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Denon DL 103
Das Denon DL-103 (links) ist eine MC-Tonabnehmer-Legende, das jüngere DL-103R (rechts) ist auf dem besten Weg, in seine Fußstapfen zu treten. Beide kosten aktuell unter 400 Euro (Foto: B. Rietschel)

Test MC-Tonabnehmer Denon DL-103 + DL-103R: 60 Jahre und kein bisschen lauter

Eines der ältesten kontinuierlich produzierten HiFi-Produkte feiert bald Jubiläum: Im Jahr 1964 kam das Denon DL-103 auf den Markt. Ein wunderbarer, kultivierter Leisetreter, sowohl im Original als auch in der höher auflösenden R-Version. Mit beiden bauen wir – unter anderem – einen schlüsselfertigen, erschwinglichen, klangmächtigen High-End-Spieler für Rationalisten. Auf Basis eines Laufwerks, das selbst auch schon 50 Jahre Historie mitbringt. Der Test des Denon DL-103 und seines neueren Bruders DL-103R.

Wie schnell die Zeit vergeht, spüren Freunde guter und gut klingender Musik schon beim Stöbern im eigenen Plattenschrank. Da trägt ein Garagenrock-Album noch den Preisaufkleber eines längst geschlossenen Plattenladens. Und vielleicht auch noch, schüchtern in ein Cover-Eck gemalt, die Initialen seines damaligen wie heutigen Besitzers, der die Platte gern mit zu Partys nahm. Oder, wie in meinem Fall, sie in Vorführungen auf HiFi-Messen integrieren wollte. Auf dem Second-Hand-Markt führt das „woc“, also writing on cover, natürlich zu Einbußen in der Zustandsnote. An Wert und Wiederverkauf haben Vinylsammler aber jahrzehntelang eh keinen Gedanken verschwendet. Man verließ den Laden mit einem Sack voller neuem Vinyl und dem Wissen, dass dieser Sack mit dem Überqueren der Türschwelle augenblicklich nahezu wertlos würde. Außer natürlich in den Augen und Ohren des stolzen Besitzers. Es war die Phase in den 1990ern und 2000ern, als LPs eine Supernische waren. Und selbst ein Robert-Plant-Soloalbum gerade mal mit 2000 Exemplaren das Presswerk verließ – 2000 weltweit. „Dreamland“ wurde 20 Jahre später dann doch noch wertvoll. Mein Exemplar verkaufte ich in einer Phase akuter Geldnot für 1.000 Euro an einen Sammler in Kasachstan.

DL-103 Development Sample
Transparent und nur ein kleines bisschen vergilbt: Ein altes Entwicklungsmuster in klarem Kunststoff im Werk in Shirakawa (Foto: Denon)

Hätte ich von dem Erlös damals einen Plattenspieler kaufen müssen, wäre es ein Rega P3 oder ein Technics SL-1210Mk7 geworden. Und letzterer hätte ziemlich sicher ein Denon DL-103 als Tonabnehmer-Partner bekommen. Wenn ein MC gewünscht und das Budget begrenzt ist, wird die Auswahl plötzlich sehr klein. Und das DL-103 ist nun mal eines der preiswertesten Moving Coils am Markt. Was aber auch nichts hilft, wenn Laufwerk und Arm nicht zu dem System passen. Zu diesem Thema hat sich in den vergangenen 60 Jahren ein so gewaltiger Anekdoten- und Folkloreschatz akkumuliert, dass er in seiner Beliebigkeit schon fast wieder wertlos geworden ist. Das DL-103 kann, wenn man lange genug sucht, alles sein: hell oder dunkel, dynamisch oder komprimiert, über- oder unterschätzt, mit deutlichen Exemplar-Streuungen behaftet oder ein Wunder der Serienkonstanz. Was ich darüber schreibe, basiert ausschließlich auf meinen eigenen Erfahrungen: Jene, die ich mit rund einem Dutzend privat verbauter sowie einer ähnlichen Zahl von Testsystemen gesammelt habe, die mit den Jahren bei mir ein- und ausgingen.

