Bei Totem Acoustic ist nichts normal. Selbst eine auf den ersten Blick harmlos erscheinende 2-Wege Kompaktbox bricht da mal eben mit fast allen Konventionen. Wie zum Beispiel die gleichermaßen ungewöhnliche wie atemberaubend dynamisch klingende Totem Acoustic Fire V2. Der Erfahrungsbericht.
Totem Chef Vince Bruzzese steht auf das Ungewöhnliche. Der Kanadier betrachtet die (von so gut wie allen Audio-Ingenieuren akzeptierten) Thiele & Small-Parameter für die Entwicklung von HiFi-Lautsprechern als überholt und somit für untauglich. Er hat seine eigenen Parameter und Glaubenssätze entwickelt und damit schon verblüffende Ergebnisse erzielt. Beispielsweise die Tribe Tower, die wohl einzige wirklich vollwertige Mini-Standbox im High End. Wir waren also gewarnt, als wir diese mittelgroße Kompaktbox in der Hörraum trugen. Doch das nutzte nichts. Das schräge Ding überraschte uns dennoch…
Das Konzept der Totem Acoustic Element Fire V2
Technisch gesehen ist die Fire V2 eine ganz normale 2-Wege Bassreflexbox. Doch schon beim Gehäuse hört das “normal” auf. Denn außer den beiden Seitenwänden hat die eigenwillige Kompaktbox keine parallelen Wände und minimiert so dröhnende Stehwellen im Inneren. Die Schrägen sind Ausdruck einer weiteren Erkenntnis des Vince Bruzzese: “Gut klingende Lautsprecher haben innen nur wenig Dämpfungsmaterial verbaut”. Dämpfungsmaterial reduziert die Stehwellen natürlich ebenfalls, lässt aber den Klang, so Entwickler Bruzzese, “wattig” werden.
Sein entscheidender Glaubensatz aber ist dieser: “Frequenzweichen-Bauteile vor den Treibern verschlechtern den Klang drastisch”. Also lässt Bruzzese sie weg, wo immer er kann. Das Bild zeigt die komplette Frequenzweiche der Totem Acoustic Fire V2.
Der zentrale Baustein ist ein Kondensator (weiß), der den Hochtöner mit einem möglichst einfachem “flachen” Filter vor den tiefen Frequenzen schützt. Hinzu kommt eine Pegel-Anpassung des Hochtöners durch Widerstände sowie eine Impedanz-Linearisierung. Vor dem Tiefmitteltöner aber sitzt: nichts.
Wir haben das Prinzip schon ausgiebiger bei der Tribe Tower beleuchtet. Wo andere Entwickler gern gigantische Netzwerke mit dutzenden Bauteilen verwenden, um die Mittelhochtonanteile der Tiefmitteltöner zu unterdrücken, verzichtet Bruzzese an dieser Stelle auf jedes Bauteil im Signalweg. Das heißt: Der Tiefmitteltöner hängt über das Lautsprecherkabel direkt an den Ausgängen des Verstärkers. Im Tiefmitteltonbereich ist die Fire V2 also eine Aktivbox – besser geht es im Grunde nicht.
Dieses Quasi-Aktiv-Prinzip funktioniert aber natürlich nur, wenn der Tiefmitteltöner extrem sauber läuft und über die richtige Kombination der Eigenschaften (Einspannung, Membranmasse et cetera) von sich aus die optimale Filterwirkung mit sich bringt. Physikalisch betrachtet wirkt jeder Treiber an den Enden seines Übertragungsbereichs wie ein eingebauter 12-dB-Filter. Aber nur die wenigsten sind geeignet, beziehungsweise so konzipiert, dass sie genau im gewünschten Bereich arbeiten. Fast alle Tiefmitteltöner laufen ohne Frequenzweiche sehr viel höher. Für eine so passgenaue Übertragungsfunktion wie bei der Totem Acoustic Fire V2 braucht es viel Gehirnschmalz. Aber noch mehr Simulation und Ausprobieren.
Das Ergebnis dieser Arbeit nennt Bruzzese “Torrent”-Treiber. War ich von den kleinen 13er Modellen der Tribe Tower schon echt beeindruckt, so blieb mir bei dem nochmals größeren 20 cm Tiefmitteltöner der Fire V2 schier die Spucke weg. Das Ding ist so groß und schwer, so komplex, dass er bei Totem Acoustic in house gebaut werden muss. Und der Tiefmitteltöner ist eigentlich viel zu groß für die kompakte Fire V2. Sein Aufbau ist so massig, die Konstruktion so tief, dass er nur so eben in die Aussparung der Schallwand passt. Ich habe mehrere Versuche unternommen, ihn auszubauen. Hat aber nicht geklappt, deshalb bat ich die Techniker von Totem Acoustic um die entsprechenden Bilder:
Der Hochtöner der Element Fire V2 wirkt dagegen vergleichseise einfach gestrickt. Es ist eine hoch belastbare 25 mm Aluminiumkalotte, die in ihrem Aufbau (mit dem Filz-Dämpfungsring zwischen Schutzgitter und Kalotte) stark an die bewährten Hochtöner aus dem Canton Sortiment erinnert. Doch auch dieser Hochtöner ist eine Spezialanfertigung nach Bruzzese-Vorstellungen.
