Äußerlich ist die ATC SCM19 nur eine von vielen mehr oder minder unauffälligen Kompaktboxen. Aber schon der Umstand, dass wir es hier mit einer geschlossenen Konstruktion mit relativ hoher Impedanz zu tun haben, lässt erahnen, dass diese Kompakte vom Studio-Profi ATC doch nicht ganz so normal ist, wie das Äußere vermitteln will. Gänzlich vom Glauben fällt derjenige ab, der einen Blick ins Innere werfen darf. Hier wird derart geprotzt, dass die SCM19 trotz ihres Paarpreises von 3.000 Euro als echtes Schnäppchen zu werten ist – das übrigens auch klanglich so ziemlich alles in Grund und Boden spielt, was sich sonst in dieser Preisklasse so tummelt…
30 Jahre mache ich diesen Job jetzt schon. Seit 30 Jahren teste ich für überwiegend Lautsprecher für HiFi-Magazine. Da kam bislang einiges zusammen. Und sollte ich je ein Buch über große Lautsprecher-Momente schreiben, kämen sie natürlich alle darin vor: die TAD Reference One, die große Maggi MG20, die Magico M5, die Tannoy Canterbury und natürlich mein HiFi-Erweckungs-Lautsprecher, das Ur-Modell der Quadral Titan.
Aber eben auch ATC. Die immer noch leicht skurrilen HiFi-/Studio-Speaker aus dem Westen Englands dürfen nach meinem Dafürhalten in keiner Auflistung der besten Lautsprecher fehlen. Gerade die größeren Modelle SCM50, SCM100 und SCM150 treiben zwar dem Innenarchitekten den kalten Schweiß auf die Stirn, klanglich aber ist das schlichtweg überragend: so impulsiv, so leicht, so feindynamisch – so echt. Natürlich habe ich versucht, herauszufinden, worin diese Faszination der Leichtigkeit begründet liegt. Was machen diese britischen Speaker besser? Tatsächlich muss man nicht lange suchen und landet bei DEM essentiellen Bauteil der britischen Spezialisten: Dem Kalottenmitteltöner mit 75 mm großer Kalotte und noch viel größerem Magneten, der wie alle ATC Treiber noch im heimischen Gloucestershire per Hand aufgebaut werden.
Aber warum schwadroniert der Autor die ganze Zeit über den legendären Mitteltöner? Ein Blick reicht, um zu erkennen, dass die ATC SCM19 als 2-Wege-Box das gute Stück nicht eingebaut hat. Richtig. Aber viele Gespräche mit dem befreundeten ATC Händler vor Ort (Rauch & Schall) sowie mit den Leuten des engagierten Vertriebs (ATR – Audio Trade) ließen mich aufhorchen: “Die klingt, als hätte sie den Mitteltöner…” Kaum zu glauben. Aber schaun wir mal.
Der Aufbau der ATC SCM19
Die erste Besonderheit der ATC SCM19 ist: Es fehlt das in dieser Klasse übliche Bassreflexrohr. Die Briten setzen hier auf eine geschlossene Konstruktion. Das kostet zwar ein wenig Wirkungsgrad und Tiefgang, steht aber für präzisere Bässe. Denn Bassreflexboxen interagieren stärker mit den Dröhnresonanzen der Hörraume. Geschlossene Boxen gelten daher als einfacher aufzustellen und können in der Regel auch näher an die Wand gerückt werden. Eine These, die sich im Hörtest bestätigte.