Denon Stammwerk in Shirakawa
Das DL-103 wird immer noch im japanischen Stammwerk in Shirakawa gefertigt (Foto: Denon)

Zur Geschichte des Denon DL-103

Nur zur Markteinführung kann ich keine persönlichen Eindrücke beisteuern. Nicht mal theoretisch, denn da war ich noch gar nicht auf der Welt. 1964 muss das gewesen sein – manchmal liest man auch 1962 oder ’63. Für den normalen HiFi-Hörer käuflich wurde das System sowieso erst im Jahr 1970. In den ersten Jahren lieferte der Hersteller es exklusiv nur an Nippon Hōsō Kyōkai. NHK ist der japanische öffentlich-rechtliche Rundfunk, der das System Anfang der Sechziger für die Umstellung auf Stereosendungen in Auftrag gab. Und zwar bei Nippon Denki Onkyō Kabushikigaisha, dem für Broadcast-Profiequipment verantwortlichen Geschäftsbereich von Nippon Columbia. Die beiden mittleren Namensteile, wörtlich übersetzt „elektrischer Klang“, verschmolzen zunächst zu Den-On und schließlich zur Marke Denon. Erstes Konsumer-Produkt im Jahr 1970 war genau das DL-103, dessen Klang Radiohörer unwissentlich längst kannten.

Denon DL-103 Produktion
Handarbeit an der Grenze des Sichtbaren: Eine Denon-Mitarbeiterin verlötet die Spulendrähte eines DL-103 mit den Anschlusspins. Das System liegt dazu offen auf der Seite. Gut sichtbar ist dadurch auch der lange hintere Polschuh, der die Nadeleinheit mit dem (hellblauen) Dämpfer, dem winzigen Spulenkreuz und dem zweiteiligen Nadelträger hält. Der vordere Polschuh wird erst später aufgesetzt und fehlt hier. Dafür sieht man umso besser den mattgrauen AlNiCo-Magnetblock, der über der Nadel aus dem Gehäuse lugt (Foto: Denon)

Das heutige DL-103 ist technisch identisch mit dem Tonabnehmer, den Denon und NHK einst gemeinsam schufen. Ein Industriestandard mit einem genau definierten Platz in der Wiedergabe- und Sendekette des japanischen Radios: Frequenzgang, Ausgangsspannung, Abmessungen, Gewicht, Übersprechen, Verzerrungsverhalten – alles präzise festgeschrieben und bis heute unverändert. Nach wie vor produziert am alten Fertigungsort Shirakawa in der japanischen Präfektur Fukushima. Mit einem individuellen Frequenzgang-Messchrieb für jedes einzelne Exemplar, samt filigran handschriftlich notierter Ausgangsspannung und Seriennummer sowie dem hanko, dem kleinen runden Signaturstempel der verantwortlichen Mitarbeiterin.

Brief und Siegel: Jedes DL-103 wird bei der Endkontrolle gemessen. Die Messchriebe sind echt, und die Exemplare unterscheiden sich dabei durchaus – meist aber nur um dB-Bruchteile (Foto: B. Rietschel)

Die Seriennummer findet sich natürlich nicht nur im begleitenden Papierkram, sondern auch direkt auf dem Produkt, eingestanzt in das Blech-Typenschild auf der Systemoberseite. Dort haben allerdings nur vier Ziffern Platz. Nach 9999 beginnt das Zählwerk wieder bei 1, und diese volle Runde hat das DL-103 seit 1963 schon mindestens 70-mal vollzogen: Denon bezifferte die Zahl gebauter DL-103 vor wenigen Jahren mit „über 700 000“. Unklar ist, ob die zahlreichen DL-103-Derivate darin bereits enthalten sind. Denn neben dem Hardcore-Basismodell gab und gibt es auch Luxus- und Spezialausführungen, die dem Streben des HiFi-Kunden nach Differenzierung und Prestige mehr entgegenkamen: Abweichende Gehäusematerialien wie Keramik, exotische Nadelschliffe, weichere Aufhängungen, modifizierte Generatoren. Mindestens 15 Varianten umfasst eine komplette 103er-Sammlung inzwischen. Die meisten davon sind – erst recht in spielfähigem Zustand – nicht mehr zu bekommen. Aktuell in Produktion befindet sich neben dem Urtyp nur noch das Denon DL-103R, das für 100 Euro Aufpreis leichtere, niederohmigere Spulen mitbringt. Dazu gleich mehr.

Ob R oder nicht R: Das DL-103 präsentiert sich als schwarzer, schmuckloser Quader mit langen, exakt parallelen Gehäusekanten. Zum Justieren ist das ein Traum: Wer sich jahrelang mit den windschiefen, zerklüfteten, oval verrundeten oder gar kugelförmigen Werken der Konkurrenz herumgeschlagen hat, weint Tränen der Dankbarkeit ob der perfekten Geometrie des Denon-Bodys. Die in vielen Fällen verdächtig genau mit den Umrissen von Tonarmköpfen und Headshells fluchtet. Nicht überraschend eigentlich, denn das DL-103 war schon da, als die Entwicklung von HiFi-Plattenspielern für zuhause überhaupt erst begann. Wer sich nicht nur auf das Gehäuse verlassen will, bekommt dank des großzügigen Einschnitts an der Vorderkante auch einen guten Blick auf den Nadelträger und die Nadel. Wobei sich das Misstrauen kaum lohnt: alle DL-103, die ich je ausgepackt habe, hatten bolzengerade ausgerichtete Generatoren, einer exakt wie der andere. Der Phonotechniker im Studio in … sagen wir mal Osaka, hatte schließlich keine Lust, bei jedem Tausch Lampe, Lupe, Lehre und Lineal auszupacken – und wohl auch die Lesebrille, falls er nicht mehr der Jüngste war.

