Die Traditionsmarke Marantz erweitert ihr AV-Receiver-Sortiment nach oben und folgt damit dem Trend zu wieder mehr hochwertigem Mehrkanal-Audio – ganz aktuell mit dem Marantz SR8012.
Einen direkten Vorgänger hat der Bolide nicht und irgendwie steht er deshalb auch ein wenig zwischen den Stühlen – was aber nicht schlecht ist. Ganz im Gegenteil: Wie der Test zeigen wird, ist er im Highend-Sortiment von Denon und Marantz zwischen den Receivern und Vor/End-Kombis sogar das beste Angebot.
Schaut man in die Datenblätter, erscheint er für einen AV-Receiver mit “nur” 11.2 Kanälen vergleichsweise teuer. Was man aber bei genauerem Hinschauen und Studium der tiefer gehenden Qualitäten entdeckt: der Marantz SR8012 kommt unter anderem mit Verarbeitungs-Merkmalen daher, die bislang nur den deutlich teureren Vorverstärker- oder Verstärker-Topmodellen der Marke vorbehalten waren. Und die kosten schon mehr als hier dieses Gesamtpaket inklusive neun kräftiger Endstufen.
So gehören unter anderem ein verkupfertes Chassis, ein streng sektioniertes Layout mit diskreten, separaten Endstufen je Kanal und ein zentraler, riesiger Ringkern-Transformator als Kraftspender dazu. Außerdem ist er neben Dolby Atmos und DTS:X serienmäßig mit Auro-3D Decoder bestückt.
Dabei ist eine Klassifizierung als Receiver nach traditionellen Regeln eigentlich nicht mehr zutreffend, denn er ist eigentlich ein Vollverstärker mit integriertem Radio-Empfänger.
Ein Blick auf das Anschlussfeld aber macht klar, hier kann man nirgendwo eine Antenne einstöpseln, die gibt es nur in Form zweier Stabantennen für WLAN und Bluetooth. Und tatsächlich: auf dem Typenschild steht korrekt “AV Surround Amplifier”.
Stattdessen gibt es einen Eingang namens “Tuner” neben der Phono-Buchse. Da soll man dann wohl ein separates Gerät anschließen. Naja. Radiosender lassen sich dennoch empfangen, denn schließlich ist ein ausgewachsenes HEOS-Modul in die Maschine integriert.
Das erlaubt – neben dem lokalen Streaming via AirPlay oder Bluetooth und Clouddiensten wie Spotify Connect, Amazon Music, TIDAL oder Deezer – auch Internetradio und damit Radioempfang. Andererseits wird es langsam schwierig, einen aktuellen, separaten UKW-Tuner zu bekommen. Marantz jedenfalls bietet gar keinen mehr an.
Das rückseitige Anschlussfeld des Marantz SR8012 birgt sonst wenige Überraschungen. Ein- und Ausgänge gibt es digital wie analog im Überfluss – inklusive der immer seltener werdenden analogen Videosignale in Component-Ausführung und eines analogen Mehrkanal-Audioeingangs.
Auch die hinter der großen Klappe auf der Front verborgenen Funktionen und Anschlüsse wirken mehr als opulent. Neben allerlei Funktions- und Menütasten und dem auch aus der Ferne gut ablesbarem, zweizeiligen Matrix-Display findet sich hier etwas, was längst nicht mehr selbstverständlich ist: ein analoger Audio- und Videoeingang.
Hinzu kommt per HDMI und USB das Ganze noch einmal in Digital sowie ein Kopfhörer-Ausgang und die Klinkenbuchse für das Audyssey-Mikrofon.
Praktisch seit Jahren unverändert ist die Fernbedienung der größeren Marantz-Modelle. Sie ist mir bestens bekannt, weil sie auch der im LowBeats Testkino dienenden Referenz-Vorstufe Marantz AV8802A beiliegt. Nur gibt es jetzt eine HEOS-Taste statt “Online Music”.