Die SCM19 ist die größte Kompaktbox der SCM-Linie und mit einer Bauhöhe von fast 44 Zentimeter ein ganz schöner Brummer. Das Gehäuse selbst ist an den Seiten geschwungen – ein Versuch der Engländer, dem bislang stets nachgeordneten Thema “Design” ein wenig mehr Gewicht zu verleihen. Ist es gelungen? Das liegt wie immer im Auge des Betrachters:
Das Finish ist ohne Fehl & Tadel, das Gehäuse stabil gemacht – das Lebendgewicht liegt ja bei fast 18 Kilo. Und doch spielt das stattliche Gehäuse auf der Waage nur eine nachgeordnete Rolle. Das Schwergewicht im Team ist eindeutig der beeindruckende Tiefmitteltöner namens SB75-150SL. Wie üblich (und hier auch auf dem Foto zu sehen), schraube ich die Treiber heraus, um eine Idee von ihrer Qualität zu bekommen. Beim SB75-150SL hätte ich es fast nicht geschafft: Man bekommt das wuchtige Stück nur heraus, wenn man es exakt im 90° Winkel heraushebt – sonst ist der Ausschnitt der Schallwand zu klein. So etwas habe ich bislang nur ganz selten gesehen.
Normalerweise werden die Membranen eines Tiefmitteltöner dieser Größe mit Schwingspulen im Bereich zwischen 30 – 40 mm angetrieben. Man will ja das bewegte Gewicht wegen bester Impulsivität möglichst klein halten. ATC hat hier mit der Kombination aus Riesen-Magnet plus 75 mm Schwingspule eine andere Idee. Ob das wirklich für beste Impulsivität der richtige Weg ist, wird der Hörtest weisen. Sicher ist: So eine Kombination steht für eine Belastbarkeit weit oberhalb üblicher HiFi-Boxen.
Für den Bereich oberhalb 2.500 Hertz vertrauen die ATC Entwickler dem hauseigenen Hochtöner namens SH25-76. Das Ding sieht mit seiner mit 25 mm Gewebekalotte sehr unscheinbar aus – der Mitbewerb nutzt in dieser Klasse meist schon besondere Materialien wie spezielle Aluminium-Legierungen oder gar AMTs. Das aber widerspräche den Ansätzen der traditionsbewussten Briten komplett.
Man ist geneigt, diesen Hochtöner zu unterschätzen. Sollte man nicht tun: In Bezug auf Klang-Balance, aber auch in Bezug auf robuste Belastbarkeit passt der SH25-76 einfach perfekt.
Der Blick auf die Weiche zeigt: Auch hier gibt es absolut nichts zu mäkeln. ATC nutzt hier ausschließlich hochklassige Bauteile; die Luftspulen sind hochbelastbar, die MKP-Kondensatoren lassen die Briten sich sogar speziell produzieren.
Zählen wir einmal kurz zusammen: Wir haben ein wirklich gut gemachtes Gehäuse, die 2-Wege-Kombination mit einem außergewöhnlichen Weltklasse-Treiber und eíne Frequenzweiche, deren Qualität ebenfalls in dieser Preisklasse (leider) nicht Standard ist. Unabhängig vom Klang kann ich an dieser Stelle schon einmal resümieren: das ist erstaunlich günstig, was uns die Engländer hier bieten.
Praxis
Den einen Punkt sprach ich oben schon an: Durch die geschlossene Bauweise ist die britische Kompakte tatsächlich etwas einfacher aufzustellen. Ein Abstand von 10 Zentimeter zur Rückwand – natürlich auf einem Ständer positioniert – war problemlos möglich. Der Wirkungsgrad der ATC SCM19 liegt mit etwa 84 dB im normalen Mittelfeld dieser Klasse. Für einen geschlossene Box ist es hingegen recht gut.
Exemplarisch gut indes sind die elektrischen Werte wie Impedanz, Phase & Co. Die Impedanz (rote Kurve) liegt stabil oberhalb 5 Ohm, die Phase (blaue Kurve) lässt keine wilden Sprünge erkennen – was auf eine kenntnisreiche Entwicklung verweist. Je linearer diese Werte verlaufen, umso leichter hat es der angeschlossene Verstärker. LowBeats errechnet diesen Additionswert als EPDR (graue Kurve). Er zeigt, an welchen Frequenzen das Netzteil des Verstärkers besonders durch Phasendrehungen plus niedrige Impedanzen belastet wird. Im Falle der SCM19 lediglich bei 100 Hertz – aber nicht schlimm.