Denon DL-103
Nicht schön, aber zweckmäßig: Beim Gehäusematerial scheint es sich um einen faserverstärkten Kunststoff zu handeln (Foto: Denon)

Der Einbau

Obwohl vorbildlich leicht zu justieren, gibt sich der Denon-Abtaster beim Einbau mitunter widerspenstig. Und zwar dann, wenn ihm moderne, gerade Arme mit gekröpftem Headshell nur begrenzt Platz bieten. Der Kunststoffblock baut hinter den Befestigungslöchern noch recht tief und mündet in außergewöhnlich weit auseinander platzierten Anschlusspins. Das wird vor allem bei Linn-Armen schon recht eng. Späte Ittok-, sämtliche Akito- und die meisten Ekos-Modelle stehen in dem Ruf, mit dem DL-103 überhaupt nicht korrekt justierbar zu sein. Das stimmt so nicht. Man muss aber eine gewisse Kunstfertigkeit aufbringen: Die serienmäßigen Headshell-Käbelchen des Ekos muss man – im abgezogenen Zustand – beidseitig ihrer Schrumpfschlauch-Isolierung berauben, dann die Steckerchen vorsichtig so zurechtbiegen, dass sie dem DL-103 genau im richtigen Winkel ausweichen können. So bekommt man einen millimetergenauen Sitz des Systems und eine elektrisch einwandfreie Verdrahtung hin.

Denon DL-103 und Denon DL-103R
Rückansicht: Die Anschlüsse sind vergoldet, aber nicht farbcodiert. Beim Einbau also genau hinschauen: Plus ist unten, Rechts und Links sind rechts und links – wenn man von hinten draufschaut (Foto: B. Rietschel)

Da die Stecker an den Käbelchen beim Biegen penetrant zum Abbrechen neigen, sollte man das aber nur versuchen, wenn für alle Fälle Ersatz greifbar ist. Zur Belohnung sieht das Resultat bombastisch gut aus. Der Systemquader wirkt wie eine logische Fortsetzung des dickwandigen Linn-Headshell. Vor allem das 103R mit seinem etwas tieferen, leicht glänzenden Schwarz passt zudem perfekt zum Lack des schottischen Arms.

Denon DL-103 im
Montage-Challenge: Die extralangen Befestigungsschrauben sind nicht ganz einfach zu finden. Und wenn man sie hat, passt deren (japanische) Gewindesteigung garantiert nicht zu den eigentlich angedachten Muttern. Hier haben wir auf die verhassten Zahnmuttern zurückgegriffen, die sich mit keinem Werkzeug der Welt vernünftig festhalten lassen und japanischen Systemen vermutlich als Insider-Joke beigelegt werden (Foto: B. Rietschel)

Ob matt oder leicht glänzend – 103er tragen, abgesehen von seltenen Ausnahmen, stets Karosserien aus Plastik mit seitlich offenen Befestigungslöchern. Woraus und wie auch sonst, hätte man in den 1960er und 1970er Jahren gefragt. Später begannen Bastler, dem Denon-MC Gewänder aus Holz, Alu, Graphit oder Blei zu schneidern. Inzwischen bedienen sich auch zahlreiche Fremdhersteller der präzisen, preiswerten Denon-Großseriensysteme, um sie in mehr oder weniger originelle Eigengewächse zu verwandeln. Selbst wenn dabei das komplette Originalgehäuse verschwindet, ist die DL-103-Technik stets leicht wiederzuerkennen. Von unten etwa an dem charakteristisch hellblauen Gummidämpfer mit dem darin gebetteten Spulenkreuz. Für genau die richtige Vorspannung und Federkonstante sorgt ein (unsichtbares) Stück Federdraht, das die Spule und den damit fest verbundenen Nadelträger in dieses elastische Kissen zieht. Wie das noch ältere Ortofon SPU folgt das Denon-MC also der heute als klassisch bezeichneten Spanndraht-Bauweise. Dazu gehört auch der große, oberhalb des Luftspalts angeordnete Magnetblock, dessen Feld über Polplatten und -Schuhe nach unten zur Spule fließt.

