreude auf Erlebnisse der audiophilen Art breit. Und es herrschte wirklich Betrieb in den Gängen des Südflügels, wo uns Messe-Chefin Ivonne Borchert hinter einem Tresen mit Heften von AUDIO und stereoplay respektive AUDIO-stereoplay-Heften empfing. Nach einer kurzen Begrüßung konnten wir mit unserem Messerundgang beginnen. Eintritt frei – nicht nur für die Presse.
Während Falk auf jeden Fall über die Frankfurter HiFi Tage 2023 berichten wollte, war ich mir sicher, es ganz bestimmt nicht zu tun: Nur mal überall kurz reinhören und dann vielleicht noch vorm Steakhaus ein Stück Schweizer Nusstorte bei meinem Lieblingskonditor in Neu-Isenburg genießen. Das war der Plan. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass Messevorführungen nach über drei Jahrzehnten in der Branche bei mir nicht unbedingt Euphorie auslösen. Und dann das: Allein der Umstand, dass Sie hier gerade meinen Messe-Bericht lesen, offenbart bereits, dass in den 14 Räumen des seit alten High-End-Tagen grundlegend renovierten Luxus-Hotels irgendetwas passiert sein musste.
Audiophile Zeitreise
Sicher spielte neben nostalgischen Gefühlen auch die angenehme Überraschung in Verbindung mit der Tatsache, dass ich vermeintlich nicht im Dienst war, eine Rolle. Die überschaubare Zahl von Räumen und Ausstellern tat ein Übriges. So herrschte sozusagen die perfekte Balance zwischen Angebot und Nachfrage.
Doch der Hauptgrund, dass ich diese Zeilen schreibe, liegt im tollen Klang. So alt und vielfältig, wie Audio-Messen sind inzwischen die Ausreden, warum es trotz der oftmals sündteuren Produkte häufig nicht so richtig mitreißend klingt. Manchmal glaube ich, die Szenekenner und Prospekte-Sammler sind daran gewöhnt wie Auto-Narren, die artig mit ihren Ü-300-PS-Kutschen im Stau stehen. Und die trotzdem jederzeit wieder für einen Audi Sport, BMW M oder Mercedes AMG tief in die Tasche greifen würden. Allein die Vorstellung, solche Audio- oder Auto-Boliden bei sturmfreier Bude oder auf einer leeren Autobahn mal richtig aufzudrehen, steigert das Verlangen ins Unermessliche. Der Knackpunkt liegt ganz wo anders: Kann man so den Nachwuchs begeistern?
So begeistern, wie mich damals direkt nach dem Abitur auf der High End in Düsseldorf: Junge Leute so anfixen, dass sie eine audiophile Vorführ-Schallplatte mit dem skurrilen Mix aus Saxophon und Orgel gleich kaufen, sich unsterblich in die seinerzeit unerschwingliche B&W 801 verlieben und in der Folge, die für damalige Verhältnisse großen 3-Wege-Canton-Boxen rauswerfen, um fortan einen wesentlichen Teil ihrer Ersparnisse und künftigen Einnahmen für HiFi auszugeben.
Die Hesse komme
Während Bowers & Wilkins das Kunststück hinbekam, dass das Topmodell der 800er-Serie dank zahlreicher technischer Gadgets und Preiserhöhungen immer noch unerschwinglich für die meisten von uns ist, bleibt Canton erfreulich bodenständig. Und die Jahre des wenig audiophilen “Taunus-Sound” liegen so weit zurück, dass die Hessen mit der aktuellen Townus-Serie damit inzwischen genauso augenzwinkernd und souverän umgehen wie der aus dem gleichen Bundesland stammende Autohersteller Opel, der kürzlich eine Elektro-Hommage an den Manta präsentierte. Für die illustre Runde im Hotel Kempinski fuhren die Boxenbauer aus dem Taunus aber ihre aktuellsten und schönsten Geschütze auf: Vertreter der Reference-Serie standen zum Anfassen und Anhören bereit.