Technisch ist die Fire V2 also hoch ambitioniert, ihr Auftritt ist es ebenfalls. War ich mit dem Finish der Tribe Tower noch unzufrieden, so gibt es bei der Fire V2 nichts zu mäkeln: Das Gehäuse aus 20 mm MDF ist super lackiert, das massive Anschlussfeld mit vier WBT-Klemmen passend audiophil besetzt.
Übrigens: Aufgrund des ungewöhnlichen Quasi-Aktiv-Konzepts macht Bi-Amping mit unterschiedlichen Röhren- und Transistor-Endstufen richtig viel Sinn.
Die Totem Acoustic Fire V2 in Messlabor & Praxis
Die kompakte ELement Fire V2 ist trotz ihres ungewöhnlichen Technik-Konzepts von fast jeder Art angeschlossenem Verstärker problemlos zu betreiben. Ihre Impedanz verläuft linear auf einem Niveau weit oberhalb 4 Ohm, die Phasendrehungen sind moderat und der Wirkungsgrad liegt leicht über dem Klassendurchschnitt.
Selbst der kleine Cambridge Audio AXA 25 (2 x 25 Watt) oder die Mira Ceti 300B-Röhre von Fezz Audio mit ihren 2 x 8 Watt kamen bestens mit der Fire V2 zurecht. Dementsprechen überzeugend wurde das Ganze mit passenden Verstärkern wie dem Atoll IN 400 SE, dem Neukomm CPA 155 oder dem Cambridge Audio Edge A. Alle drei (und vor allem der Atoll) haben ausreichend Kraft, um die Pegelgrenzen der Totem Acoustic komplett auszureizen. Bei Normalpegel (grün, 94 Dezibel bei 1 Meter Entfernung) zeigt die Fire V2 Größenklassen-übliche Verzerrungen. Aber schon bei drei Dezibel (rot) mehr treten die Verzerrungen recht breitbandig auf.
Berücksichtigt man die zweite Box des Stereo-Paars (plus 3 dB) sowie den üblichen Headroom bei dynamischen Musiksignalen, liegt der Maximalpegel der Fire V2 bei etwa 107 Dezibel. Auch das ist klassenüblich, aber nicht geeignet, Räume jenseits der 40 Quadratmeter zu beschallen.
Doch für so große Hörräume gibt es auch bei Totem Acoustic andere Kaliber. Die Fire V2 wurde von Bruzzese eher für kleine Räume und für wandnahe Aufstellung entwickelt. Man sieht es an seinen Aufstellungs-Empfehlungen (etwa 15 cm Abstand zur Rückwand) sowie der zurückgenommenen Bassabstimmung unterhalb 100 Hertz. Dieser Bereich bekommt durch die Nähe zur Wand sowieso meist Unterstützung. Deshalb ist eine solche Abstimmung, wie Bruzzese sie hier gefunden hat, für die meisten HiFi-Freunde genau richtig.
Und noch so eine Außergewöhnlichkeit: Bruzzese hat seiner Fire V2 eine Frequenzgang-Delle bei 2.500 Hertz anerzogen. Das sei gewollt, so der Kanadier. Er empfiehlt bei der Aufstellung, die Fire V2 “gerade” auszurichten, sodass der Hörer außerhalb der Achse sitzt. Bruzzese: “Jenseits der 30° wird diese Senke im Frequenzgang wieder aufgefüllt.” Das deckt sich mit unseren Hör-Erfahrungen: Ohne Einwinkelung klingt die Fire V2 in den Mitten “richtiger” und insgesamt räumlich großzügiger.
Der Hörtest
Was sofort ohrenfällig wird: Dieser Lautsprecher klingt nicht wie ein normaler HiFi-Speaker. Alles klingt ernergischer, müheloser, antrittsschneller. Die meisten Kompaktboxen dieser Größe (wie zum Beispiel die bei uns oft gehörten Dynaudio Contour 20, Buchardt Audio S400…) klingen satter und einen Hauch sonorer. Aber keine hat auch nur in etwa diesen gewaltigen Antritt. Schließt man die Augen, meint man eher einen großen Studio-Monitor mit 12 oder 15 Zoll Bässen vor sich zu haben. Aber es ist die vergleichsweise zivil wirkende Totem Acoustic Fire V2.
Mit ihrer spielfreudigen Art erinnert die V2 an die ebenfalls enorm Live-haftige Gangart der Cabasse Bora, hat aber die noch etwas feineren Manieren und kommt noch müheloser von Null auf 100. Geradezu explosionsartig kann sie entsprechende Piano-Anschläge oder einzelne Schlagzeughiebe in den Hörraum katapultieren. Aber auch Stimmen oder akustische Instrumente bekommen mit ihr eine im HiFi nur selten gehörte, ungemein authentische Impulsivität. Anders als die Frequenzgangsenke um 2.500 Hertz vermuten ließe, fehlt auch an Auflösung nichts: Details funkeln und glitzern, eine gespielte Gitarrensaite klingt einfach nur “echt”.