Verglichen mit modernen MCs ist der Magnet des DL-103 recht groß – ein länglicher Barren aus AlNiCo, einer Sinterverbindung aus Aluminium, Nickel und Kobalt. Anfang der sechziger Jahre entsprach das dem Stand der Technik. Noch stärker magnetisierbare Materialien auf Basis „seltener Erden“ wie Neodym oder Samarium befanden sich zu dieser Zeit noch in der Entwicklung – natürlich beim US-Militär – und wurden erst in den 1980er Jahren kommerziell verfügbar. Das DL-103 ist also nicht zum Spaß so groß und sperrig. Sondern weil ein AlNiCo-Magnet der gewünschten Stärke da reinpassen muss. Der dann auch entscheidend das stattliche Systemgewicht von 8,5 Gramm verantwortet.

Der Nadelträger besteht aus zwei teleskopisch ineinandersteckenden und verschweißten Aluröhrchen. Im Lagerbereich ist der Durchmesser daher etwas stärker als in der vorderen, hauptsächlich sichtbaren Partie. Ein probater Aufbau, der bis heute auch bei vielen anderen Herstellern Standard ist, weil er geringe Trägheit an der Nadelspitze mit Resonanzarmut und Festigkeit kombiniert. Ganz vorne an diesem Träger sind je nach Vergrößerung zwei Besonderheiten zu finden – oder zumindest zu erahnen: Das Aluröhrchen ist nicht – wie sonst häufig – vorne einfach plattgedrückt und dann um die benötigten 20 Grad abgeknickt. Stattdessen ist es am Ende schräg angeschnitten. Der Diamant steckt in der folglich leicht überstehenden oberen Hälfte des Röhrchens, die zu diesem Zweck eine präzise Bohrung aufweist. Gesichert ist das Ganze mit einem wohldosierten Klebstofftropfen, der das Halbrund des angesägten Trägers sauber ausfüllt, die blitzenden Flanken des quadratischen Diamantstäbchens aber frei lässt. Wunderschön, und selten: Solche nackten, quadratisch-kristallorientierten Steine findet man in 300-Euro-MCs sonst eher nicht.

Denon DL-103 im Well Tempered Simplex
Mit goldenem Typenschild: Das DL-103R verträgt sich auch mit dem Arm des Well Tempered Simplex MK2 ganz exzellent. Die Frage nach Nadelnachgiebigkeit, Tonarmmasse und Resonanzfrequenz stellt sich hier gar nicht erst, weil der Arm in einem hochdämpfenden Silikonbad läuft. Auf dem Teller liegt passenderweise „Live From Electrical Audio“ der japanischen Postrock-Meister Mono (Foto: B. Rietschel)

Kontakt zur Platte hält der Diamant mit einer sphärisch, also kugelrund geschliffenen Spitze. In den 1960er Jahren war das Standard, heute wirkt der Schliff schon etwas Retro. Zu finden ist die Form heute hauptsächlich an Billignadeln. Die hier verwendete, sehr hochwertige und teure Ausführung hat damit nicht viel zu tun und hält 103-unerfahrenen Hörern eine faustdicke Überraschung bereit: sphärische/konische Nadeln klingen nicht immer dumpf, diffus und unsauber. Das DL-103 wirkt zwar keineswegs übereifrig im Hochton, aber meistert mit seiner archaischen Nadel auch heikelste, hochtonreiche Pressungen verblüffend souverän. Im Blindtest jedenfalls würde man nie darauf kommen, dass hier nicht 8 oder noch weniger Mikrometer schlanke Flanken in der Rille reiten, sondern eine Quasi-Halbkugel mit korpulenten 18µm.

Der Klang

Das DL-103 klingt im richtigen Arm also durchaus fein und verzerrungsarm. Und dafür muss man sich auch nicht die Finger wundjustieren. Denn der kugeligen Spitze ist es rein geometrisch weitgehend egal, ob sie ein wenig nach hier oder da verkantet in der Rille steht. Azimuth, vertikaler Abtastwinkel, selbst der Überhang sollten zwar idealerweise trotzdem stimmen, haben aber keine so dramatischen Auswirkungen, wenn sie es denn nicht tun. Was wir als Gegenpol zu den fast schon duftigen Höhen auf jeden Fall vom DL-103 bekommen: Einen herrlich vollen, erdigen, substanzreichen Ton, der Melodien Nachdruck und Kraft verleiht, Musik ganz unspektakulär zu maximaler Wirkung verhilft. Rock erhält damit den kompakten Druck, den er braucht, Klassik und Jazz, selbst sprödes, dissonantes Material tönt warm und versöhnlich, aber nie muffig. Und dennoch sind klassische MC-Stärken nicht zu überhören, die MMs in der Preisklasse schlicht nicht bieten können. Die mit MMs womöglich zu keinem Preis erreichbar sind. Diese intensive Live-Leuchtkraft der Klangfarben zum Beispiel.