Mit dieser programmierbaren Systemfernbedienung hat man auch die Grundfunktionen vom TV und Blu-ray-Player im Griff.
Für die Bedienung stehen neben den Tasten und Reglern der Gerätefront und auf der Fernbedienung sowie diversen Raumsteuerungssystemen oder Schnittstellen für Schaltsignale auch die üblichen Apps zur Verfügung.
Der Plural ist hier angebracht, nicht nur weil es die Remote-App für die gängigen Plattformen, Smartphones und Tablets gibt, sondern weil die Remote App des Receivers nahtlos mit der HEOS App zusammen agiert, die für die Mehrraum-Steuerung und das gesamte Musikprogramm zuständig ist.
Und weil die Entwickler bei Marantz gut mitdenken, legen sie auch dem Marantz SR8012 sinnvolles Zubehör mit in den Karton. Sicher ist das steckbare Pappstativ für das Einmessmikrofon kein Ersatz für ein ordentliches Stativ.
Aber es ist besser, als wenn man nix zur Hand hat. Das Mikrofon auf der Sofalehne zu platzieren, ist jedenfalls keine gute Idee. Ein gutes Fotostativ ist eigentlich am besten geeignet.
Auch so scheinbare Kleinigkeiten wie der Bogen mit Klebefähnchen zur Zuordnung der Lautsprecherkabel ist eigentlich genial, zumal die Farbkennungen an Aufklebern und Anschlussklemmen korrespondieren. Damit lassen sich auch in schwer zugänglichen Schränken oder Racks noch zielsicher die Kanäle fehlerfrei verbinden.
Als Topmodell der AV-Receiver versteht sich natürlich auch der Marantz SR8012 mit der Audyssey MultEQ Editor App. Die kostet zwar einmalig knapp 20 Euro, ist aber jeden Cent wert. Denn die Einmessung mit Hilfe der Rechenpower eines Tablets oder Smartphones klingt spürbar besser als die mit der eingeschränkten Leistung der integrierten Chips.
Die erledigen den Job der Echtzeit-Berechnung laufender Audiosignale perfekt, aber zum Speichern und Berechnen von Messignalen sind sie nicht gedacht.
Außerdem gibt die Audyssey-App Feintuning-Möglichkeiten, die bislang nur im teuren Profi-Messkoffer zur Verfügung standen, wie dem Beeinflussen der Zielkurven oder dem Beschränken der K0rrekturen bis zu einer setzbaren Frequenz.
Mit dieser Ausstattung und den nunmehr elf integrierten, kräftigen Endstufen lassen sich selbst sehr ausgewachsene Lautsprecher-Konfigurationen ohne zusätzliche Endstufen bedienen. Das geht bis hin zu 7.2 auf der Hörebene plus simultan vier Höhenkanäle.
Denkbar wäre auch eine “audiophile” 5.1-Konfiguration komplett in Bi-Amping. Und die zwei Subwoofer-Ausgänge lassen sich zwar nicht separat zuordnen, doch aber zur akustischen Optimierung nach Pegel und Laufzeit separat justieren.
Audiophile Geister und Stereo-Fans verfügen für die zweikanalige Wiedergabe über separate Einstellungen für diesen Anwendungsfall, sie können zum Beispiel Bi- oder gar Tri-Amping-Konfigurationen mit ansonsten nicht verwendeten Endstufen nutzen.
Marantz SR8012 im Hörtest
Vor den praktischen SR8012 Test im LowBeats Testkino haben die Digitalgötter den Schweiß, beziehungsweise das Firmware-Update gesetzt – ein Segen und Fluch moderner Heimkino-Geräte. Dann aber lässt sich alles gut an.