AMG dreht auf – mit 33/3 U/min
Während Canton bei der Reference-Serie auf so komplexe, geschwungene Gehäuseformen setzt, dass der Lieferant sich eine neue Fertigungstechnik mit einer aus dem Vollen gefrästen Schallwand ausdenken musste, baut Lyravox auf die konsequente Kastenform. Die Hamburger nutzten Plattenspieler von AMG (sic!), um ihre Lautsprecher beindruckend in Szene zu setzen. Das Kürzel AMG steht allerdings für Analog Manufaktur Germany und deren Produkte haben einen Drehzahlbegrenzer…
Schlichter und auch noch kompakter lässt sich Musik auf hohem Niveau mit den Aktivboxen von HiFi Pilot erleben. Unter dem Label Econik bauen die Direktvermarkter aus Eisingen Regal-Boxen und sogar einen Center-Speaker für Heimkino-Setups. Dank WISA-Funkstandard und entsprechendem Hub lassen sich auch Mehrkanal-Surround-Anlagen drahtlos betreiben. Mutig demonstrierte die junge, aufstrebende Marke ausgerechnet die nicht nur für High-End-Verhältnisse winzig kleine Aktiv-Box Econik Four. Die nur 17 x 33 x 24 cm große Mini-Box füllte mit ihrer zwischen 2,5- und 3-Wege-Konfiguration und umschaltbaren Treibern den ganzen Raum mit richtig sattem und dynamischem Klang. Die Neutralität überzeugte ebenfalls, doch der Bass, den die beiden für den Tiefmittelton-Bereich zuständigen 12,5-cm-Konus-Membranen von Seas in dem Raum produzierten, verblüffte am meisten.
Klaassen-Treffen für Audiophile
Edel und trotzdem nicht ganz abgehoben waren die beiden Ketten, die man bei IDC Klaassen ausgiebig hören konnte. Mit Lautsprechern von Epos 14N und Elektronik von Canor und Verkabelung von Iso Tek. Die kompakten Fink-Boxen füllten mühelos den großen, gut bedämpften und von IDC Klaassen zusätzlich akustisch optimierten Raum mit sattem, basskräftigen und zudem sauberen Klang. Den Tiefgang und die Belastbarkeit, den die 2-Wege-Box Epos ES14N dabei erzeugte, würden viele eher von einer ausgewachsenen Standbox erwarten.
Ingo Hansen als Borg-Wart
Apropos Standbox: Die von uns unter dem Titel “beste 2-Wege-Box der Welt?” getestete Fink Team Borg gab es nebenan bei Phonosophie zu hören. Ingo Hansen hatte sich dazu wieder mal einiges einfallen lassen. In einem der größten, zur Messe herangezogenen Konferenzräume veranstaltete der hanseatische Showman Karaoke der Super-Luxus-Klasse. Er ließ einmal mehr Wolfgang Bernreuther mit einem getunten Gitarrenverstärker gegen die beeindruckend homogene und explosive Fink Team Borg an seiner Phonosophie-Elektronik antreten. Dabei spielte die Activator-Technik neben dem aus Bayern angereisten Blues-Gitarristen die Hauptrolle.
Das hatte wirklich was, konnte sehr plakativ und eindrucksvoll zeigen, was an Live-Feeling mit ausgesuchten HiFi-Komponenten und -Lautsprechern möglich ist. Mit so etwas kann die Branche auch den Nachwuchs ohne langes Reden überzeugen und Frauen, die sich überwiegend nichts aus Technik machen (darf man das noch sagen?) an das Thema heranführen. Oder besser gesagt, könnte. Auf der gutbesuchten Messe gaben sich wie üblich vorwiegend Männer reiferen Alters die Türklinken der Vorführräume in die Hand. Ein älterer Herr, der offenbar gar nicht genug vom HiFi-Live-Mix, mit dem immer zu Späßen aufgelegten Wolfgang Bernreuther bekommen konnte, war der Ehrengast der Frankfurter HiFi Tage: Wolfgang Borchert, Vater von Ivonne Borchert, lauschte still und andächtig stundenlang den Klängen im Raum mit dem regen Treiben.