Um die zu erleben, brauche ich keine audiophilen Raritäten aufzulegen. Da reicht auch „How Strange, Innocence“ das Debüt-Album der texanischen Band Explosions In The Sky aus dem Jahr 2000. Das Original-Vinyl-Doppelalbum aus dem Jahr 2004 ist unbezahlbar – auch weil es davon nur 300 Exemplare gab. Erst 2019 wurde die Platte neu gepresst (Temporary Residence TRR085), als dreiseitiges Doppelalbum. Auf Seite 4 ist ein Text graviert, in dem die Band über die Entstehung der Platte und den Hintergrund der zögerlichen Veröffentlichung berichtet: Aufgenommen wurde sie in zwei Tagen ohne vorherige Studioerfahrung, gemischt und gemastert in zwei weiteren Tagen. Das hört man dem Album an. Es wirkt auch in der aktuellen, von der exzellenten Heba Kadry remasterten Fassung ein bisschen rough und unfertig. Aber es hat auch etwas reizvoll Tastendes, Suchendes, bei aller gebotenen Dynamik manchmal fast Schüchternes. Mitunter fühlt es sich an, als erschreckten die Musiker über die Kraft ihrer eigenen Musik. Den instrumentalen Postrock-Sinfonien, die später zum Markenzeichen der Band werden sollten, schadet diese Zurückhaltung nicht. Die damals noch sehr junge Band sah das anders, wollten die erste Mini-Auflage zeitweise gar zurückkaufen und vernichten. Zum Glück hat sie ihre Meinung geändert: „Innocence“ enthält bezaubernde Musik, und das weitgehende Fehlen einer professionellen Produktion stellt die Klangfarben und Strukturen der Instrumente in den Vordergrund. Die Röhren-Gitarrenamps der beiden Gitarristen Munaf Rayani und Mark Smith mit ihren weichen, vielfältigen Timbres, die gelegentlich zugeschalteten, eher trashig klingenden Verzerrerkästchen, Michael James’ singender Bass und die aufbrausenden Becken von Schlagzeuger Christopher Hrasky mit ihrer reichen Palette an metallischen Obertönen. Da bekommt beim tranceartigen Zeitlupen-Headbanging ganz nebenbei auch die audiophile Seele Nahrung.

Das DL-103 denkt gar nicht daran, mit seiner konischen Nadel die Becken irgendwie abzustumpfen: Die Bronzedeckel fauchen, funkeln und schaukeln auf der virtuellen Bühne, dass es eine Freude ist. Konsequenter noch als die sphärisch benadelten SPU-Versionen des Mitbewerbers Ortofon unterläuft das DL-103 das Klischee von der dunkel-dumpfen Rundnadel. Wer bisher nur moderne elliptische oder Line-Contact-Nadeln gehört hat, nimmt hier, um mal ein Gruselwort aus der Beraterszene einzusetzen, ein wertvolles „Learning“ mit. Und beschließt womöglich, gar nicht mehr zu seinen neumodischen Schliffen zurückzuwollen. Denn die Denons klingen nicht nur überraschend fein, sondern vor allem auch sagenhaft homogen, ganzheitlich und integriert. Sie tragen die Höhen nicht exponiert wie ein schrilles Silberhütchen, sondern mit stimmigem, bruchlosem Anschluss an den Mittelton- und Präsenzbereich.

Denon DL-103 im Technics SL-1500
Technics für Fortgeschrittene: Ein DL-103 mit dickem Carbon-Spacer und Ortofon LH-4000 am Arm eines SL-1210. Das schwere Headshell tut dem System im eigentlich mittelschweren Technics-Arm hörbar gut (Foto: B. Rietschel)

Nur mittelprächtig fand und finde ich zwei Bereiche am DL-103: Ich halte es – auch das R – nicht für das Dynamikwunder, als das es häufig beschrieben wird. Und ich kann mir auch räumlich genauer abbildende Systeme vorstellen. Das mit der Dynamik wird klarer, wenn man ein wirklich dynamisches System wie das Lyra Delos daneben hört. Das japanische Manufaktur-MC kostet mehr als das Fünffache des Denon. Aber es schlägt auch über das gesamte Frequenzband hinweg ungleich härter zu. Auch ein Rega Ania, preislich mit 700 Euro schon eher vergleichbar, spielt agiler, ungebremster. Dass das Denon daneben präsenter, subjektiv lauter und energischer wirken kann, beruht meines Erachtens eher auf einer ganz leichten Kompression, nicht auf überlegener Dynamik. Wie gesagt: das klangliche Resultat ist absolut stimmig. Und nicht immer gereicht die höhere Agilität der teureren Systeme dem Genusshörer zum Vorteil.