Die Musik des begnadeten britische Jazz-Trio Mammal Hands (das sich ernsthaft Mühe gibt, die e.s.t.-Nachfolge anzutreten) wird getragen von einem melodischen Klavier und griffigen Drums, aber getrieben von einem sehr präsenten Saxophon. Die Aufnahmen auf dem Album Shadow Work sind nicht sonderlich direkt, sondern schon eher dezent eingespielt. Dennoch verwandelte die Fire V2 den kleinen LowBeats Hörraum zum Aufnahmestudio: wir saßen den Musikern förmlich auf dem Schoß – so wunderbar plastisch war die Abbildung und so direkt und dynamisch spielte uns die kanadische Kompaktbox in die Aufnahme.
Ein großer Vorteil ist dabei sicher der vergleichsweise große Tieftöner, der in den unteren Basslagen nicht komplett ausgereizt wurde. So bleiben ihm bei dynamischen Passagen einfach mehr Pegelreserven.
Und die nutzt er: Bei elektronischer Musik mit extremen Tiefbässen schien die Fire V2 zwar die untere Oktave nicht mit voller Schwärze abbilden zu können. Doch im relevanten Bereich um 80 Hertz, wo bei dieser Musik so richtig die Post abgeht, begeistert die Kanadierin mit viel Kraft, Präzision und Härte. Ein Erlebnis.
Die von der Preisklasse ähnliche B&W 805 D3 (Preis mit Ständer: 7.000 Euro), bei LowBeats seit Jahren eine Richtschnur für teure Kompaktboxen, zeigt in den Höhen zwar mehr Auflösung und insgesamt etwas mehr Raumtiefe, aber ansonsten erging es ihr wie den anderen Referenzen: In Bezug auf Feindynamik und Spielfreude kam sie gegen die Fire V2 unter die Räder. Und dennoch gelang Bruzzese hier das Kunststück, dass die kompakte Kanadierin nicht scharf oder hart klingt – was ja häufig im Beipack einer solch akkurat-schnellen Wiedergabe dabei ist. Es ist einfach ein richtig gut gemachter, ja fast gefährlicher Lautsprecher. Denn wenn man erst einmal längere Zeit mit ihm gehört hat, kann man sich nur sehr schwer wieder lösen…
Fazit Totem Acoustic Element Fire V2
Dieser Lautsprecher sieht ausßergewöhnlich aus und ist es auch. In kleineren Räumen zaubert die kompakte Kanadierin eine so derart lebensechte und beeindruckende Grob- wie Feindynamik, dass fast alle anderen HiFi-Lautsprecher dieser Klasse dagegen langweilig wirken.
Neben diesen herausragenden, vor allem feindynamischen Tugenden gefällt die Totem Acoustic mit ordentlicher Verarbeitung, technischer Anspruchslosigkeit (fast jeder Verstärker passt) und hoher Eignung für kleine Räume beziehungsweise wandnahe Aufstellung. Totem Acosutic Chef Vince Bruzzese sagt über die Fire V2 selbstbewusst, sie sei der “ultimative Monitor”. In gewisser Weise hat er Recht. Denn für sehr viele beengte Situationen ist sie einzigartig gut.
Totem Acoustic | 2020/02 |
ÜBERRAGEND |
Bewertung
KlangPraxisVerarbeitungGesamt |
Die Bewertung bezieht sich immer auf die jeweilige Preisklasse. |
| Herausragend dynamisch-griffiger Klang |
| Hochwertiger Gesamteindruck |
| Technisch anspruchslos: hohe Effizienz, stabile Impedanz |
| Auch für kleine Räume + wandnahe Aufstellung geeignet |
Vertrieb:
High-End Company AG
Zürcherstrasse 310
CH-8500 Frauenfeld
Paarpreis (Hersteller-Empfehlung):
Totem Acoustic Fire V2: 7.800 Euro
Mit- und Gegenspieler:
Vollverstärker Cambridge Audio AX A 25 im Familientest
Test Fezz Audio Mira Ceti: günstiger 300B-Röhren-Amp
Test Atoll IN 400 SE: bester Vollverstärker unter 5.000 Euro
Test Neukomm CPA 155S: Kompakter Spitzen-Verstärker
Erster Test Vollverstärker Cambridge Audio Edge A
Röhren-CD-Player Canor CD 1.10 im Test
Test Kompaktbox Dynaudio Contour 20: Absolute Natürlichkeit
Test Buchardt Audio S400: Geniale Kompaktbox im Dänischen Design
Test Cabasse Bora: Kompaktbox für 2.500 Euro
Test B&W 805 D3: Maßstab der Kompaktklasse
Mehr von Totem Acoustic:
Test Totem Acoustic Tribe Tower: High-End-Standbox für kleine Räume
Test Minibox Totem Acoustic KIN Mini mit Mini Sub