Die Quintessenz lautet: Es gibt so gut wie keinen Verstärker, der an der SCM19 in Schwitzen kommen sollte. Es sei denn, sie soll richtig laut spielen. Nun sollte man von einem HiFi-Lautsprecher dieser Größe keine Beschallungspegel erwarten. Und doch bekommt man von der ATC einiges an quasi unverzerrtem Pegel:
ATC selbst gibt den Maximalpegel der SCM19 konservativ mit 108 dB an, LowBeats Messchef Jürgen Schröder kam auf etwa 112 dB. Das ist viel und kommt durchaus in den Bereich von Standboxen, die mehr als doppelt so groß sind. Man muss nur ausreichend viel Leistung hineinpumpen. Und nun sind wir wieder bei dem Tiefmitteltöner mit der hoch belastbaren Schwingspule: Da kann man eine Menge Leistung hineinpumpen…
Wir haben die übliche Phalanx an Vollverstärkern angeschlossen – sogar der riesige German Physiks The Emperor (2 x 600 Watt an 4Ω) kam zum Einsatz. Doch selbst bei Pegeleinstellungen von 14 oder 15 Uhr hatte man nicht den Eindruck, die kompakte ATC käme ernsthaft in Bedrängnis. Hier zeigt sich, dass ATC aus dem Studio kommt, wo langjährige, zuverlässige Solidität noch vor dem letzten Quäntchen Klang steht.
Und bei dieser Gelegenheit kam es zu einer Kombination, die man seinem besten Freund empfiehlt: die mit dem Exposure 3010S2D. Der britische Evergreen-Amp ist ja wirklich nicht mehr der neueste: Aber was diese Kombination an stimmiger Offenheit, an Transparenz und Tiefenschärfe produzierte, das hörte sich nach sehr viel mehr als 5.000 Euro an. Wer sich für den Verstärker oder für die Box interessiert, sollte unbedingt auch die Kombi anhören. Als LS-Kabel hat sich ein Wire Worlsd Oasis 8 als gar nicht übel herausgestellt…
Die ATC SCM19 im Hörtest
Die SCM19 zieht den Zuhörer sofort in ihren Bann. Alles kommt spontan, quicklebendig, wunderbar aufgeräumt und dabei erstaunlich gelassen. Wie genau dieser Lautsprecher einzelnen Klangereignisse wie das Schlagen eines Triangel oder beherzten Blasen eines Saxophons, ist schlicht großartig: all diese feien Zwischentöne Wer auf virtuose Gitarren-Duelle wie bei Friday Night in San Francisco steht, kommt hier voll auf sein Kosten. Wenn die Herren Di Meola, McLaughlin und De Lucia sich ihre Gitarren-Salven um die Ohren hauen, entsteht über die SCM19 ein Klangfest mit flirrenden Saiten, feinsten Nuancen und einer erstaunlichen Dynamik: “Pahh, Pahh” macht es trocken, wenn die wenn die flachen Händen auf die Gitarren schlagen. Das ist schon ziemlich dicht dran an Live.
Das Abhören eines weiteren Test-Klassikers zeigt eine weitere Besonderheit der Britin: Auf Yellos Point lässt sie die Synthie-Bässe kernig-mitreißend treiben, ohne jedoch ganz tief in den Keller steigen zu können. Dafür sind die Basslinien jederzeit genau zu verfolgen; da gibt es kein wolkiges Gegrummel – außer an jenen Stellen, an denen Yello Ton-Mastermind Boris Blank genau das wollte. Gänzlich in ihrem Element ist die SCM19 dann bei perkussiven Feuerwerken wie Billy Cobhams Glassmenagerie. Herrlich, was einem hier an Energie und Impulsen um die Ohren fliegt. Und die knüppelnde Bassdrum kommt konochentrocken und direkt aufs Zwerchfell. Nur gut, dass die ATC so belastbar ist. Man will immer lauter drehen.