Das runde Nadelprofil bringt eine weitere Besonderheit mit, die sich mal als Vorteil, dann wieder als Nachteil manifestiert: Die Nadel gleitet damit exakt auf der gleichen Bahn in der Rille, die schon die Abtaster vor 40 oder 50 Jahren nahmen. Alte, intensiv und/oder mit schlechten Spielern gespielte Platten zeigen in diesem Bereich der Rillenflanke am ehesten Verschleißspuren. Das DL-103 kann hier keine Wunder bewirken und klingt mit vorgeschädigtem Vinyl nicht ganz so geräuscharm wie moderne Line-Contact-Nadeln. Umgekehrt verhält es sich bei Vintage-LPs, die mit Verfahren zur Vorabkompensation von Abtastverzerrungen produziert wurden. Also etwa die Dynagroove-Pressungen aus den 1960ern. Da bewirkt die Rundnadel eine regelrechte Offenbarung, weil genau deren Abtast- und Verzerrungsverhalten im Mastering mit einbezogen wurde.

Denon DL-103 versus DL-103R

Kommen wir zu den kleinen Unterschieden zwischen 103 und 103R. Technisch ist das R-Modell weitestgehend mit dem normalen 103 identisch. Es bringt aber leichtere, niederohmigere Spulen mit, die zudem aus einem besseren, sauerstoffärmeren Kupfer bestehen. Letzteres ist gut fürs audiophile Gewissen, ersteres bringt logischerweise mehr Agilität, kostet im Gegenzug aber Ausgangsspannung. Korrekt vorverstärkt wirkt das DL-103R einen Hauch heller und offener, auch farbenreicher als das Basismodell. Für meinen Geschmack und in meiner Anlage gibt es rein gar nichts außer dem 100 Euro günstigeren Preis, das explizit für das normale 103 spricht. Der Unterschied ist aber auch nicht groß, und die saftige, griffige Spielweise, den sonoren Sound über eines halben Jahrhunderts Vinylgeschichte schütteln beide Abtaster gleichermaßen mühelos aus ihrem Kunststoffgehäuse. Besonders interessant ist das 103R für Besitzer von (Röhren-) Phonostufen mit MC-Übertragern. Das Standard-103 hat da etwas ungewöhnliche Ansprüche, mit hohem 40 Ohm Innenwiderstand, zugleich aber recht niedriger Ausgangsspannung. Auch für diese Daten gibt es maßgefertigte Übertrager – nicht zuletzt von Denon selbst. Etwa den preiswerten Klassiker AU-300LC. Den gibt es zwar nicht mehr neu, dafür aber für wenig Geld antiquarisch. Und da Übertrager rein passiv arbeiten, kann daran auch praktisch nichts altern oder kaputtgehen. Oft sind Übertrager-Eingänge aber explizit für niederohmige MCs ausgelegt – dann passt das R deutlich besser. Für „normale“, also aktive Halbleiter-MC-Eingänge kann das R dagegen zur Herausforderung werden, da es mit 0,25 Millivolt Ausgangsspannung schon zu den sehr leisen MCs gehört.

Denon DL-103 und Denon DL-103R
Unterschiede im Detail: Das R-Modell trägt seitlich und unten goldenen Druck, vorderer und hinterer Polschuh sind vergoldet, entsprechen ansonsten aber denen des Standardmodells (Foto: B. Rietschel)

Im Test – beziehungsweise seit vielen Jahren immer mal wieder, wenn ich Lust darauf habe – habe ich die DL-103 schon mit zahllosen Preamps probiert. Aktuell läuft Norbert Lehmanns exzellenter Decade mit der ihm eigenen Mischung aus Neutralität und Transparenz. Gut funktionierte auch der Line Magnetic LP-33 mit seinen integrierten Übertragern, der Luxman E-250 (dito) und der Rike Audio Natalija (ebenso). Aber auch wirklich preiswerte Preamps spielen mitunter perfekt harmonisch mit den Denon-Systemen zusammen. Auffallend gut fand ich zum Beispiel den Cambridge Alva Duo und den Musical Fidelity M1 LPS, die beide sehr rauscharm arbeiten und die seidig-satte Seite des Denon-Klangs etwas zu betonen schienen. Gerade diese Info halte ich für wichtig, denn das DL-103 ist ja nicht nur ein hochinteressantes und audiophiles System, sondern auch eines der preiswertesten MCs. Da ist es gut zu wissen, dass auch erschwingliche Preamps damit gut funktionieren.