Selbst als routinierter Tester nutze ich gerne das Installationsmenü, das Denon und Marantz gemeinsam entwickelt haben. Es bringt den User schnell und umfassend ans Ziel: das optimale Einrichten und Einmessen. Letzteres geht mit der Audyssey App wirklich am besten. Ein wenig nachtunen und es konnte losgehen.
Zunächst gab es Streaming via HEOS-Modul vom lokalen Server. Das Modul navigierte via Fernbedienung und On-Screen-Menü sehr zäh bei der Auflistung der Alben, lud immer nur 2-3 Bildschirmseiten und brauchte vor dem Weiterscrollen immer erst ein paar Schrecksekunden.
Via iPad und HEOS-App flutschte das alles komplett verzögerungsfrei. Das folgende klangliche Ergebnis überraschte mich dagegen auf das Positivste. Selbst einfache Receiver klingen per Vorverstärker-Ausgang oft sehr fein und musikalisch. Die übliche Qualitätsbremse sind die integrierten Endstufen.
Hier scheint den Marantz Entwickler aber ein Glücksgriff gelungen zu sein oder – viel wahrscheinlicher – konnten mit dem gegebenen Budget mal wirklich etwas gut Klingendes integrieren.
Die Balance auf Grob- und Feindynamik und das Maß an feinen Texturen und Klangfarben sind für einen AV-Receiver – egal welcher Preisklasse – wirklich sensationell. Das Klangbild tendierte, im Gegensatz zu den Denon-Geschwistern, eher zu wärmeren Klangfarben.
Ganz so, als stünden die Musiker bei aktuellen Denon-Produkten unter kristallklarem LED-Licht auf der Bühne, während der Marantz SR8012 die Szenerie mit klassischen warmen Glühlampen und Kerzen ausleuchtet.
Auch bei Leistungs-fordernden Filmsequenzen, wie etwa das Andocken an die defekte Raumstation in “Interstellar”: Selbst mit Hans Zimmers sattem Orgel-Sound + Orchester + Sound-Effekten mit sehr, sehr hohem Pegel kam der Marantz SR8012 nicht ins Schwitzen, nicht einmal die Lüfter unter den Endstufen sprangen an.
Und trotz Netzteil-leersaugender Bass-Orgien blieb der Dialog klar umrissen im Raum stehen. Für dieses Niveau an Differenzierung benötigte man bislang eine Top-Vorstufe plus bester Endstufen – oder beste Aktiv-Lautsprecher. Toll.
Fazit Marantz SR8012: Echtes Highend-Surround für unter 3.000 Euro
Mutig: Alles soll billiger werden, aber bitte nicht hier. Marantz erweitert seine Surround-Palette mit dem SR8012 gekonnt nach oben.
Ich halte die gefundene Balance aus gehobener Verarbeitung mit verkupfertem Chassis und Leistungszuwachs (diskret aufgebaute Endstufen mit dickem Ringkerntrafo plus zwei Endstufen mehr als bislang) für gelungen.
Und dank modernster HDMI-Funktionen und HEOS ist man für alles gerüstet, von sehr gut klingendem Stereo, etwa per Highres-Audio-Streaming via HEOS, bis zu Ultra-HD-HDR-Streaming-Video mit Atmos-Sound vom App-Player im TV via HDMI-eARC-Eingang.
Außerdem klingt der Neue auch noch überraschend gut, verblüffend feindynamisch, aber mit Kraft, tonal eher warm abgestimmt, irgendwie geschmeidig und stets groovy. Fein fein.
Marantz SR8012 | 2018/04 |
Überragend |
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Kraftvoller und feindynamischer Klang |
| Vollausstattung für Surround und HDMI |
| HEOS Integration für Multiroom & Streaming |
| Klangtuning per Audyssey MultEQ Editor App |
Vertrieb:
Marantz Deutschland
Division of D&M Germany GmbH
49078 Osnabrück
www.marantz.com
Preis (Hersteller-Empfehlung):
Marantz SR8012: 2.999 Euro
Im Beitrag erwähnt:
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