Die Canton Karat GS Edition ist eine doppelte Verneigung: Deutschlands bekannteste Lautsprechermarke ehrt damit einerseits die vielleicht markantesten Lautsprecherlinie ihrer Geschichte und andererseits den Firmen-(Mit-) Gründer Günther Seitz (GS). Und zwar mit einem klanglichen Auftritt, der weit über dem liegt, was die verlangten 3.500 Euro erwarten ließen…
Über was sprechen wir hier eigentlich? Über die Karat. Die ersten Karats stammen ja fast noch aus der Canton-Gründerzeit. Aber jene Karat-Serien mit diesem speziellen Gehäuse-Auftritt (gerade Kanten von fast schon skandinavischem Zuschnitt, viel tiefer als breit, Tieftöner auf der Seite) erschienen Anfang des neuen Millenniums und verblüfften die gesamte HiFi-Gemeinde: Hey, das war ja mal ein richtig moderner Ansatz! Unter allen Canton-Modellen waren die Karats mir stets am liebsten. Doch genauso plötzlich wie sie auftauchten, verschwanden sie wieder. “Zu viele Modellreihen”, hieß es aus Weilrod und schon waren die stylischen Speaker einfach eingestellt. Mein Herz schmerzte.
Doch dann kam der 50. Geburtstag der Firma – siehe LowBeats History. 50 Jahre Canton, 50 Jahre mit Günther Seitz an der Spitze. Daraus entstanden zwei Jubelmodelle. Die Ergo in der GS-Edition ist ein ganz tiefer Griff in die Designgeschichte, es schmeckt förmlich nach den 70er-Jahren, nach Vanille-Tee, psychedelischer Muster-Tapete und Flokati-Teppich. Die Karat in der GS Edition hingegen ist zwar auch der Vergangenheit verpflichtet, sieht aber aus wie die Venus aus dem Bade – frisch entworfen und für jedes moderne Wohnzimmer tauglich. Genau sie wollten wir haben.
Die Canton Karat GS…
…kokettiert mit der elegant-gradlinigen Formensprache ihrer Vorgänger, ist jedoch mit den neusten Chassis von Canton ausgestattet. Und mit einer optischen Innovation: Wer auch immer im Firmenimperium das Sagen über das Design hat, hat sich unter anderem für ein dunkles, mattes, „schlammiges“ Grün als Oberflächenfarbe entschieden. Das hat sicher keine Verbindung zur historischen Erstauflage. Weiß und schwarz sind natürlich auch heute zu haben, aber gedecktes Grün? Egal, völlig egal – denn es sieht super aus. Toller Blickfang im Raum, da ist offenkundig jemand über die aktuelle Möbelmesse in Mailand gestreift und hat mit sicherem Gespür genau diese Farbe ausgewählt. Kompliment für diese Entscheidung!
Aber auch die technische Seite hat ihre Eigenheiten. Drei Membranen blicken den Zuhörer an. Elegant die schlanke Bauform, die Rahmen der Chassis bestimmen die Breite des Designs. Da sind doch alle Spielregeln klar, oder? In der Mitte ein Hochtöner, zwei identische Chassis darüber und darunter – das muss ein symmetrischer D’Appolito-Aufbau sein. Falsch. Cantons Chefentwickler Frank Göbl hat sich für ein 3,5-Wege-System mit Bassreflexöffnung auf der Rückseite entschieden: Der obere Tiefmitteltöner mit 15 Zentimetern agiert als reiner Mittelton-Produzent. Der untere unterstützt ihn in den tieferen Lagen (unterhalb 600 Hertz), um im Übergangsbereich (150 Hertz) zum seitlichen 25-Zentimeter-Tieftöner ausreichend Energie zur Verfügung zu haben. Dieser Kniff funktioniert recht gut.
Bezüglich der eingebauten Treiber griff Göbl ganz tief in die Spielkiste der technischen Möglichkeiten. Da gibt es keine Gemeinsamkeiten bei den Membran-Materialien. Die Membran des stattlichen Seitenbasses schwingt mit einem Mix aus Cellulose und Grafit. Also Papier, angereichert mit Bleistiftminen. Die beiden Mitteltöner bringen gleich drei Baustoffe ein: Aluminium, Wolfram und Keramik. Das soll stabil sein, schnell und bei aller Härte auch gut bedämpft.
Wie üblich wurden die Treiber allesamt bei Canton mittels Klippel-Software entwickelt und optimiert. Der Hochtöner ist bereits eine feste Größe im Canton-Katalog – wie üblich mit einer Kalotte von 25 Millimetern Durchmesser. Auch er ist ein Mix, diesmal aus Aluminiumoxid und Keramik. Frank Göbl kennt natürlich die Vorzüge von Seidenkalotten oder Bändchen – er schwört den Canton-Klang dennoch auf stabilere Komposit-Mixe ein. Er liebt den druckvollen Klang dieser Kalotten, der auch bei hohen Pegeln nicht an Kraft verliert.