Der richtige Arm

Wer das DL-103 optimal hören will, muss es mit einem schweren Arm kombinieren. Die ersten 103-Nutzer beim NHK legten in den sechziger Jahren mit wuchtigen Bakelit-, Holz- oder Blecharmen auf, typischerweise montiert auf Reibrad-Laufwerken des Denon-Vorgängers Nippon Columbia. So weit muss man nicht gehen. Auch die auf dem Papier erschreckend niedrige Compliance von 5 µm/mN relativiert sich auf den zweiten Blick, weil sie frequenzabhängig ist und in Japan typischerweise bei 100 Hertz angegeben wird. Europäische Hersteller verwenden dagegen meist den 10Hz-Wert, der rund das Doppelte der 100Hz-Messung beträgt. Gibt Ortofon also zum Beispiel für das SPU Synergy 8 µm/mN an, bedeutet das nicht, dass das Denon DL-103 deutlich härter ist, sondern eher das Gegenteil: Effektiv ist das 103 eher ein bisschen weicher. Dünne, windige Tonarm-Leichtgewichte sind dennoch fehl am Platz: 18 bis 20 Gramm an effektiver Masse sollten es schon sein. Zusammen mit den 8,5 Gramm, die das System selbst mitbringt, sowie ein bis zwei Gramm fürs Befestigungsmaterial, kommt man dann in den grünen Bereich, der herzhaften, sauberen Bass und stabile Abtastfähigkeit garantiert. Ich habe aber auch schon zahllose 103er in Rega- oder modernen SME-Armen gesehen (zwischen 9 und 12 Gramm effektiv), wo die Zahlen zunächst mal nicht stimmen, die Performance aber keineswegs schlecht war.

Mein erschwinglicher Favorit fürs DL-103 stammt von Technics: Zusammen mit dem aktuellen SL-1200Mk7 ergibt das DL-103 für unter 1500 Euro eine verblüffend high-endig klingende, durch nichts zu erschütternde Analogquelle für die kommenden Jahrzehnte. Der Spieler ist fürs Geld absolut grandios und kommt mit dem klassischen Technics-Arm, einem mittelschweren, S-förmig gebogenen, kardanisch gelagerten Klangwerkzeug mit abnehmbarer Headshell nach SME- beziehungsweise EIAJ-Standard. Das „mittelschwer“ ändern wir gleich noch. Denn dieser Angabe liegt das Technics-eigene Leichtbau-Headshell zugrunde, das wir mit irgendeinem anderen System bestücken oder gleich im Karton lassen. Stattdessen ordern wir von Ortofon das LH-4000 – oder ein vergleichbar massives Shell eines anderen Herstellers. Ins LH-4000 passt das DL-103 schon rein optisch, als wären die beiden füreinander entwickelt worden. Wir montieren das System einfach so, dass seine Vorderkante mit der des Headshells fluchtet – voilà: 52mm Überhang. Das ist hier doppelt erfreulich, weil Technics die sonst stets beiliegende Plastik-Überhanglehre beim Mk7 eingespart hat. Ätsch, wir brauchen sie gar nicht. Und die Headshell würde ohnehin nicht reinpassen, weil ihre SME-Kupplung nicht einen, sondern zwei Haltestifte hat – also einen oben und einen unten. Am Arm dagegen passen ein- und zweistiftige Köpfe gleichermaßen, und letztere sitzen erwartungsgemäß stabiler.

Was wir allerdings brauchen, ist eine Matte. Denn die haben die Japaner ebenfalls weggespart, zugunsten einer schicken, aber völlig HiFi-untauglichen Slipmat aus Synthetikfilz. Der Mk7 ist featuremäßig halt mehr der Discotyp, im Herzen aber ein überragendes, verlässliches Laufwerk. Dem wir folglich die dickste Matte spendieren, die wir finden können: Norbert Lehmanns präzise aus Presskork gefertigte Stage 1. Wir brauchen nämlich ordentlich Niveauausgleich. Weil erstens die Ortofon-Headshell das System fast vier Millimeter höher hält als das Serienteil, zweitens das Denon-MC flacher baut als die meisten modernen Systeme (Rega-MMs einmal ausgenommen). Und drittens, weil wir den Spieler ja – remember? – quasi mit nacktem Teller bekommen. Und weil viertens der Technics-Arm eine zwar geniale und aufwändige, nicht aber sehr langhubige Höhenverstellung mitbringt. Idealerweise montieren wir das DL-103 noch mit einem 5mm-Spacer zum Headshell hin, aber das ist optional, weil die Rundnadel eh nicht besonders VTA-kritisch ist. Und weil die Schrauben dann so lang sein müssen, dass man Mühe hat, passende zu finden. Der Spacer ist eher das kleinere Problem. Den kann man zur Not auch selber basteln: Mein extrem high-endig aussehendes Exemplar besteht aus sechs Lagen einer Adler-Moden-Kundenkarte, die ich mit Cyanacrylat verklebt, in Form geschliffen und mit Schrauben-Aussparungen versehen habe.