Die Stunde, wenn Böde kommt
Doch der Phonosoph war neben dem von Clear Audio auf Vinyl verewigten Gitarristen nicht der einzige Entertainer der Extraklasse. Matthias Böde wandelte über die Messe im Auftrag des reinsten Klanges. Der über seine Workshops zur Kultfigur aufgestiegene STEREO-Redakteur wanderte mit seinem kleinen, aber äußerst feinen Nagra-Aufnahmegerät von Raum zu Raum, um in seinen gut besuchten Vorführungen besondere Aufnahmen über die jeweiligen Anlagen abzuspielen. So konnten seine Follower – was in diesem Falle durchaus wörtlich zu nehmen ist – mit puristischen Live-Aufnahmen die feil gebotenen Ketten miteinander vergleichen.
Dan-Stadium im Kempi
Eine weitere Station, auf der Tester-Kollege Böde auf die Schöpfungen von Legenden der HiFi-Geschichte traf, war ein großer Saal in der Nähe des Eingangs: Dort vereinte Mansour Mamaghani das Who is Who aus seinem reichhaltigen Vertriebsprogramm. Die manchem Audiophilen aus der Region von den Deutschen HiFi Tagen im Darmstädter Darmstadtium bekannte Wilson Audio Sasha V musizierte an Elektronik von Verstärker-Papst Dan d’Agostino und dCS. Im Bass gab es Unterstützung von zwei aktiven Velodyne-Subwoofern. Der Mannschaft von Audio Reference war das Setup der in Bezug auf Raumakustik anspruchsvollen US-Lautsprecher-Boliden ausgesprochen gut gelungen.
Nebenan demonstrierte „Hörgenuss“ aus Zeppelinheim bei Frankfurt die beeindruckenden Fähigkeiten der Vorstufe Trinnov Amethyst mit ihrer leistungsfähigen Raumanpassung mit vier CAAS Audio E100 Monoblöcken an AudioNec Dipol-Wandlern im A/B-Vergleich. Der Unterschied ließ sich trotz der guten Räumlichkeiten klar heraushören.
Creeks-Berichterstatter
Im ersten Stock gab es auch klassisches HiFi mit Boxen von Harbeth an Elektronik von Creek und Manley Laboratories an einem Plattenspieler von Mitchel zu hören. Es war übrigens die gleiche Kombination, die auf der Musik + Lebensart in Freiburg schon den Kollegen Holger Biermann faszinierte. Auch hier klang es so gut, dass ich einige Titel lang verharrte und lauschte.
Doch auf den Frankfurter HiFi Tagen konnten die zahlreichen Besucher auch erschwingliche Ausrüstung mit audiophilem Anspruch austesten. Aus dem nahen Taunus war neben Canton auch Cayin Audio Distribution angereist. An einer langen Theke stellten die Hessen nicht nur die für ihre gute Preis-Leistungsrelation bekannten Röhrenverstärker von Cayin aus. Der chinesische Röhren-Spezialist hat auch High-Resolution-Player und Kopfhörer-DACs im Angebot, die man am Tresen mit hochwertigen Hörern von Edelmarken wie Focal gleich ausprobieren konnte.
Fazit Frankfurter HiFi Tage 2023
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten gelang dem Team Borchert ein Überraschungscoup: Die Idee Kempi-Messe-Reloaded funktionierte. Die Besucherzahl und das Angebot der kleinen, feinen Aussteller-Riege hielt sich perfekt die Waage mit der für manche sicher unerwartet großen Besucherzahl. Man wandelte nicht durch leere Hallen und Flure, hatte gleichzeitig aber auch Zeit für Gespräche mit den Ausstellern und Chancen auf einen Sitzplatz mit guter Akustik. Wie heißt es so schön: Unverhofft kommt oft. Von mir aus darf die Messe-Gemeinde gerne öfter mal einen Abstecher ins Kempinski machen.
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