Gehäuse von Canton sind so gut wie immer von perfekter Qualität, das der Jubiläumsbox Karat GS erst recht. Alles fühlt sich gut an, die Lackierung ist perfekt, das Gewicht mit 32 Kilo stattlich. Und dann auch noch dies: Als besonderes Schmankerl gibt es für den Anschluss ein Bi-Wiring-Terminal mit den edlen (und klanglich überlegenen) NextGen-Lautsprecherbuchsen von WBT; die Innenverkabelung ist vom Badener Spezialisten in-akustik. Mit dieser Jubiläumsbox wurde das “Made in Germany” nochmal auf die Spitze getrieben.
Praxis
Galten Canton-Modelle früher (und darunter fielen auch etliche aus den Karat-Serien) wegen der DC-Hochpass-Filterung in Bezug auf Impedanz und Phase als ziemlich zickig, geben sich moderne Canton-Konstruktionen als absolut moderat. Die LowBeats Messungen lassen für Verstärker keine Herausforderungen erkennen. So lieferte die Karat GS selbst an einem kleinen Röhren-Amp ein souverän-kultiviertes und farbstarkes Klangbild ab.
Aber wattschwache Röhren wären jetzt auch nicht meine erste Empfehlung. Die gilt Transistor-Amps, die möglichst viel Kraft mit unaufdringlichem Feinsinn kombinieren. Den Rotel A14 (oder seine Streaming-Variante S14) würde ich klanglich so beschreiben. Oder der Cambridge Audio CX 81. Beides haben wir ausprobiert, beides harmoniert bestens. Wer sich gar traut, die knapp 2.500 Euro auf den Tisch zu legen, die für den bärenstarken Rotel RA 1592 MK II derzeit verlangt werden, wird die Canton auch pegeltechnisch fast vollständig ausreizen können. Denn da kommt allerhand…
Zur Aufstellung: Die konstruktive Besonderheit der Canton Karat GS ist der Seitentreiberbass. Bei Canton neigt man zu der Empfehlung, den Bass auf der Innenseite zu platzieren.
Ich bin nicht unbedingt dieser Meinung. Im großen LowBeats Hörraum haben beide Varianten (also auch Bass nach außen) funktioniert. Vor allem, wenn die Anlage zwischen den Boxen steht, ist die Variante mit dem Bass außen fast immer vorzuziehen, weil man die Elektronik ja nicht unbedingt der Schallenergie der Tieftöner aussetzen möchte. Die Sache ist ganz einfach: Man muss es ausprobieren, die Unterschiede sind deutlich.
Hörtest
Die ersten Takte im Hörtest überraschen mich nicht. Weil ich Canton seit langem kenne und damit die Ideale des Chefingenieurs. Seit Jahren folgt er der Maxime, dass es schnell sein muss, anspringend, doch stets auf Basis einer linearen Abstimmung. Diese Kombination begegnet einem nicht oft, jedenfalls selten gut. Wenn ich zuspitzen darf: Das ist feinsinniges High-End, aber mit dem Extra-Push einer Live-PA-Kombination im Olympiastadion. Weshalb wir auch mit Live-Aufnahmen beginnen.
In den frühen 1990er-Jahren war Eric Clapton sehr speziell unterwegs. Waren es Drogen, war es ein Fitness-Rausch? In der Londoner Albert Hall gab er mehrere Konzerte, über 30 in der Folge. Da müsste er heute unter das Sauerstoff-Zelt, selbst frische, junge Popstars würden die Segel streichen. Die Doppel-LP von Clapton halte ich gerade in der Hand. Zusätzlich habe ich das Remaster in 24-Bit-Qualität geladen, der Datensatz ist sechs Stunden lang – siehe auch unsere Rückblick des Monats Juni. Es ist beeindruckend, wie cool der Meister agiert. Mit jedem Track steigert er sich. Es wird heiß, überbordend, entrückt. Als fette Zugabe gibt es den Cream-Hit “Sunshine of your Love”, mit Orchester und den Fans am Anschlag. Genau diese Stimmung ist schwer zu vermitteln. Die Karat hatte es, eben weil sie stringent dem Frequenzgang folgt, aber noch die wichtigen Scheite an Live-PA hinzulegt. Toll die atmosphärische Dichte, noch besser der Groove in den Bässen. Wenn der letzte Track verklingt, fühlen wir uns beschenkt und zugleich traurig: Oh, wären wir doch dabei gewesen.
Kollege Holger Biermann und ich ziehen eine weitere Canton zum Vergleich hinzu. Und welches Modell würde hier besser passen als die A45? Sie war das Jubiläums-Modell zum 45. Geburtstag, ist online nahezu zum gleichen Preis zu haben und dennoch eine komplett andere Konstruktion. Da pushen drei Basstreiber zur Front, der BR-Port strahlt nach unten. Die A45 ist ebenfalls eine 3-Wege-Konstruktion, aber größer und um einiges schwerer, zudem seit 2019 Preisklassen-Referenz bei LowBeats.