Denon DL-103
Basteln oder kaufen: Der Eigenbau-Spacer aus einer Kundenkarte des ADLER-Modemarkts – auch in der sechslagigen Deluxe-Version – „klingt“ leider nicht ganz so gut wie die käufliche Kohlefaservariante (Foto: B. Rietschel)

Noch eine Kleinigkeit brauchen wir. Ich verspreche, es ist die letzte: Das schwere Headshell mit dem massigen DL-103 ist etwas zu schwer für das Serien-Gegengewicht des Technics. Also muss das kleine, hinten am Armrohr anschraubbare Zusatzgewicht her. Größere Technics‘ haben das bereits im Lieferumfang. Mk7-Eigner bestellen es einfach online für eine Handvoll Euro. Und damit ist einer der stimmigsten, kraftvollsten, musikalischsten Spieler komplett, den ich aktuell für unter 2000 Euro auf den Laufwerkstisch zaubern kann. Mit dem Original-103 klingt er warm, sauber und aufs Wesentliche fokussiert. Mit dem 103R wird der rhythmische Zug noch straffer und die Klangfarben blühen auf. Weil die Systeme nicht gar so teuer sind, können etwas besser Situierte natürlich auch gleich beide kaufen, in jeweils eine eigene Headshell montieren und nach Lust und Laune wechseln. Für das jeweils unbenutzte bietet der Technics sogar einen praktischen Headshell-Parkplatz. Wäre doch schade, den nicht zu füllen.

Fazit Denon DL-103

Das 103er zeigt in seinem 50. Produktionsjahr eindrucksvoll, wie nachhaltig und zeitlos analoges HiFi sein kann: Nichts an seinem Klang wirkt Retro oder überholt, wenn man ihm die richtigen Arbeitsbedingungen schafft. Trotz gelegentlicher Erhöhungen ist auch sein Preis bis heute äußerst fair und die Fertigungsqualität konstant makellos. Das gilt fürs Standard-103 ebenso wie für das 103R, das seinen Aufpreis mit mehr Details und Transparenz voll rechtfertigt und Nutzern bestimmter MC-Übertrager mit seiner geringeren Impedanz entgegenkommt. Auch wer sich der Preisklasse entwachsen glaubt, sollte stets eine oder zwei der weißen Schachteln mit dem roten Sonnenrund in der Vitrine haben…

Ausgewogener, aufs Wesentliche konzentrierter, dynamisch-griffiger Klang
Preisbezogen hohe Fertigungsqualität, geringe Exemplarstreuungen
Baut im Headshell breit und tief, auch wegen der weit auseinander platzierten Anschlussstifte
Offene Schraubenkanäle machen den Einbau etwas fummelig

 

Denon DL-103R
2023/10
Test-Ergebnis: 4,6
ÜBERRAGEND
Bewertungen
Klang
Praxis
Verarbeitung

Gesamt

Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse.
Ausgewogener, aufs Wesentliche konzentrierter, griffiger Klang. Noch detailreicher als das DL-103
Preisbezogen hohe Fertigungsqualität, geringe Exemplarstreuungen
Geringe Ausgangsspannung erfordert sehr gute Phono-Preamps oder MC-Übertrager
Mit dem mitgelieferten Schraubensatz (Rundmuttern!) nicht sehr einbaufreundlich

Vertrieb
Denon Deutschland/Masimo
An der Kleinbahn 18
D-41334 Nettetal
www.denon.de

Preis (Hersteller-Empfehlung):
Denon DL-103: um 300 Euro
Denon DL-103R: um 400 Euro

Technische Daten

Denon DL-103 / DL 103R
Konzept:MC-Tonabnehmer
Ausgangsspannung0,3 mV (103) / 0,25 mV (103R)
Frequenzbereich:20 – 45.000 Hz
Ausgangs-Impedanz:40 Ohm (103) / 14 Ohm (103R)
Nadelschliff:sphärisch
Gewicht:
8,5 Gramm
Alle technischen Daten
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Autor: Bernhard Rietschel

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Bernhard Rietschel ist gelebte HiFi-Kompetenz. Sein Urteil zu allen Geräten ist geprägt von enormer Kenntnis, doch beim Analogen macht ihm erst recht niemand etwas vor: mehr Analog-Laufwerke, Tonarme und Tonabnehmer hat keiner gehört.