Klanglich erinnerte dieser Auftritt extrem stark an den der großen Schwester SCM50 ASL, die wir im Juni letzten Jahres im Test hatten. Fast die gleiche, extrem präzise, aber nicht sonderlich tiefe Abbildung, die gleiche frappierende Offenheit, fast der gleiche “schnelle” Antritt. Und dass, obwohl ja der zentrale Mitteltöner fehlt. Wie die Briten das nur anstellen… Die SCM19 ist der gelebte Beweis, dass so feine Mitten auch mit riesigen Schwingspulen möglich sind – nämlich dann, wenn der Antrieb entsprechend kräftig und ausgefuchst ist.
Aus der Erinnerung heraus würde ich sagen, dass unter all den getesteten Kompaktboxen dieser Klasse aus den letzten Jahren die Cabasse Bora (respektive deren Nachfolgerin Murano) dem britischen Energiebündel noch am nächsten kommt. Die Cabasse sind noch lauter, impulsiver und druckvoller von unten, haben aber bei weitem nicht diese feinperlige Spielweise.
Man kann im Bereich unter 3.000 Euro lange suchen – und doch wird man Besseres nur schwerlich finden. Andere audiophile Modelle mit “englischem” Anstrich, etwa eine ProAc Tablette 10 oder eine Harbeth P3ESR 40 AE sind vielleicht im Ton noch etwas wärmer und ausdrucksstärker. Aber die beiden werden werden dynamisch von der ATC quasi überrant: So viel Energie und eine solche geschmeidige Präzision sind einfach rar.
Vor wenigen Wochen feierte die Dynaudio Heritage Special (6.000 Euro) ihren Auftritt in unserem Hörraum. Es ist der beste Dynaudio Kompaktlautsprecher seit vielen, vielen Jahren und meine absolute Lieblings-Box der letzten Wochen. Ihr Markenzeichen: höchste Klangtreue und eine ebenfalls quicklebendige Wiedergabe auf höchstem Niveau. Im Vergleich zu dieser Natürlichskeits-Instanz wird deutlich, dass die ATC SCM19 den Mittelhochtonbereich ein bisschen mehr aufhellt und etwas flächiger abbildet. Darüber hinaus liegen ATC SCM19 und Heritage Special nicht so weit auseinander. Und das für die Hälfte des Geldes…
Fazit
Sie ATC SCM19 mag äußerlich unspektakulär erscheinen. Doch vom Aufwand und vor allem von der klanglichen Performance her ist dies ein herausragend guter Lautsprecher. Selten habe ich in dieser Klasse eine derart unaufgeregt-aufregende Lebendigkeit gehört. Ausgewogen, fein offen und schnell. Wer jetzt noch auf nicht ultratiefe, sondern präzis-knackige Bässe steht, hat hier den Primus der 3.000 Euro Klasse gefunden. Zumal die SCM19 ihr klangliches Potenzial an fast jedem Verstärker des HiFi-Kosmos zum Leuchten bringt. Ich bin begeistert.
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Klingt sehr fein, offen, direkt und präzise |
| Dröhnfreier Bass |
| Erstaunlich verzerrungsarm |
| Überragende Preis/Klang-Relation |
Vertrieb:
ATR – Audio Trade
Schenkendorfstraße 29
45472 Mülheim an der Ruhr
www.audiotra.de
Preis (Hersteller-Empfehlung):
ATC SCM19: 2.980 Euro
Die technische Daten der ATC SCM19
ATC SCM19 | |
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Konzept: | 2 Wege geschlossen |
Bestückung: | HT = 25 mm (SH25-76), TMT = 17,5 cm (SB-150SL) |
empf. Mindest-Leistung des Verstärkers: | 2 x 70 Watt |
Besonderheiten: | geschlossene Bauform |
empf. max. Raumgröße | 24 Quadratmeter |
Maximalpegel: | 112 dB |
Abmessungen (B x H x T): | 26,5 x 43,8 x 33,4 cm |
Gewicht: | 17,8 Kilo (Stück) |
Alle technischen Daten |
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