Zunächst lasse ich “The Expert” von Yello laufen, ein Stück, das mit seinen satten Tiefbassen wie für die A45 geschrieben ist. Doch der Vorteil stellt sich nicht zwingend ein. Die A45 ist vergleichbar linear, mehr auf Kraft ausgelegt. Die Karat GS überzeugte uns in den wichtigen Punkten von Feindynamik und Spielfreude mehr. Sie zeigt sich schlichtweg feiner disponiert, stringenter und sensibler im Umgang mit musikalischen Inhalten. Alles in allem wirkte sie spielerischer mit den Kraftoptionen, die der Amp bereitstellt.
Letztendlich war es ein schöner Vergleich: Was ist bei Canton in den vergangenen fünf Jahren klanglich passiert? Was liegt zwischen der (hochgelobten) Jubiläumsbox von 2018 und ihrer Nachfolgerin? Viel. Die größere Transparenz und Detaildichte der Karat GS ist umwerfend. Ebenfalls der Umstand, mit wie viel mehr Plastizität und Darstellungstiefe sie die A45 auf den zweiten Platz schickt.
Aber gut: Das war Elektro-Pop. Wir schwenken auf Klassik und streamen einen Meister der Neuzeit herbei. Klaus Mäkelä ist noch nicht einmal 30 Jahre alt und schon Chef des Orchestre de Paris. Mäkelä kann motivieren, strukturieren und das Feuer entfachen. Wer es erleben will: Es gibt eine recht neue Aufnahme der Decca zu Strawinskys „Sacre du Printemps“. Bei der Uraufführung im Jahr 1913 endete der Abend in einem Tumult, das hatte man in Paris noch nie gehört. Damals sprengte Strawinsky alle Harmonik, stattdessen diese pochende Rhythmik – hier ist auch heute noch Nervenstärke gefragt. Und eben hochpräzise Lautsprecher.
Die Bässe der beiden Cantons glühten in unserem Test, ebenso die Partitur. Es ist brutal, wie die Kontrabässe den Raum okkupieren. Geht es noch tiefer? Ja, mit Forte-Schlägen auf die Große Trommel. Würde Strawinsky noch leben, hätte er eine Alternativ-Version für eine Punk-Rock-Band orchestriert. Hier agiert die A45 furchteinflößender, mit mehr Kraft in den tiefen Lagen…
… um ihrer Nachfolgerin im Karat-Gewand zum Schlussakkord doch wieder den Vortritt lassen zu müssen. Deren Feindynamik und anspringende Lebendigkeit, diese Klarheit in den Mitten, ist für die Klasse bis 4.000 Euro allemal außergewöhnlich. Nach einem Spaziergang in frischer Luft kehrten wir zurück – und wunderten uns erneut. Wie kann eine so kompakte, noch immer klein-feine Standbox diesen Kraftakt leisten? Es ist das, was man Fortschritt nennt: Die nochmals höhere Harmonie der Treiber, die scheinbare Abwesenheit jeglicher Verzerrungen, ein in allen Belangen überzeugender Klang.
Fazit Canton Karat GS
Zumindest als GS-Sondermodell lässt Canton die Karat wieder auferstehen. Die elegante Form wurde nur in wenigen Punkten verfeinert, die Akustik allerdings setzt in dieser Klasse Maßstäbe. Die Canton Karat in der GS-Edition verbindet die Welt der Feingeister und jene der Dynamiker. Das gelingt verführerisch gut. Dieser Live-dabei-Effekt ist selten. Dazu noch ideale Linearität, plus einfache Ansprüche an den Verstärker und die hohe Wohnraumfreundlichkeit. Ein guter Freund ist gerade auf der Suche nach einem neuen Lautsprecher-Paar. Ich lege meine Hände für die Karat GS ins Feuer und bin mir ganz sicher, mich nicht zu verbrennen…
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Wunderbar griffiges, präsent-feines und weites Klangbild |
| Satter, stabiler Bassbereich, sehr pegelfest |
| Tolle Verarbeitung |
| Exzellente Preis/Klang-Relation |
Vertrieb:
Canton Elektronik GmbH + Co. KG
Neugasse 21 – 23
61276 Weilrod
www.canton.de
Paarpreis (Hersteller-Empfehlung):
Canton Karat GS: 3.500 Euro
Technische Daten
Canton Karat GS | |
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Konzept: | 3,5-Wege Standbox, Bassreflex |
Bestückung: | HT: 1 x 25 mm, TMT: 2 x 15,4 cm, TT: 1 x 25,7 cm |
Wirkungsgrad: | 88,0 dB (2,83 Volt / Meter) |
Max.-Pegel (dauer / kurzfristig): | 102 / 114 dB |
Mindest-Leistung für Max.-Pegel (Dauer): | > 100 Watt |
Abmessungen (B x H x T): | 23,0 x 104,0 x 45,0 cm |
Gewicht: | 32,0 Kilogramm |
Alle technischen Daten |
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